Konfliktlösung von Mädchen und Jungen in Kindertageseinrichtungen

 

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Christel van Dieken
Tim Rohrmann    Verena Sommerfeld

 

„Die Mädchen
haben ja auch
so Ärger im Kopf
wie die Jungs“

Aktionsforschungsprojekt
Konfliktlösungsverhalten von Mädchen und Jungen
in Kindertageseinrichtungen

 

durchgeführt von der Bildungswerkstatt Hamburg

im Auftrag des Senatsamtes für die Gleichstellung  Hamburg

Abschlussbericht

 

 

Auftraggeber

Senatsamt für die Gleichstellung der Stadt Hamburg

Projektzeitraum

Mai 2000 bis September 2002

Inhalt

 

1. Einführung. 5

1.1. Überblick. 5

1.2. Aktionsforschung und Evaluation. 7

1.3. Projektverlauf 10

2. Der theoretische Hintergrund: Konfliktverhalten und Geschlecht 14

2.1. Geschlechtstypische Sozialisation und Entwicklung. 14

2.2. Konflikt und Aggression. 16

2.3. Geschlechtstypisches Konfliktverhalten. 21

3. Die Aktionsforschung. 26

3.1 Forschungstheoretischer Hintergrund. 26

3.2 Verlauf der Forschungsphase. 29

3.3 Interviews mit Mädchen und Jungen. 31

3.4. Fallvignette zu Aggression und Erotik. 37

3.5. Forschungsaktivitäten der ErzieherInnen. 42

3.6 Ergebnisse. 45

4. Das Fortbildungskonzept 49

4.1. Konzeptuelle Grundlagen. 49

4.2. Das Fortbildungskonzept im Überblick. 52

1. Seminar: Geschlechterverhältnisse. 53

2. Seminar: Konflikt und Konfliktlösungsmodelle. 53

3. Seminar: Die Kindertagesstätte als Ort für Mädchen und Jungen. 54

4. Seminar: Auswertung & Ausblick. 54

4.3. Durchführung und Verlauf der Fortbildung. 55

1. Seminar: Geschlechterverhältnisse. 55

2. Seminar: Konflikt und Konfliktlösungsmodelle. 60

3. Seminar: Die Kindertagesstätte als Ort für Mädchen und Jungen. 63

4. Seminar: Auswertung & Ausblick. 65

Exkurs: Wilde Spiele. 66

4.5. Ergebnisse der Fortbildung. 68

4.4. Die teaminternen Fortbildungen. 71

4.4.1. Überblick. 71

4.4.2. Fallvignette: Bearbeitung zweier Fallbeispiele. 73

4.4.3. Ergebnisse. 76

 

5. Die Evaluation des Forschungsprojekts. 78

5.1. Evaluationskonzept 78

5.2. Ergebnisse des standardisierten Evaluationsfragebogens. 80

5.2.1. Einschätzung der Fortbildung. 80

5.2.2. Lern- und Transfer-Evaluation durch die TeilnehmerInnen. 81

5.2.3. Beurteilung der einzelnen Projektelemente im Gesamtzusammenhang. 83

5.2. Persönliche Lern- und Transferprozesse. 83

5.3. Transferwahrscheinlichkeit und Teamprozesse. 91

5.4. Selbsteinschätzung des eigenen Lernerfolgs – ein Beispiel 95

6. Schlussfolgerungen. 96

6.1. Konsequenzen für die Kindheitsforschung. 96

6.2. Konsequenzen für Aktionsforschung und Fortbildungsprojekte. 97

6.3. Konsequenzen für Fortbildung. 99

6.3. Konsequenzen für Institutionen und Träger der Kinder- und Jugendhilfe. 103

6.5. Konsequenzen für geschlechtsbewusste Gewaltprävention. 105

Literatur 110

Anhang: Untersuchungsinstrumente und Arbeitsblätter 114

 

1. Einführung

1.1. Überblick

„Die Jungs prügeln mehr!“ – „Die Mädchen haben ja auch so Ärger im Kopf wie die Jungs!“ Zwei Sätze von Kindern bezeichnen treffend den Hintergrund, vor dem im Frühjahr 2000 das Aktionsforschungsprojekt „Konfliktlösungsverhalten von Mädchen und Jungen in Kitas“ vom Senatsamt für die Gleichstellung der Stadt Hamburg an die Bildungswerkstatt Hamburg vergeben wurde.

Das vorliegende Projekt steht im Schnittpunkt zweier aktueller gesellschaftlicher Themen: auf der einen Seite der Prävention von Gewalt, auf der anderen Seite der Gleichstellung von Frau und Mann oder, wie es aktuell zunehmend formuliert wird, im Kontext von Gender Mainstreaming. Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt war die Erkenntnis, dass es geschlechtstypische Formen des Konfliktverhaltens gibt, die ihren Ursprung in geschlechtsbezogenen Entwicklungsaufgaben und Sozialisationserfahrungen der Kindheit haben. Das Projekt sollte diese Zusammenhänge untersuchen und davon ausgehend Möglichkeiten für die Entwicklung konstruktiver Konfliktlösungen erarbeiten.

Der Schwerpunkt des Projekts wurde auf Mädchen und Jungen im Grundschulalter gelegt. In Horten gibt es ein hohes Konfliktpotenzial auf Grund des Aufeinanderprallens unterschiedlicher Interessen, Kulturen und Lebenswelten. Konflikte unter Jungen, unter Mädchen und zwischen Jungen und Mädchen werden oftmals aggressiv, zum Teil auch gewalttätig ausgetragen. Hierbei wählen Jungen häufig den Weg der Beschimpfung und Erniedrigung bis hin zur körperlichen Gewalt, während bei Mädchen die Anwendung relationaler Gewalt in Konflikten überwiegt.

Der Umgang mit Konflikten ist ein zentrales Thema sozialen Lernens. Dabei kommt öffentlichen Einrichtungen der Kinderbetreuung als wichtigen Sozialisationsinstanzen eine entscheidende Bedeutung zu, die sich auch in den aktuellen Diskussionen über den Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen niederschlägt. Im Umgang mit Konflikt, Aggression und Gewalt fühlen sich viele Pädagoginnen und Pädagogen jedoch hilflos und unsicher. Im Alltag vieler Institutionen (Kindertageseinrichtungen, Schulen, Freizeiteinrichtungen) werden Konflikte in der Regel nicht als wichtige Lernerfahrungen, sondern als Probleme verstanden, die vermieden oder beseitigt werden müssen. Die Konfliktkultur ist auf das Fehlverhalten Einzelner hin ausgerichtet und reagiert oft im Nachhinein. Gewalt wird bagatellisiert und verleugnet, oder aber es wird bestraft und die Täter werden entfernt. Destruktives Verhalten in Konflikten ist jedoch keine Persönlichkeitsstörung Einzelner, sondern immer in kommunikative Zusammenhänge eingebunden. Deshalb kommt es in Gruppen und Institutionen darauf an, die Dynamik zwischen den verschiedenen Beteiligten einzubeziehen sowie die Auswirkungen von personalen und institutionellen Rahmenbedingungen mit zu reflektieren.

Auffällig ist, dass trotz bekannter geschlechtstypischer Auffälligkeiten im Konfliktverhalten in der Praxis die Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit der jeweils Beteiligten oftmals nicht in den Blick genommen wird. ErzieherInnen sprechen meist von „Kindern“, so dass geschlechtsspezifische Konflikt(löse)modelle kaum wahrgenommen und keine spezifischen Handlungsstrategien für den Umgang mit ihnen entwickelt werden können. Dies steht im Zusammenhang damit, dass geschlechtsbewusste Pädagogik in Kindertageseinrichtungen bislang kaum verankert ist.

Für die Durchführung des Projekts waren zwei Zielperspektiven bestimmend. Zum einen ging es darum, eine geschlechtsbewusste Sichtweise als Querschnittsaufgabe in der Praxis von Kindertageseinrichtungen zu verankern. Jungen und Mädchen sollen dabei in der Auseinandersetzung mit ihrem individuellen Rollenverständnis und geschlechtsbezogenen Zuschreibungen unterstützt und bei der Ausbildung der Identität als Junge bzw. als Mädchen begleitet werden. Hierzu ist es notwendig, die Selbstreflexion der Pädagoginnen und Pädagogen bezogen auf geschlechtsbezogene Wahrnehmungen, Erwartungen und Verhaltensweisen sowie ihre eigene Identität als Frau oder Mann zu initiieren oder zu unterstützen.

Zum anderen leistete das Projekt einen Beitrag zur Gewaltprävention. Ziel des Projekts war es, in den beteiligten Einrichtungen Grundlagen für eine konstruktive Konflikt- und Streitkultur zu legen. Gewaltfreie Konfliktlösungsmöglichkeiten im Miteinander von Mädchen, Jungen, Erzieherinnen und Erziehern sollten entwickelt und in den Alltag von Kindertageseinrichtungen implementiert werden. Hierzu sind die jeweiligen Potenziale von Mädchen und Jungen zu fördern. Weiterhin sollten Aushandlungsprozesse in Gang gesetzt und erlebt werden, bei denen die Stärken und Kompetenzen des jeweiligen Geschlechts zum Tragen kommen können. Außerdem sollten alternative Handlungsmodelle erfahrbar werden.

Die Ziele des Projekts wurden in einem zweistufigen Vorgehen verwirklicht. In der ersten Phase wurde in einer explorativen Feldstudie empirisches Material zu geschlechtsbezogener Entwicklung und zum Konfliktverhalten gesammelt. Hospitationen und Literatursichtung bilden Grundlage der Situationsanalyse durch das Forschungsteam (vgl. Kapitel 2). Im Sinne der Aktionsforschung wurde diese Forschung allerdings nicht nur vom externen Forschungsteam, sondern auch von den beteiligten MitarbeiterInnen selbst durchgeführt. Die zu bearbeitenden Praxisthemen wurden gemeinsam mit allen Beteiligten (Kinder, ErzieherInnen, Leitung, Forschungsteam) definiert. So konnten die Sichtweisen und Erfahrungen sowohl der MitarbeiterInnen als auch der Mädchen und Jungen selbst in das Forschungsvorhaben mit einbezogen werden.

In den Hospitationen waren die MitarbeiterInnen des Forschungsteams teilnehmende BeobachterInnen. Im Vordergrund stand nicht die Beobachtung symptomatischen Verhaltens, sondern ein verstehender Zugang zu Interaktionen von Mädchen, Jungen und ErzieherInnen. Die forschungsleitenden Fragen wurden gemeinsam mit den ProjektteilnehmerInnen entwickelt. Eindrücke aus den Beobachtungen wurden in moderierten Gruppen- und Reflexionsgesprächen zur Diskussion gestellt. Ein wesentlicher Bestandteil der Aktivitäten des Forschungsteams in den Einrichtungen waren Interviews mit Kindern zu Geschlechtsunterschieden, Konfliktverhalten, ihrem Selbstverständnis als Mädchen bzw. Jungen sowie zu ihren Erfahrungen und Sichtweisen zum Thema Konfliktverhalten. In der Auswertung der ersten Projektphase werden die Aussagen der Mädchen und Jungen dargestellt und diskutiert (vgl. Kapitel 3).

Im Forschungsprozess der ErzieherInnen waren die MitarbeiterInnen des Forschungsteams WegbegleiterInnen. Ziel war die Sensibilisierung der ErzieherInnen für den eigenen Umgang mit Konflikten und die Wahrnehmung geschlechtsbezogener Aspekte des Konfliktverhaltens.

Ergebnis der Aktionsforschung war die Entwicklung und Durchführung eines Fortbildungskonzepts in der zweiten Projektphase. Der auf mehrere Seminare verteilte längerfristige Fortbildungsprozess ermöglichte sowohl eine kontinuierliche fachliche und persönliche Auseinandersetzung mit den Themen des Projekts als auch die Erprobung, Umsetzung und anschließende Reflexion von Fortbildungsinhalten in der Praxis. In der Fortbildungsreihe wurde Grundlagenwissen zu geschlechtsbezogener Entwicklung und Sozialisation vermittelt, ein Grundverständnis von Konflikt und Konfliktlösung erarbeitet und konkrete Möglichkeiten für den differenzierten und geschlechtsbewussten Umgang mit Toben und Raufen, Konflikten, Aggression und Gewalt in der Praxis vorgestellt und erprobt. In Kapitel 4 wird das Fortbildungskonzept dargestellt und der Verlauf der Fortbildungen im Überblick und mit exemplarischen Beispielen beschrieben.

Ein wichtiges Anliegen des Projekts war der Praxistransfer, also die tatsächliche Anwendung der Fortbildungsinhalte in der pädagogischen Praxis der ErzieherInnen. Das Projektteam ging von der Annahme aus, dass dieser Transfer ganz wesentlich von strukturellen Rahmenbedingungen beeinflusst wird. Verschiedene Maßnahmen trugen dazu bei, die Einrichtungsleitungen und die anderen Teammitglieder an verschiedenen Punkten des Projekts zu informieren und zu interessieren (Kapitel 4.4).

Das gesamte Forschungsprojekt wurde begleitend evaluiert (siehe unten).Die Ergebnisse der Evaluation werden in Kapitel 5 dargestellt. Im letzten Kapitel des Abschlussberichts werden abschließend Konsequenzen für Gender Mainstreaming, für die pädagogische Arbeit in Kindertagesstätten und für Aus- und Fortbildung diskutiert.

1.2. Aktionsforschung und Evaluation

Aktionsforschung soll die Betroffenen befähigen, ihre Praxis hinsichtlich selbstbestimmter Fragestellungen zu untersuchen und zu verändern. König (2000) sieht in diesem Ansatz eine theoretische Wurzel von Selbstevaluationsverfahren. Gemeinsam ist der Aktionsforschung wie der Selbstevaluation die Praxisorientierung, die Prozessorientierung und die Orientierung auf die beteiligten PraktikerInnen als ExpertInnen in eigener Sache.

Als Betroffene verstehen wir im Rahmen dieses Projektes sowohl die ErzieherInnen der beteiligten Einrichtungen als auch das Projektteam selbst. Auch das Projektteam reflektierte seine Annahmen über das Praxisfeld, die jeweiligen Ziele und Interventionen der Projektphasen fortlaufend auf Teamtreffen, wertete Dokumentationen und Feedbacks der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus und plante auf dieser Grundlage die nächsten Arbeitsschritte. Die Mitglieder des Projektteams betrachteten sich sowohl als Lehrende wie als Lernende durch Kommunikation und Interaktion im Praxisfeld.

Entsprechend der am Projekt beteiligten Partner verfolgt die Evaluation drei Ziele:

  1. den teilnehmenden ErzieherInnen Methoden zur Verfügung zu stellen, mit denen sie überprüfen können, ob und in welchem Umfang ihre Erwartungen an das Projekt sich erfüllt haben und welche Veränderungen eingetreten sind. (Selbstevaluation)
  2. dem Senatsamt als Auftraggeber des Projekts Informationen über die Erreichung der mit dem Projekt verbundenen Ziele zu geben (Programm-Evaluation).
  3. dem Projektteam Rückmeldung zu geben über die Angemessenheit und Wirkung seiner Interventionen als Fortbildnerinnen und Fortbildner und in der Gesamtsteuerung des Projekts (Durchführungs-Evaluation).

Die vom Projektteam ausgewählten Evaluationsmethoden sollten zwei Anforderungen erfüllen: sie sollten entsprechend den Prinzipien von Aktionsforschung nutzerorientiert und prozessorientiert sein.

Nutzerorientiert bezieht sich hier auf die teilnehmenden Fachkräfte. Sie selbst sollten die Fragen formulieren, mit denen sie ihre Praxis evaluieren, und sie selbst sollten Kriterien für den Erfolg des Projekts entwickeln und fortlaufend bewerten.

Prozessorientiert meint hier, dass die mit dem Senatsamt als Auftraggeber vereinbarten Globalziele im Aktionsforschungsprozess durch die Beteiligten konkretisiert wurden. Mit den Beteiligten sind hier auch die Mädchen und Jungen in den Kindertageseinrichtungen gemeint, deren Meinungen und Fragen das Projektteam und auch die ErzieherInnen mit verschiedensten Methoden erhoben und die an verschiedenen Stellen des Projektes thematisiert wurden.

Diesen beiden Orientierungen liegt die Annahme zugrunde, dass sich sowohl die Fragen wie die Fragenden beim Forschen verändern.

Ausgangspunkt des Projekts war laut Ausschreibung des Senatsamtes für die Gleichstellung das Ziel, Gewalt im Verhalten von Jungen und Mädchen zu reduzieren.

„Zielsetzung des Aktionsforschungsprojekts ist es, über Fortbildung ErzieherInnen zu befähigen, Jungen und Mädchen in Kindertageseinrichtungen zu ermöglichen, ihre sozialen Kompetenzen zu erweitern und gewaltfreies Konfliktlösungsverhalten einzuüben. Im Ergebnis soll diese Maßnahme dazu führen, dass gewalttätige Auseinandersetzungen reduziert werden.“ (Öffentliche Ausschreibung für das Aktionsforschungsprojekt Gewaltfreies Konfliktlösungsverhalten von Jungen und Mädchen im Alter von 6 bis 10 Jahren in Kindertageseinrichtungen, Senatsamt für die Gleichstellung, Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1999).

Diesem Ziel liegt die optimistische Vorannahme zugrunde, dass Fachkräfte im Rahmen beruflicher Fortbildung die zur gewaltfreien Konfliktlösung notwendigen sozialen Kompetenzen erwerben, diese dann in ihre alltägliche Praxis transferieren und das Verhalten von Jungen und Mädchen damit nachhaltig beeinflussen können.

Bei der Ausgestaltung des Projektauftrags setzte sich das Projektteam zunächst mit dieser Vorannahme auseinander und entwickelte daraus Forschungs- und Evaluationsfragen, die zunächst die Forschungsphase in den Einrichtungen und die Zwischenreflexions-Treffen strukturierten und mit den ErzieherInnen im Prozess laufend weiterentwickelt wurden. Dabei wurde aus theoretischen und praktischen Überlegungen der Begriff Gewalt weitgehend vermieden. Stattdessen wird von konstruktivem und destruktivem Konfliktverhalten gesprochen (vgl. Kapitel 2).

  • Was ist ein Konflikt – was verstehen Fachleute, ErzieherInnen, Mädchen und Jungen unter den Begriffen Konflikt, Aggression und Gewalt?
  • Welche Unterschiede gibt es zwischen dem Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen? Wie lassen sich mögliche Unterschiede erklären?
    Wie wird das Konfliktverhalten von Mädchen, wie das von Jungen durch Erwachsene wahrgenommen und bewertet?
  • Was unterscheidet eine destruktive von einer konstruktiven Konfliktlösung?
    Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen den Sichtweisen von Mädchen und Jungen sowie denen von Erwachsenen und Kindern?
  • Aus welchen Handlungselementen besteht eine gewaltfreie Konfliktlösung?
    Welche sozialen Kompetenzen sind dafür erforderlich?
    Welche sonstigen Bedingungen in der Kindertageseinrichtung begünstigen bzw. hemmen destruktives Konfliktverhalten und Gewalt?
  • Wie lässt sich das Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen positiv beeinflussen? Welche persönlichen und fachlichen Lernprozesse von ErzieherInnen sind dafür Voraussetzung?
    Welche Bedingungen sind notwendig, damit Fortbildungsinhalte in die Praxis transferiert werden (Transfer)?

Evaluation soll herausfinden, inwieweit angestrebte Zielsetzungen eingetreten sind. Dazu war es notwendig, Informationen über die Situation zu Beginn des Projektes zu erhalten. Zwar liegen bereits fundierte Erkenntnisse zum Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen in Kindertagesstätten vor (vgl. Kapitel 2). Es kann aber nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass die Situation in den am Projekt beteiligten Einrichtungen allgemeinen Aussagen aus bisherigen empirischen Untersuchungen entspricht. Stattdessen war eine differenzierte Untersuchung notwendig, die die aktuelle Situation in den beteiligten Einrichtungen und die konkreten Fragen und Bedürfnisse der ErzieherInnen erfasste.

Wichtig war dabei zu überprüfen, wie zufrieden die ErzieherInnen mit ihrem eigenen Verhalten in Konfliktsituationen der Mädchen und Jungen sind. Wo sehen sie überhaupt einen Veränderungsbedarf? Wie schätzen sie ihre Kompetenzen ein und wo fühlen sie sich tatsächlich überfordert? In den Medien wird seit einigen Jahren immer wieder das vereinfachende Bild „gewalttätige Jungen – überforderte PädagogInnen“ dargestellt. Dieses Klischee sollte hinterfragt und überwunden werden, indem der Blick nicht auf Defizite, sondern auf die vorhandenen Stärken sowohl der Jungen und Mädchen als auch der ErzieherInnen gerichtet wurde.

Neben dem Nutzen für die – als ErzieherInnen und auch als FortbildnerInnen – in der Praxis stehenden Fachleute sollte die Evaluation auch dem Auftraggeber Auskunft darüber geben, ob die Ziele des Programms mit den durchgeführten Maßnahmen und eingesetzten Mitteln tatsächlich erreicht worden sind (Bildungscontrolling). Die Ergebnisse sind nicht nur im Hinblick auf das abgeschlossene Projekt von Bedeutung, sondern auch für die Planung zukünftiger Maßnahmen. Sie sind darüber hinaus auch interessant für Träger von Kindertageseinrichtungen oder Fortbildungsinstitute, die entsprechende Projekte bzw. Fortbildungen planen.

Um die genannten Ziele der Evaluation zu erreichen, kam ein breites Spektrum von Verfahren zum Einsatz. Verwendet wurden standardisierte Fragebogenverfahren, Einzel- und Gruppeninterviews sowie methodische Hilfen zur Selbstevaluation wie z.B. individuelle Zielüberprüfungsbögen. Die Ergebnisse der Evaluation werden in Kapitel 5 dargestellt.

1.3. Projektverlauf

Das Aktionsforschungsprojekt wurde im Zeitraum Mai 2000 bis September 2002 von der Bildungswerkstatt Hamburg durchgeführt. Leiterin des Projekts war Christel van Dieken (Diplom-Pädagogin, Bildungswerkstatt Hamburg), MitarbeiterInnen waren Tim Rohrmann (Diplom-Psychologe, Braunschweig), Verena Sommerfeld (Pädagogin & Supervisorin, Berlin) und Susanne Vormbrock-Martini (systemische Familientherapeutin, Hamburg, bis Sommer 2001).

Von Mai bis August 2000 wurden mit Unterstützung Hamburger Träger von Kindertageseinrichtungen Einrichtungen zur Teilnahme am Projekt akquiriert. Das Projekt stieß bereits bei den Trägervertretern auf großes Interesse, die signalisierten, dass sie die Bearbeitung dieses Themas mit dem Ziel der Gewaltprävention für sehr interessant und wichtig hielten.

Nach einer ersten Veranstaltung für Leitungen und MitarbeiterInnen von Kitas zur Vorstellung des Projektvorhabens bewarben sich insgesamt 16 Kitas zur Teilnahme am Projekt. Ausgewählt wurden schließlich 9 Kitas nach folgenden Kriterien (Teilnehmer/innenliste s. Anlage 1):

  • unterschiedliches soziales Umfeld / Klientel der Kitas
  • verschiedene Größen der Kitas (von ca. 60 – 180 Kindern)
  • verschiedene Betreuungsformen der Hortkinder (altersgemischte Gruppen, „reine“ Hortgruppen, Hortkinder in „offener Arbeit“)
  • Vorerfahrungen/Kenntnisse der teilnehmenden Erzieher/Innen zum Thema geschlechtsbewusste Erziehung.

Um eine Verankerung des Projekts in der Hamburger „Kita-Landschaft“ zu erreichen, wurde Wert darauf gelegt, Kindertageseinrichtungen verschiedener Träger zu berücksichtigen. Beteiligte Träger waren die Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten e.V., die Arbeiterwohlfahrt sowie eine Stadtteilinitiative. Im August 2000 wurden die zur Teilnahme ausgewählten Kindertageseinrichtungen über die Möglichkeit der Teilnahme am Aktionsforschungsprojekt informiert.

Angestrebt wurde zunächst die Beteiligung aller ErzieherInnen der teilnehmenden Kindertageseinrichtungen, die mit der Betreuung von Hortkindern betreut sind. Die Leitungen der Einrichtungen sollte in Vorbereitung und Reflexion eingebunden sein. An den Projektaktivitäten im engeren Sinne nahmen jeweils zwei (in einem Fall drei) MitarbeiterInnen pro Einrichtung teil.

Die erste Projektphase von Oktober 2000 bis Juni 2001 umfasste neben den explorativen Studien des Forschungsteams in den beteiligten Einrichtungen die selbständige Durchführung von Beobachtungen und Aktivitäten durch die für die Projektteilnahme ausgewählten ErzieherInnen. Die Eigenaktivitäten der Beteiligten wurden durch die Bereitstellung von „Forschungswerkzeugen“ sowie vier monatliche Reflexionstreffen mit den ProjektmitarbeiterInnen unterstützt.

Parallel zu den Aktivitäten der ErzieherInnen wurde ein Konzept für eine mehrteilige Fortbildung zum Thema Konfliktlösungsverhalten von Mädchen und Jungen entwickelt. Ausgehend von den Ergebnissen der Forschungsphase und den Fragen und Interessenschwerpunkten der ErzieherInnen wurden dazu aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und geeignete Praxisansätze zu den Themen geschlechtsbezogene Entwicklung, Konfliktverhalten, Konfliktlösungsmodelle und geschlechtsbewusste Pädagogik zusammengestellt und weiterentwickelt.

In der zweiten Projektphase nahmen dann jeweils zwei (in einem Fall drei) ErzieherInnen aus jeder Einrichtung an der Fortbildungsreihe teil, die in vier Blöcken (3 + 2 + 2 + 1 Tage) im Zeitraum von Oktober 2001 bis Februar 2002 durchgeführt wurde. Neben der Ausgabe von Arbeitsblättern im Rahmen der Seminare erhielten alle TeilnehmerInnen einen ausführlicher Reader mit Fachbeiträgen zu den Themen des Projekts. Für die Zeit zwischen den Fortbildungsblöcken entwickelten die TeilnehmerInnen individuelle Praxisvorhaben, die mit Zielüberprüfungsbögen vorbereitet und auf dem folgenden Seminar gemeinsam reflektiert wurden.

Um den Praxistransfer des Projekts und insbesondere der Fortbildungsinhalte in die Teams der beteiligten Kindertageseinrichtungen zu gewährleisten, wurden zu Beginn des Projekts einführende Gespräche in jeder beteiligten Einrichtung geführt, an denen neben den jeweiligen ProjektteilnehmerInnen die Leitung und mindestens ein weiteres Teammitglied beteiligt wurden. Im weiteren Verlauf wurden die Teams von den ProjektteilnehmerInnen auf Dienstbesprechungen über Themen und Erkenntnisse des Projekts informiert. Nach dem ersten Fortbildungsblock wurde mit  allen Teams ein Studientag durchgeführt, um das Thema in der Einrichtung zu implementieren. Dabei übernahmen die jeweiligen ProjektteilnehmerInnen einen Teil der inhaltlichen Gestaltung. Außerdem wurde ein Reader mit ausgewählter Literatur bereitgestellt.

Die Einbeziehung der Eltern wurde vor Ort gemeinsam mit den Beteiligten geklärt. In der Regel übernahmen die am Projekt beteiligten ErzieherInnen die Information der Eltern. Die Eltern reagierten größtenteils interessiert und waren erfreut über die Teilnahme der Kita am Projekt. Vereinzelt kam es zu Bedenken bezüglich der Verwendung der an Kindern erhobenen Daten durch das Forschungsteam; diese Bedenken konnten in Gesprächen ausgeräumt werden. In einer Einrichtung wurde ein Elternnachmittag durch einen Projektmitarbeiter durchgeführt.

Um das Projekt öffentlich zu machen und zur Diskussion zu stellen, fanden folgende Aktivitäten statt:

  • Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirats mit den LeiterInnen der teilnehmenden Kitas sowie Vertretern aus Wissenschaft, Behörden, Fachschulen und anderen Forschungsprojekten. Beiratssitzungen fanden im Dezember 2000, September 2001 und April 2002 statt.
  • Vorstellung des Projektes in der Broschüre „Wenn Jugendliche straffällig werden“ der Freien und Hansestadt Hamburg (Mai 2001).
  • Präsentation und Diskussion des Projektes auf der Abschlusstagung des Forschungsprojektes „Haus Europa – Gleichstellung von Jungen und Mädchen“ der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (Leitung: Prof. Dr. Christian Büttner) im Juni 2001 in Offenbach.
  • Austausch mit weiteren Fachleuten, Forschungs- und Praxisprojekten im gesamten Bundesgebiet.
  • Veröffentlichung von Fachbeiträgen in den Fachzeitschriften Kita Kindertageseinrichtungen aktuell und Kindergarten heute.
  • Präsentation der Ergebnisse des Projektes und des Fortbildungskonzeptes auf einer öffentlichen Abschlusstagung im September 2002.

Die nachfolgende Übersicht fasst den Projektablauf zusammen.


Tabelle 1: Übersicht über den Projektverlauf

Mai bis August 2000

Information und Werbung,
Auswahl der teilnehmenden Einrichtungen

August bis Oktober 2000

Erarbeitung des Forschungssettings

31.10.2000

Gemeinsamer Beginn des Projektes mit allen beteiligten Erzieher/innen

Einführung in Methoden der Aktionsforschung und Ausgabe von Materialien zur Bearbeitung durch die Teilnehmer/innen

Ausgabe des Entwurfs eines Elternbriefes zur Information über das Forschungsprojekt

November 2000 bis Februar 2001

Hospitationen des Forschungsteams in den Kitas:

Durchführung von Teamgesprächen sowie von Kinderinterviews

März, April, Mai und Juni 2001

jeweils ein zwei- bis dreistündiges Zwischenreflexionstreffen mit den an der Aktionsforschung beteiligten ErzieherInnen

Ausgabe von weiteren Arbeitshilfen für Beobachtungen und Forschungsaktivitäten

März bis August 2001

Entwicklung des Fortbildungskonzeptes

Oktober 2001 bis April 2002

Durchführung der Fortbildung in vier Blöcken
(3 + 2 + 2 + 1 Tage)

November/Dezember 2001

Studientage mit den Teams der beteiligten
Einrichtungen

April bis Juni 2002

Gesamtevaluation

Juni bis September 2002

Auswertung und Verfassen des Abschlussberichts

2. Der theoretische Hintergrund: Konfliktverhalten und Geschlecht

2.1. Geschlechtstypische Sozialisation und Entwicklung

„Kinder sind Jungen und Mädchen“. Diese Aussage ist einerseits selbstverständlich, wird andererseits bis heute sowohl in der Kindheitsforschung als auch in der Praxis der Arbeit mit Kindern oft übersehen. In der Auseinandersetzung mit dem Thema Konflikt und Aggression führt es zur paradoxen Situation, dass zwar jeder weiß, dass Jungen mehr durch aggressives Verhalten auffallen als Mädchen, dies aber kaum als wichtige Kategorie für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema weiter verfolgt wird. So äußern Erzieherinnen deutlich ihr Mitgefühl, wenn eine Kollegin erzählt, dass ihre Gruppe zu zwei Dritteln aus Jungen besteht. Trotzdem wird weiterhin allgemein von „Kindern“ gesprochen, wenn konkrete (Konflikt-)situationen bearbeitet werden.

Die Neufassung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes von 1990 formuliert die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen ausdrücklich als ein wichtiges Ziel der öffentlichen Erziehung und fordert dazu auf, „die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen“ und „Benachteiligungen abzubauen“ (KJHG vom 26.6.1990, § 9, 3.). In der Praxis von Kindertagesstätten werden geschlechtsbezogene Zusammenhänge nach wie vor allerdings nur wenig reflektiert. Im Vordergrund stehen entweder unreflektierte Geschlechterbilder („Jungen / Mädchen sind nun mal so!“) oder aber eine „Gleichheitsideologie“, die vorhandene Unterschiede ausblendet, die Bedeutung von geschlechtsbezogenen Aspekten für die Entwicklung von Kindern herunterspielt und das Bemühen um Gleichbehandlung aller Kinder betont (vgl. Permien & Frank, 1995, S. 17; Rohrmann & Thoma, 1998, S. 80).

Vor diesem Hintergrund war die Verankerung einer geschlechtsbewussten Sichtweise in Forschung und Praxis von Kindertagesstätten eine wesentliche Aufgabe des Aktionsforschungsprojekts. Allerdings besteht trotz jahrzehntelanger wissenschaftlicher Forschung nach wie vor keine Einigkeit über grundlegende Fragen geschlechtsbezogener Entwicklung und Sozialisation. In den siebziger und achtziger Jahren dominierten in der Diskussion Ansätze, die in erster Linie Sozialisationsfaktoren als ursächlich für geschlechtstypisches Verhalten ansahen. Dies wirkte sich auch auf die Ausbildung von ErzieherInnen aus, denen vor diesem Hintergrund nahegelegt wurde, Jungen und Mädchen „gleich zu behandeln“ oder sogar gegenstereotypes Verhalten zu fördern.

Im vergangenen Jahrzehnt gewannen Ansätze wieder an Gewicht, die an erster Stelle biologische (genetische, physiologische und cerebrale) Ursachen für Geschlechtsunterschiede verantwortlich machen. Diese Ansätze sind populär, in der Fachdiskussion aber durchaus umstritten. Interessanterweise wird wildes, bewegungsreiches und aggressives Verhalten von Jungen eher mit genetischen Faktoren in Verbindung gebracht als passives Verhalten von Mädchen: „Insbesondere das eher nervzehrende Verhalten von Jungen führt schnell dazu, dies für angeboren zu halten, während das Verhalten der Mädchen nur dann zum Problem wird, wenn man ‚eigentlich’ die Mädchen gern aufmüpfiger – vor allem den Jungen gegenüber – hätte. Hier werden dann die ‚Fehler’ leicht in der familiären Sozialisation gesehen“ (Faulstich-Wieland, 2001, S. 5).

Unsere grundlegenden Positionen als MitarbeiterInnen des Forschungsprojekts lassen sich so zusammenfassen: Anlage und Umwelt wirken bei der Ausprägung geschlechtstypischer Unterschiede zusammen. Eindeutige Aussagen zum Ausmaß, in dem spezifische Verhaltensweisen anlagebedingt sind, sind vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Theorien und Forschungsergebnisse nicht mit Sicherheit zu treffen. Unbestreitbar ist aber, dass sich geschlechtstypische Sozialisation und scheinbar „natürliche“ gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten in starkem Maße auf die Entwicklung von Mädchen und Jungen auswirken.

In unserer Gesellschaft ist nach wie vor ein hierarchisches Geschlechterverhältnis vorherrschend, bei dem „Männliches“ als höherwertig als „Weibliches“ gilt. Dies gilt aber nicht in allen Situationen und für alle Menschen. So ist der Lebensraum Kindertagesstätte nicht nur von Frauen dominiert, sondern zum Teil auch von „weiblichen“ Werten und Einstellungen bestimmt. Um geschlechtsbezogene Entwicklung verstehen zu können, müssen daher die konkreten Strukturen und Bedingungen der Lebenswelten und Institutionen genau in den Blick genommen werden, in denen Mädchen und Jungen aufwachsen.

Neuere Ansätze betonen die aktive Rolle, die Mädchen und Jungen bei der Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität und der Ausprägung geschlechtsbezogener Verhaltensweisen übernehmen. Ausgehend von der Vielfalt von Möglichkeiten und Modellen, die Kinder in ihrem Alltag erleben, gestalten sie ihr individuelles Mädchen- oder Junge-Sein selbst („doing gender“). Dabei setzen sie sich in unterschiedlicher Weise mit geschlechtstypischen Erwartungen und Zuschreibungen auseinander. Ein wesentlicher Aspekt sind dabei die sowohl von Eltern usw. als auch von PädagogInnen unbewusst vermittelten geschlechtstypischen Einstellungen und Bewertungen. Diese tragen in nicht unerheblichem Maße zur Verstärkung geschlechtstypischer Muster bei, auch und gerade wenn sie im Gegensatz zu bewussten Bemühungen von PädagogInnen stehen, nicht stereotypes Verhalten zu unterstützen (vgl. Büttner, 2001; Büttner & Nagel, 2001; Faulstich-Wieland, 2001; Rohrmann, 2001a; Rohrmann & Thoma, 1998).

In der Kinder- und Jugendhilfe werden geschlechtsbezogene Fragen seit drei Jahrzehnten diskutiert. Dabei standen zunächst Benachteiligungen von Mädchen im Vordergrund. Seit ca. 15 Jahren werden zunehmend auch Überlegungen zur Entwicklung und Sozialisation von Jungen mit einbezogen. In Jugendhilfe und Jugendarbeit wurde seitdem ein breites Spektrum von Konzepten und Angeboten der Mädchenarbeit etabliert. Auch Jungenarbeit findet zunehmend Verbreitung. Dabei überwiegen Ansätze der geschlechtshomogenen Gruppenarbeit. Im Arbeitsfeld Kindertageseinrichtungen ist die Thematik dagegen bislang kaum verankert. Erst in den letzten Jahren ist ein steigendes Interesse am Thema festzustellen (vgl. Klees-Möller, 1998; Rohrmann & Thoma, 1998; Walter, 2001; Kasüschke, 2001; Redaktion KiTa aktuell, 2001).

Aktuelle Diskussionsbeiträge werfen ein kritisches Licht auf bisherige Selbstverständlichkeiten und Zielsetzungen geschlechtsbezogener Pädagogik. Anstelle einer Schwerpunktsetzung auf geschlechtshomogene Beziehungen und entsprechende Angeboten der Mädchen- und Jungenarbeit wird die Bedeutung von Geschlechterrelationen, also der Beziehungen zwischen Mädchen und Jungen, hervorgehoben (vgl. Helfferich, 1998; Rose & Scherr, 2000). Rose stellt die Selbstverständlichkeit in Frage, mit der strukturelle Benachteiligungen von Mädchen angenommen werden: „Die Machthierarchie zwischen den Geschlechtern ist vielfach gebrochen durch anders gelagerte Machtstrukturen“ (Rose, 2000a, S. 16). Sie schlägt daher vor, „die Benachteiligungs- und Bevorteilungsbilder aufzugeben und anzuerkennen, dass beide Geschlechter in dem komplexen und widersprüchlichen Feld gesellschaftlicher Hierarchisierungen je eigene biographische Spannungen zu bewältigen haben, die sich nicht gegeneinander aufrechnen lassen, und dass sie beide spezifischen Normalitätszwängen ausgesetzt sind, die ihre je eigenen Konflikte produzieren?“ (ebenda, S. 17).

Daher müssen die konkreten Bedingungen unterschiedlicher Lebenswelten in den Blick genommen werden: „Unterschiede zwischen Jungen (bzw. Mädchen) aus unterschiedlichen Lebenswelten sind oft größer als die zwischen Mädchen und Jungen, die in ähnlichen Verhältnissen leben“ (Rohrmann, 2001a, S. 65). „Den“ Jungen und „das“ Mädchen gibt es immer weniger, denn die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen schaffen Freiräume für sehr vielfältige Formen des Junge- und des Mädchenseins. Während mancherorts Geschlechtergrenzen verschwimmen, bleiben anderswo traditionelle Geschlechterbilder bestimmend oder werden sogar wieder attraktiver.

Vor diesem Hintergrund konnte es nicht Aufgabe des Aktionsforschungsprojekts sein, in erster Linie Aussagen über „die Mädchen“ und „die Jungen“ zu machen. Stattdessen geht es darum, die Vielfältigkeit von Geschlechterbildern zu entdecken und sie in Bezug zur jeweiligen (institutionellen) Lebenswelt zu setzen.

2.2. Konflikt und Aggression

Konflikt, Aggression und Gewalt gehören seit einigen Jahren zu den vorherrschenden Themen in der pädagogischen Fachliteratur und Diskussion. Inzwischen kaum noch überschaubar ist die Zahl der Veröffentlichungen dazu. Während es allerdings eine große Zahl von populären Veröffentlichungen und Ratgeberliteratur gibt, die teilweise ein recht düsteres Bild vom Verhalten insbesondere der Jungen zeichnen, sind die vorliegenden empirischen Aussagen weniger eindeutig. So ist die verbreitete Annahme, dass die Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat, nicht zutreffend. Stattdessen belegen die Untersuchungen, dass nur eine kleine Minderheit Probleme mit Gewalt und Gewaltbereitschaft hat. Die festgestellte Zunahme der Gewalt beruht vor allem auf dieser Gruppe von oft sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen. Die übergroße Mehrheit der Heranwachsenden ist dagegen vorliegenden Untersuchungen zufolge nicht gewalttätiger als vor dreißig Jahren (vgl. z.B. Tillmann et al., 1999). Wiederholt berichtet wird dagegen eine Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten und devianten Verhaltensweisen. Untersuchungen, die belegen, inwieweit gewalttätige Konfliktlösungen bereits in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen zugenommen haben, gibt es kaum (vgl. Dittrich, Dörfler & Schneider, 1996).

Der Umgang mit Konflikten und das Erlernen von Konfliktfähigkeit gehört seit den siebziger des letzten Jahrhunderts zu den Lernzielen pädagogischer Institutionen. Die damals erschienenen didaktischen Einheiten zum sozialen Lernen im Kindergarten stellten die Fähigkeit zur verbalen Lösung von Konflikten in den Mittelpunkt. Damit einher ging die Ablehnung jedweder körperlicher Auseinandersetzung in Konflikten, ausgedrückt beispielsweise in griffigen Parolen wie „Vertragen und nicht schlagen“. Natürlich wurde das Schlagen auch vor dieser Zeit bereits unterbunden oder bestraft. Während dies vorher den Kindern als reine Gehorsamsleistung abverlangt wurde, wurden Kinder seit Ende der sechziger Jahre von den Erwachsenen als „Partner“ gesehen (partnerschaftliche Erziehung). Die Kinder sollten nun als Ergebnis eines Gesprächs „einsehen“, dass Raufen und Kämpfen negativ seien, und stattdessen lernen, durch verbale Aushandlungsprozesse zu Kompromissen zu kommen.

Gedanken dieser Art finden sich in den pädagogischen Konzeptionen vieler Einrichtungen und schlagen sich auch im Alltagshandeln in Aufforderungen wie „Redet darüber!“ wider. Aus der Praxis berichten ErzieherInnen, dass „Reden“ von den Mädchen häufiger praktiziert wird, wenngleich die PädagogInnen ihre Art und Weise der verbalen Konfliktbearbeitung nicht immer billigen. Diese Beobachtung stimmt überein mit wissenschaftlichen Ergebnissen eines insgesamt früheren Spracherwerbs und anderer Sprachkompetenzen von Mädchen gegenüber Jungen. Jungen sind – was die Fähigkeit zur verbalen Konfliktbearbeitung angeht – die „Sorgenkinder“ von ErzieherInnen. So werden sie häufig in Fortbildungen vorgestellt als diejenigen, die „sofort zuschlagen“ und die auch Gesprächen über Konflikte nicht zugänglich sind. ErzieherInnen führen das nicht zuletzt auch auf mediale Vorbilder zurück, bei denen „Kämpfen“ im Mittelpunkt steht. Wenn Jungen Kämpfe nachspielen, die sie in Medien gesehen haben, werden ihre Inszenierungen häufig negativ bewertet und manchmal auch unterbunden.

Körperliche Auseinandersetzungen werden von ErzieherInnen häufig pauschal als „Aggressionen“ oder „Gewalt“ bezeichnet. Dittrich et al. (1996) stellten in einer Literaturrecherche fest, dass die noch in den siebziger und achtziger Jahren häufig auftauchende positive Verwendung des Konfliktbegriffs in den achtziger und mehr noch neunziger Jahren zunehmend zurücktrat und stattdessen die Begriffe Aggression und Gewalt häufig synonym mit Konflikt verwandt werden. Dies bestätigen Erfahrungen aus Fortbildungen und Beratungen. Zwar ist „Konfliktfähigkeit“ eines der von ErzieherInnen am häufigsten genannten Lernziele, jedoch scheint es keinen fachlichen Konsens zu geben, was genau überhaupt unter Konflikt zu verstehen ist und was unter Aggression und Gewalt. Dabei sind die Begriffe zunächst meist mit negativen Assoziationen verbunden (Problem, Krise, unangemessenes Verhalten, Schädigung). Insbesondere der Begriff Gewalt führt leicht zu Missverständnissen, da er mit unterschiedlichen Assoziationen und oft starken Gefühlen verbunden ist. Hilfreicher ist es, die Suche nach konstruktiven Konfliktlösungen in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen und danach zu fragen, welche Kompetenzen Kinder und Erziehende dafür benötigen.

Bereits seit den siebziger Jahren heben empirische Untersuchungen hervor, welche Bedeutung der Erziehungsstil in Konflikten hat. Danach fördert ein sozial-integrativer Stil der ErzieherInnen das kooperative Verhalten von Kindern im Unterschied zu einem autoritären oder laissez-faire-Stil (Schmidt-Denter, 1977). Gleichwohl sehen ErzieherInnen ihr eigenes Verhalten wenig im Zusammenhang mit dem Konfliktverhalten von Kindern, sondern betonen eher den Einfluss des Elternhauses oder mediale Vorbilder.

Im Alltag ist in Kindertageseinrichtungen nach wie vor ein eher symptomatischer Umgang mit Konflikten verbreitet. ErzieherInnen werden auf Konflikte meist aufmerksam, wenn „es brennt“, aber nicht, wenn Kinder etwas erfolgreich miteinander aushandeln. So können sie zwar sagen, wann sie eingreifen, aber nicht, was Kinder in Konflikten lernen. Stattdessen werden einzelne Handlungen „an sich“ verurteilt und individualisiert. ErzieherInnen bemühen sich herauszufinden, wer in einem Konflikt „recht“ hat und versuchen, diesem Beteiligten zu seinem Recht zu verhelfen. In Konflikten, in denen es zu verbalen oder körperlichen Attacken kommt, versuchen Erwachsene, herauszufinden, wer „schuld“ ist und „Täter“ und „Opfer“ zu identifizieren. Eine grundlegende Intervention von ErzieherInnen in Konflikten ist aus dieser Sicht das Gespräch mit den Beteiligten, häufig eingeleitet mit der Frage „Warum hast du gehauen?“ Vorherrschend ist also ein stark wertender Interventionsstil.

Schwierigkeiten im Umgang mit Konflikten sehen ErzieherInnen oft als „persönliches“, nicht als professionelles Problem an. Ein aktiver Umgang mit Konflikten gehört meist nicht zu ihren Zielvorstellungen (vgl. Dittrich et al., 1997; 2001). Zudem trennen sie zwischen eigenen Konflikten und Konflikten mit und unter Kindern. Bei eigenen Konflikten stehen Gefühle im Vordergrund, wogegen beim Umgang mit Konflikten mit Kindern schnell nach Handlungen und Lösungen gesucht wird, die den Konflikt entschärfen können. Dabei steht ihnen nicht zuletzt die Frage der Aufsichtspflicht im Nacken: An den Kindern dürfen keine „sichtbaren Schäden“ entstehen, weil es sonst Probleme mit Eltern gibt.

Im Gegensatz dazu steht eine Sichtweise, die Konflikte als Entwicklungschance und stets als systemisches Geschehen begreift, an dem alle Interaktionspartner Anteil haben. Grundlegend ist die Definition von Glasl:

„Sozialer Konflikt ist eine Interaktion

zwischen Aktoren

wobei wenigstens ein Aktor

Unvereinbarkeiten im Denken/Vorstellen/Wahrnehmen

und/oder Fühlen und/oder Wollen

mit dem anderen Aktor in der Art erlebt,

dass im Realisieren eine Beeinträchtigung durch einen

anderen Aktor erfolgt“ (Glasl, 1993, S. 14f.).

Diese Definition ähnelt der Grundposition des vom Deutschen Jugendinstitut durchgeführten Projekts Konfliktverhalten von Kindern in Kindertagesstätten: „Unter Konflikten (zwischen verschiedenen Individuen oder Gruppen) verstehen wir das Aufeinanderstoßen von Interessengegensätzen, das von den Beteiligten – zumindest von einer Person – als Störung empfunden wird, die den Wunsch hervorruft, sie zu beseitigen. Wir gehen davon aus, dass Konflikte grundsätzlich als integraler Bestandteil zur Kommunikation gehören. Übereinstimmung und Konflikte bilden die zwei Seiten einer Medaille. Insofern betrachten wir Konflikte als Normalfall. Beides findet im Interaktionskontext statt und muss daher prozesshaft beschrieben werden.“ (Dittrich et al., 1996, S. 6).

Die Forscherinnen definieren weiter eine brauchbare Unterscheidung von konstruktiven und destruktiven Konfliktverläufen. „Können sich die Beteiligten auf einen Aushandlungsprozess einlassen, in dessen Verlauf es zur Berücksichtigung und prinzipiellen Gleichbehandlung aller Interessen kommt, sehen wir darin einen konstruktiven Konfliktverlauf“ (Dittrich et al., 2001, S. 19). Wenn dagegen Kinder die Interessen anderer ignorieren oder negieren und „die subjektive Existenz von anderen verleugnet oder gefährdet wird“, sehen die Autorinnen darin einen destruktiven Konfliktverlauf. Zentral für die Unterscheidung zwischen konstruktiven und destruktiven Konflikten ist der Handlungsspielraum aller Beteiligten. So lange sich alle Beteiligten aktiv mit ihren Vorstellungen, Interessen und Fähigkeiten einbringen können, besteht die Chance auf einen konstruktiven Verlauf, selbst wenn ein Konflikt schwierig ist und der Stil der Auseinandersetzung nicht den eigenen Idealvorstellungen entspricht: „Wir unterscheiden danach, ob die Kinder in ihren Auseinandersetzungen den anderen Handlungsspielraum lassen oder nicht“ (ebenda, S. 66, Hervorhebung von den Autorinnen). Der Vorteil dieses Begriffs liegt darin, dass er es einerseits ermöglicht, konstruktive Konfliktverläufe auch in heftigen – sogar körperlichen – Auseinandersetzungen wahrzunehmen, andererseits auch mögliche destruktive Wirkungen von scheinbar „harmlosen“ Geschehnissen sowie die Auswirkungen struktureller Gewalt zu reflektieren.

Soziale Konflikte sind nicht „objektiv“ bestimmbar. Vielmehr braucht es unter den Beteiligten mindestens eine oder einen, der sich beeinträchtigt fühlt und dies ändern will. Auch „aggressives“ Verhalten ist immer in Kontexte und kommunikative Zusammenhänge eingebettet. Der Begriff selbst stellte eine soziale Konstruktion dar: Was aggressiv ist, ist durch die Reaktion der Anderen in einer sozialen Umwelt bestimmt. Soziale Zuweisungen haben die Wirkung von Etiketten und sind nach den mehrheitsfähigen bzw. herrschenden Normen der jeweiligen sozialen Umwelt ausgerichtet.

Hier kommt das Geschlecht ins Spiel: Welche Bewertungen lernen Mädchen und Jungen im Verlauf ihrer Sozialisation, welches Verhalten erwünscht ist (prosozial), welches abzulehnen ist oder sogar bestraft wird? Wo geht Spaß in Ernst über, was ist eine Grenzverletzung – und wie unterscheiden sich diesbezüglich die Wahrnehmungen und Empfindungen von Mädchen und Jungen? Wie unterscheiden sich Männer und Frauen in ihren Einstellungen und Zuschreibungen zur Frage, was „aggressiv“ ist oder was einen aggressiven Mann oder eine aggressive Frau ausmacht – und welche Bewertungen sind damit jeweils verknüpft? Schließlich: Welche Bedeutung haben diese Zusammenhänge, wenn eine Erzieherin kämpfende Jungen sieht – oder Mädchen?

Ein weiterer Faktor ist der Generationenunterschied. Kinder legen andere Bewertungsmaßstäben an ihre Konflikte an als Erwachsene und haben andere Vorstellungen von einer guten Konfliktlösung. Sprachliche und soziale Reflexionsfähigkeit ist für die Mehrzahl der Kinder erst mit 10-12 Jahren zu erwarten (vgl. Valtin, 1993). Bereits kleine Kinder erproben aber vielfältige Formen der Konfliktbewältigung und Konfliktlösung miteinander. Dies zeigen die Untersuchungen von Krappmann & Oswald in Grundschulklassen (vgl. Krappmann, 1994; Krappmann & Oswald, 2000) ebenso wie die Beobachtungen von Kindergartenkindern im DJI-Projekt zu den „100 Sprachen der Kinder in Konflikten“: „Wichtig ist aber, dass ihnen Möglichkeiten des Erprobens zugestanden werden, um selbst Erfahrungen mit den Auswirkungen ihres Verhaltens machen zu können. (…) Kinder experimentieren mit Formen der Auseinandersetzung, die dem Harmonieverständnis der Erwachsenen häufig zuwiderlaufen“ (Dittrich et al., 2001, S. 226). Der Versuch, Konflikte auch aus der Sicht von Kindern zu verstehen, muss daher ein wesentlicher Bestandteil für Bemühungen um neue Wege der Konfliktlösung sein.

Diesem Verständnis entspricht ein verstehenden Zugang, der die kommunikativen Zusammenhänge einer Situation erschließt und das Fühlen, Denken und Handeln aus der Perspektive der Akteure betrachtet. Diese müssen daher auch Gegenstand des Aktionsforschungsprojekts sein. Für die Praxis kann auf Modelle zurückgegriffen werden, die ein systemisches Verständnis von Konflikten ermöglichen und Interaktionszusammenhänge nachvollziehbar machen. Dies sind u.a. Konzepte von Verena Sommerfeld (1996, 1997; Huber & Sommerfeld, 2002), in denen systemische Arbeitsweisen für die gewaltpräventive Arbeit in Kindertageseinrichtungen weiterentwickelt wurden. Auf ähnlicher Grundlage arbeitet die Mediation, ein auch in pädagogischen Arbeitsfeldern zunehmend verbreitetes Konzept (vgl. Faller, 1998; Faller, Kerntke & Wackmann, 1996). Im Zentrum des Mediationsverfahren steht das Aushandeln von Interessen, so dass es in Konfliktlösungen nicht zu Gewinnern und Verlierern kommt, sondern stattdessen beide Parteien ihre Interessen gewürdigt sehen („Gewinner-Gewinner-Lösung).

Eine solche Lösung wird von ErzieherInnen in der Regel auch angestrebt, jedoch fehlt ihnen häufig ein entsprechendes „know-how“ für die Begleitung der Kinder. Meist besteht ihre Unterstützung darin, Kinder aufzufordern „miteinander zu reden“. Gelingt dies nicht, machen sie den Kindern häufig selbst Kompromissvorschläge. ErzieherInnen brauchen zum einen theoretisches Wissen über die Entwicklung von kindlichen Konfliktlösungskompetenzen (vgl. Valtin, 1993), zum anderen ein Rollenverständnis als Vermittlerin in Konflikten sowie dazu passende Gesprächsführungsstrategien. Grundlegend für die Reflexion der eigenen Rolle ist das aus der Mediation stammende Modell „Drei Arten der Konfliktlösung“, wonach Konfliktlösungsstrategien unterschieden werden können nach Konfliktlösung durch Macht, durch Regeln oder durch Verhandeln (Interessenausgleich) (vgl. Faller et al., 1996, S. 116). Jede dieser Strategien wenden ErzieherInnen in der pädagogischen Praxis an. Während „Regeln vereinbaren und überwachen“ sowie „Verhandeln“ von den Fachkräften grundsätzlich positiv gesehen werden, haben sie zum Thema „Macht“ ein ungeklärtes Verhältnis. Einerseits sprechen sie im Alltag häufig „ein Machtwort“, um Konflikte und Stresssituationen zu beenden, andererseits fühlen sie sich dabei unbehaglich und möchten dieses Mittel nur im äußersten Fall anwenden, wenn Reden und Verhandeln „nichts gebracht haben“. Oft wird der Begriff Macht mit Machtmissbrauch gleichgesetzt und darum verurteilt. Andererseits wird es von ErzieherInnen durchaus befürwortet, Kindern Grenzen zu setzen. Hierin kommt eine widersprüchliche Haltung zum Thema Autorität zum Ausdruck: ErzieherInnen möchten Autorität haben, ohne „autoritär“ zu sein. Dies äußert sich in der Praxis in oft unklaren Interventionen.

Wir gehen davon aus, dass ErzieherInnen nur dann erfolgreich in Konflikten intervenieren können, wenn sie diese Themen reflektiert und ein klares Verständnis ihrer professionellen Rolle entwickelt haben. Dazu gehört auch die Reflexion gesellschaftlicher Machtverteilung zwischen Männern und Frauen und das eigene Verhältnis als Frau bzw. Mann zu Macht. Erst auf dieser Grundlage können Interventionen und Deeskalationsstrategien bei destruktiven Konfliktverläufen und Gewaltsituationen wirkungsvoll eingesetzt werden.

2.3. Geschlechtstypisches Konfliktverhalten

Konflikt und Aggression ist einer der Bereiche, in dem Geschlechtsunterschiede am deutlichsten zu Tage treten. „Gewalt ist männlich“ – diese Aussage klingt einleuchtend, egal ob Schreckensmeldungen in den Zeitungen betrachtet werden oder Statistiken zu Aggression, Gewalt und Kriminalität. In der Tat lässt sich schon bei Einjährigen beobachten, dass Jungen häufiger Konflikte beginnen – und häufiger deren Opfer sind. In der weiteren Entwicklung zeigen sie mehr körperliche Aggression, wogegen sich aggressives Verhalten bei Mädchen oft auf verbale und symbolische Formen beschränkt. Mädchen wiederum zeigen mehr kooperatives und prosoziales Verhalten als Jungen. Diese Tendenzen setzen sich im Jugend- und Erwachsenenalter fort und sind durch zahlreiche Untersuchungen gut belegt (zu Schule vgl. Pfister, 1998; Tillmann et al., 1999; zu Jugendgewalt und Kriminalität vgl. Pfeiffer et al., 1998). Zuletzt wurden sie durch die Ergebnisse der PISA-Studie im Bereich Kooperation und Kommunikation bestätigt. „Demnach sind Mädchen im Durchschnitt stärker prosozial orientiert und zeigen geringere individualistische und aggressive Tendenzen als Jungen“. Die befragten fünfzehnjährigen Mädchen zeigten z.B. im Durchschnitt deutlich mehr Empathie, mehr Fähigkeiten zur Perspektivübernahme und Unterstützungsverhalten, wogegen Jungen auf strukturelle Ungerechtigkeiten eher mit „Verantwortungsabwehr“ reagierten. Zur Vorhersage aggressiver Orientierungen erwies sich das Geschlecht „als der erklärungsmächtigste Faktor“; weiter war die Schulform von Bedeutung. Das Geburtsland der Eltern spielte dagegen keine bedeutsame Rolle (Deutsches PISA-Konsortium, 2001, S. 317f.).

Trotz dieser eindeutigen Tendenzen muss dem Umkehrschluss widersprochen werden, dass Gewalt ein „Jungenproblem“ sei. Die meisten Jungen werden nicht gewalttätig, und ein großer Teil der Auseinandersetzungen unter Jungen „bleibt im Rahmen“ und führt zu sozial akzeptablen Lösungen. Die zunehmende Problematisierung aggressiven Verhaltens von Jungen steht nicht zuletzt im Zusammenhang mit den bereits geschilderten Veränderungen in den Einstellungen von Erziehenden zum Thema Gewalt. Dabei werden Verhaltensweisen von Jungen möglicherweise vor dem Hintergrund der Diskussionen über Männergewalt fehlinterpretiert: „Haben wir Erwachsenen das Kämpfen der Jungen mit der Gewalt der Männer in einen Topf geworfen?“, fragen Huber & Sommerfeld pointiert (Huber & Sommerfeld, in Vorbereitung). Kraftvolle körperliche Auseinandersetzung und jungentypisches Spiel stehen heute schnell unter Aggressionsverdacht, Aggression wird als der Beginn einer Gewaltspirale angesehen, und kämpfende Jungen werden als „Macker“ und „Rambos“ tituliert. Dabei wird aus den Augen verloren, dass der körperliche Ausdruck insbesondere von Emotionen eine elementare Ausdrucksform von Kindern (!) ist – und dazu gehören auch rangeln, raufen und kämpfen.

Entscheidend ist weiter eine Tatsache, die oft übersehen wird: Jungen überwiegen nicht nur in der Gruppe der Täter, sondern auch in der Gruppe der Opfer aggressiver Auseinandersetzungen. Daher muss es bei Gewaltprävention nicht nur um mögliche Täter gehen, sondern zunächst um den Schutz von Jungen vor Gewalt – nicht zuletzt, weil Jungen in der Regel Opfer geworden sind, bevor sie selbst als Täter in Erscheinung treten. Ein Verständnis, das Jungen in erster Linie als mögliche Gewalttäter betrachtet, ist sehr problematisch. Bei weitem nicht alle Jungen mit Gewalterfahrungen werden später selbst gewalttätig. Andere Jungen erscheinen eher verunsichert, ängstlich und beschämt, sie zeigen psychosomatische Symptome und andere Auffälligkeiten.

Schließlich sollte nicht übersehen werden, dass zum einen Mädchen als Provokateure oder auch als begeisterte Zuschauer aggressives Verhalten und körperliche Auseinandersetzungen bei Jungen herausfordern können (vgl. Rohrmann, 2001a, S. 143), es zum anderen auch gewaltbereite Mädchen gibt (vgl. Bruhns & Wittmann, 2002). Das Ausmaß, in dem Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen von körperlichen Auseinandersetzungen und Gewalt bestimmt ist, ist von Lebenswelt zu Lebenswelt sehr verschieden und hängt entscheidend mit Erfahrungen und Einstellungen in der Familie zusammen (vgl. Pfeiffer et al., 1999).

Jungen und Mädchen bringen ihre geschlechtstypischen Erfahrungen und Themen in die Kindertagesstätte mit. Und Frauen gehen oft anders mit Konflikten und Aggression um als Männer. Es ist daher kein Zufall, dass es meist um Jungen geht, wenn ErzieherInnen von Konflikten mit Kindern berichten. Diesen Befund spiegeln auch empirischen Untersuchungen in Kindertageseinrichtungen wider. Stärke, Kampfkraft und körperliche Leistungsfähigkeit haben für die Selbstdefinition von Jungen eine zentrale Bedeutung. Aber auch die Anerkennung, die Jungen von Mädchen erfahren, konzentriert sich sehr auf diesen Aspekt. In zwei Befragungen von Hortkindern bezogen sich fast alle positiven Aussagen von Mädchen über Jungen auf sportliche Kompetenzen und die „angebliche physische Überlegenheit“ des männlichen Geschlechts. Andererseits wurde aggressives Verhalten und körperliche Übergriffe von Jungen kritisiert – wo Stärke betont wird, ist Gewalt oft nicht weit (Permien & Frank, 1995, S. 65; Klees-Möller, 1998; Klees-Möller & Budde, 1996). Auch in Befragungen von Grundschulkindern kritisieren Mädchen das Dominanzverhalten von Jungen (vgl. Pfister, 1998, S. 35; Milhoffer, 1999, S. 26).

Mädchen weichen körperlichen Auseinandersetzungen dagegen häufiger aus, verhalten sich – ihrer eigenen Einschätzung nach – defensiver, versuchen Konflikten auszuweichen oder sie verbal zu lösen. Sie lernen früh, dass „aggressiv sein“ nicht zu Mädchen „dazugehört“, und riskieren weniger offene Konflikte mit den Erzieherinnen. Lediglich als „Zickigkeit“ passt aggressives Verhalten zum Bild des „typischen Mädchens“. Aber wer wird schon gern „zickig“ genannt? Frauen wünschen sich heute zwar oft „starke Mädchen“, aber die Verhaltensweisen, mit denen Mädchen sich durchsetzen, werden oft negativ bewertet: Mädchen „kreischen“, sind „hinterhältig“, „petzen“ oder „setzen Tränen als Waffe ein“. Konflikte mit Mädchen rühren bei Erzieherinnen an eigene Lebenserfahrungen als Mädchen und Frau, was erklären kann, dass sie aggressive Verhaltensweisen von Mädchen oft mehr ablehnen als entsprechendes Verhalten von Jungen. Selbst erlebte Abwertungen werden möglicherweise an Mädchen „weitergegeben“. Dann ist es schwer, die Art und Weise, mit der sich Mädchen (manchmal sehr erfolgreich) behaupten, als Stärke wahrzunehmen.

Aggressives Verhalten von Jungen ist im Zusammenhang mit typischem Jungenverhalten, ihrer Suche nach Männlichkeit und dem damit zusammenhängenden Bedürfnis nach Abgrenzung und Unabhängigkeit zu sehen. Ein gewisses Maß von Aggression und wildem Verhalten wird von Jungen erwartet bzw. als „normal“ erlebt. Besonders unsichere und ängstliche Jungen geben dagegen Anlass zur Sorge. Für Jungen „ist es schwierig, die an sie herangetragenen Erwartungen zu erfüllen und Aggressivität und Durchsetzungsfähigkeit so zu dosieren, dass sie ‚männlich’ erscheinen, ohne mit den geltenden Regeln all zu sehr in Konflikt zu geraten“ (Rohrmann, 2001a, S. 134; vgl. vgl. Rohrmann & Thoma, 1998, S. 218).

Auch von Frauen und insbesondere Erzieherinnen wird Jungen kämpferisches Spiel, körperliche Übergriffe und aggressives Verhalten weitgehend zugestanden oder als „offene Konfliktaustragung“ positiv bewertet. Zwar fehlt ihnen oft Verständnis für das wilde Spiel der Jungen, aber es wird in der Regel so lange akzeptiert, wie es die alltäglichen Abläufe nicht all zu sehr stört. Erst, wenn ErzieherInnen die Kontrolle zu verlieren drohen, nehmen Hilflosigkeit und Wut überhand. Provozierende, ballernde oder schreiende Jungen können zudem in Frauen Erinnerungen an respektloses Verhalten und Ängste vor Bedrohung durch Jungen oder Männer wachrufen. Dann werden die Jungen manchmal sehr massiv in die Schranken gewiesen. Auf Jungen können solche plötzlichen heftigen Reaktionen sehr irritierend wirken, und manchmal reagieren sie darauf nur mit noch mehr Aggression (vgl. Rohrmann & Thoma et al., 1998, S. 223; Permien & Frank, 1995, S. 90f.).

Andererseits kann Jungen die Abgrenzung von Frauen als Möglichkeit dienen, ihre Männlichkeit zu „beweisen“. Dazu sind zum Beispiel aggressives Rempeln oder eine „vulgäre“ Ausdrucksweise gut geeignet. Dies funktioniert unter anderem deshalb, weil sich viele Erzieherinnen, von ihren eigenen Lebenserfahrungen geprägt, kaum einmal gestatten, entsprechend zurückzuschimpfen (was oft verblüffende Wirkungen zeigt). Eigene Aggressionen und Wutgefühle passen weder zum eigenen Idealbild von Weiblichkeit noch zur vorherrschenden Ideologie „gewaltfreier“ Erziehung. So kann es dazu kommen, dass Jungen das „Monopol“ für Schimpfworte und aggressive Verhaltensweisen in der Einrichtung haben – und dies damit zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Bildes von Männlichkeit wird.

Männlichen Kollegen wird nachgesagt, dass sie besser mit den Themen Konflikte, Aggression und Macht umgehen können. Für manche Kollegen mag das zutreffen: „Tatsächlich setzen sich Männer nicht nur eher durch, sondern ihre Entscheidungen werden auch von Kindern oft eher akzeptiert“ (Rohrmann, 2001b, 36). Auch Kräftemessen und Kämpfe sind vielen Männern aus ihrer Kindheit vertraut. Andererseits haben viele Erzieher ungewöhnliche Lebensläufe und haben den Arbeitsbereich Kindertagesstätte gewählt, um typischen Anforderungen und Auseinandersetzungen, die an sie als Männer gerichtet werden, auszuweichen. Möglicherweise haben sie schon als Junge mit den Verhaltensweisen Probleme gehabt, mit denen sie jetzt in der Arbeit mit aggressiven Jungen konfrontiert sind.

Die Einstellungen und Handlungen von ErzieherInnen sind also widersprüchlich. Erstaunlicherweise werden gerade die wildesten und „schwierigsten“ Jungen oft als besonders sympathisch und liebenswert beschrieben; durchsetzungsstarke Mädchen werden dagegen nur positiv erwähnt, wenn sie Verantwortung für andere übernehmen. Derartige Widersprüche bekommen Jungen und Mädchen auch dann mit, wenn ihre Eltern und ErzieherInnen vordergründig ganz andere Vorstellungen vertreten oder sich überhaupt nicht zu diesem Thema äußern. Mädchen registrieren sehr genau die Enttäuschung der Erzieherin, wenn sie einmal nicht so „sozial kompetent“ sind wie sonst. Es ist schöner, von ihr gemocht zu werden und sich mit ihr identifizieren zu können – und aus dieser Position heraus mit den Jungen zu schimpfen, die sich wieder nicht benehmen können. Und Jungen sehen das bewundernde Funkeln in den Augen einer Erzieherin, wenn sie ‘mal wieder „über die Stränge geschlagen haben“. „Auch, wenn sie dafür bestraft werden: Sie haben unter Beweis gestellt, dass sie ganze Kerle sind“ (Rohrmann, 2001a, S. 138).

Es lässt sich zusammenfassen, dass inzwischen zahlreiche theoretische Überlegungen, empirische Ergebnisse und Praxiserfahrungen zum geschlechtsspezifischen Konfliktverhalten vorliegen. Im Aktionsforschungsprojekt sollte zum einen untersucht werden, inwieweit die beschriebenen Aussagen auch für die beteiligten Einrichtungen zutreffend sind. Im Vordergrund steht dabei ein differenzierter Blick auf die jeweiligen individuellen und institutionellen Interaktionen und Situationen.

Zum anderen bestand die Aufgabe darin, den TeilnehmerInnen diese Zusammenhänge zu vermitteln und ein Verständnis für geschlechtsbezogene Hintergründe des Konfliktverhaltens zu entwickeln. So muss aggressives Verhalten von Jungen im Zusammenhang mit ihrer Suche nach (oder dem „Beweis“ von) Männlichkeit gesehen werden, konfliktvermeidendes oder „indirektes“ Verhalten von Mädchen mit der Abwertung von Aggression in der weiblichen Sozialisation. Von Interesse ist zudem, inwieweit Konfliktsituationen mit bzw. unter Kindern von Erzieherinnen tatsächlich anders wahrgenommen werden als von ihren männlichen Kollegen.

Gewalt ist nicht männlich, aber Konfliktverhalten hängt in großem Ausmaß mit geschlechtsbezogenen Erwartungen und Entwicklungsprozessen zusammen. Die differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Fragen wird als wesentliche Grundlage für den Entwurf von Handlungsstrategien gesehen, die den spezifischen Bedürfnissen und Lebenslagen von Mädchen und Jungen gerecht werden.

3. Die Aktionsforschung

3.1 Forschungstheoretischer Hintergrund

Angesichts des erheblichen Praxisdrucks bezüglich der Themen des Projekts erschien ein Vorgehen sinnvoll, das Forschung, Fortbildung und Praxisreflexion miteinander verbindet, da dies nicht nur Erkenntnisgewinn verspricht, sondern auch unmittelbaren Nutzen für die Praxis. Büttner fordert für Untersuchungen in pädagogischen Arbeitsfeldern eine „interaktive Sozialforschung“, die Methoden aus der Aktions- und Handlungsforschung, der Gruppendynamik und der Erwachsenenbildung beinhaltet (Büttner, 2002, S. 214). Die grundlegenden Ziele von Aktionsforschung lassen sich mit Nagel folgendermaßen formulieren: „Erklärtes Ziel von Aktions- und Handlungsforschung ist es, ein in einem beliebigen gesellschaftlichen Bereich auftretendes Problem aufzugreifen und zusammen mit den davon Betroffenen zu erforschen und zu lösen. (…) Problemdefinition, Problemanalyse sowie die Erarbeitung und Realisierung einer Problemlösung sind Gegenstand eines von Wissenschaftlern und Betroffenen gemeinsam getragenen und gestalteten Forschungs- und Handlungsprozesses. Dieser Prozess intendiert primär nicht die Gewinnung neuer Erkenntnisse, sondern die Herstellung einer neuen Handlungssituation für die Betroffenen“ (Nagel, 1982, S. 7.).

Aktionsforschung orientiert sich an einem Modell von Veränderungsprozessen, das von Kurt Lewin stammt. Demnach gibt es verschiedene Stadien, die ein „Feld“ (hier: Kindertageseinrichtung) durchläuft. Das erste Stadium nennt Lewin Frozen: Die AkteurInnen haben ein Problem, z.B. destruktive Konfliktlösungsmuster oder aggressives Verhalten. Sie versuchen dieses Problem mit den ihnen zur Verfügung stehenden Problemlösungsstrategien oder Verhaltensmustern zu lösen. Dies bleibt jedoch unbefriedigend, da die Beteiligten das Problem nicht zufriedenstellend lösen können. Damit es zu einer Veränderung kommt, ist es zunächst notwendig, die bisherigen Strategien in Frage zu stellen (Unfreezing): Die AkteurInnen „tauen“ gleichsam auf und werden offen für Neues. Erst dann sind sie bereit, zu lernen (Changing). Die erste Versuche, etwas anders zu machen, werden meist als mühsam erlebt, es dauert eine Weile, bis sich Erfolg einstellt. Immer noch ist es möglich, aufzugeben („es nützt alles nichts“). Die Stabilisierung von Veränderungen – Lewin nennt sie Refreezing – gelingt nur, wenn diese neuen Strategien ausgewertet und im Alltag verankert werden (zusammengefasst nach Schmidt & Berg, 1995).

In ähnlicher Weise beschreibt Wahl (1993) Lernprozesse in der Erwachsenenbildung. Er nennt drei Stadien für Lernprozesse: 1. Außer Kraft setzen vorhandener handlungssteuernder Prozesse, 2. (Um-)lernen und 3. Verdichten zu veränderten Situations- und Reaktionstypen. Es sei naiv, anzunehmen, dass in Fortbildungen lediglich neues Wissen vermittelt werden müsse und dies dann in der Praxis angewendet werde. Vielmehr brauchen TeilnehmerInnen von Fortbildungsveranstaltungen Hilfen, um „bisherige handlungssteuernde Prozesse und Strukturen gemäß den neu erhaltenen Informationen außer Kraft zu setzen und zugleich neue handlungssteuernde Prozesse und Strukturen, die künftig sein Handeln bestimmen sollen, schrittweise aufzubauen.“ (Wahl, 1993, S. 60). Geschehe dies nicht, seien der oder die Handelnde häufig noch frustrierter, da er oder sie ja wider „besseres“ Wissen das alte Verhalten beibehält. Auch diese Reaktionen sind aus der Fortbildung von ErzieherInnen bekannt, wenn etwa berichtet wird, schon „so und so viele“ Seminare zum Thema „Aggression“ gemacht zu haben, die DozentInnen jedoch „nur Theorie vermittelt hätten, die in der Praxis nicht anwendbar sei“.

In der Unfreezing-Phase von Aktionsforschungsprojekten geht es vor allem darum, die Wahrnehmung von Situationen zu schärfen, Informationen zu sammeln und verschiedene Perspektiven einzunehmen. Im Projekt Konfliktlösungsverhalten von Mädchen und Jungen wurde dies in der ersten Projektphase umgesetzt, in der die ErzieherInnen angeregt wurden, sich auf eine „Forschungsreise“ zu begeben, deren Verlauf in diesem Kapitel dokumentiert wird.

In den methodischen Zugängen orientierten wir uns an neueren theoretischen und empirischen Erkenntnissen der Kindheitsforschung, die die Perspektive der Kinder in den Vordergrund stellt (vgl. Honig, Lange & Leu, 1999; Rohrmann, 1996). Kazemi-Veisari macht deutlich, dass bei dem Versuch, Kinder zu verstehen, Beobachtungen zu Beachtungen werden. Zu einer Chance wird dies dann, „wenn aus Be(ob)achtungen Fragen anstatt Feststellungen werden, denn nur so wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich ein Kind entwickelt und verändert; dass es von Anbeginn und zu jedem Zeitpunkt seines Lebens eine vielschichtige Persönlichkeit ist, die denkt, fühlt, handelt, sich ausdrückt und sich mit sich und seiner Mitwelt auseinandersetzt“ (Kazemi-Veisari, 1995, S. 13).

Rohrmann (1996) hält für den Versuch, das Verhalten und Erleben von Kindern zu verstehen, methodisch nicht festgelegte und individuelle Zugänge für besser geeignet als objektivierende Vorgehensweisen und quantitative Forschungsmethoden. Vor dem Hintergrund von wissenschaftstheoretischen Überlegungen stellt er vermeintlich „objektive“ Untersuchungsmethoden in Frage und fordert stattdessen Herangehensweisen, die die subjektiven Perspektiven sowohl der Untersuchten als auch der UntersucherInnen berücksichtigen und reflektieren. „Eine Untersuchung von Kindern sollte daher auch den Kindern selbst die Gelegenheit geben, ihr Wissen von sich und der Welt darzustellen“ (Rohrmann, 1996, S. 9).

Für praxisorientierte Forschung ist es zudem sinnvoll, Methoden auszuwählen, die auch für ErzieherInnen verständlich und von ihnen im Alltag einzusetzen sind (vgl. Rohrmann, 1996, S. 59). Im Rahmen des Aktionsforschungsprojekt wurden daher Fragestellungen und Methoden entwickelt, die sowohl vom Forschungsteam als auch von den Beteiligten selbst angewendet werden und an die jeweiligen individuellen Situationen und Interessen angepasst werden konnten. Der folgende Auszug aus einem unter dem Titel „Werkzeugkoffer“ an die ProjektteilnehmerInnen ausgegebenen Arbeitsblatt gibt wesentliche Grundgedanken unseres Forschungsverständnisses wieder (vgl. Anlage 3).

Unser Forschungsverständnis

Wir begeben uns gemeinsam auf die Suche nach Antworten auf die Frage, wie Jungen, Mädchen, Frauen und Männer aus verschiedenen Kulturen konstruktiv zusammenleben und erfolgreich Konflikte lösen können.

Wir möchten dazu zunächst die Lebenswelten von Mädchen, Jungen und ErzieherInnen kennenlernen. Wir möchten uns selbst einen Eindruck von den räumlichen, materiellen und personellen Bedingungen in der Kita machen.

Uns interessiert, was Erzieherinnen und Erzieher im Zusammenhang mit unserem Thema auffällt und wichtig ist, und wir möchten das, soweit dies in der Kürze der Zeit möglich ist, selbst einmal beobachten – „das müsst ihr euch einmal angucken!“.

Wir möchten Jungen und Mädchen selbst dazu befragen, wie sie ihren Alltag erleben.

Wir bringen eigene Fragen mit, wir möchten Ihre Themen und Fragen erfahren und Sie dazu anregen, neue Fragen zu stellen.

In diesem Sinne sind nicht wir die ForscherInnen und Sie die „Erforschten“, sondern wir begeben uns auf eine gemeinsame Forschungsreise. Wir nehmen dabei verschiedene Rollen ein: einmal sind wir Mitreisende, auch einmal Zugchefs, aber in erster Linie verstehen wir uns als ReisebegleiterInnen.

Für die konkrete Ausgestaltung von Forschungsfragen und Leitfäden war zum einen wichtig, angemessene Formulierungen zu finden, mit denen sowohl die Perspektive der Erwachsenen als auch die Perspektive der Kinder erfasst werden konnte. Zum anderen war zentrales Bemühen, nicht nur an Problemen und Defiziten anzusetzen, sondern auch an Stärken und vorhandenen Kompetenzen. Dabei gehen wir davon aus, dass selbst bei sehr schwierigen Problemlagen bei allen (!) Beteiligten Ressourcen vorhanden sind, die Ausgangspunkt für Konfliktlösungen und Weiterentwicklung sein können.

Zweifellos brauchen Lernprozesse, die auf die Gewinnung persönlicher Kompetenzen abzielen, Zeit und damit kontinuierliche Projekte und Langzeitfortbildungen. Allerdings stellt sich auch in langfristigen Fortbildungen der Praxis-Transfer nicht von selbst ein. Die Beharrungskräfte der Institutionen sind erheblich. Es stellt sich deshalb die Frage, wie das gesamte Umfeld der TeilnehmerInnen in den Unfreezing-Prozess einbezogen werden kann. Für unser Projekt wurden dazu zum einen Teambesprechungen und Studientage durchgeführt. Zum anderen wurde die Beteiligung von jeweils zwei Personen aus einer Einrichtung zur Bedingung der Projektteilnahme gemacht. Wahl (1993, S. 84) hält solche „Praxis-Tandems“ für außerordentlich erfolgreich. Durch sie würden sich gleichsam die Kräfte bei der Problembewältigung vergrößern; die Arbeit könne selbst dann noch vorangehen, wenn die Kräfte des einen Partners vorübergehend nachlassen. Tandems könnten auch „Schutzschilde“ gegen die „Giftpfeile“ aufbauen, die von KollegInnen ausgehen, wenn jemand eingefahrene Abläufe und Verhaltensweisen in Frage stellt und versucht, Neues zu probieren.

Diese Erfahrungen bestätigen sich eindrucksvoll in den Rückmeldungen der TeilnehmerInnen am Aktionsforschungsprojekt (vgl. Kapitel 5). Offen ist die Frage der Stabilisierung von Lernprozessen. Realistischerweise muss gesagt werden, dass Gelerntes auch wieder verlernt werden kann, wenn die Gegenkräfte zu stark sind. Die Wirksamkeit ist umso größer, je mehr Unterstützung die Projektbeteiligten durch die Institution erfahren (insbesondere durch Leitung und Vorgesetzte) und eine geschlechtsbewusste Grundhaltung und konstruktive Konfliktlösungstrategien zu handlungssteuernden Prinzipien der Institution werden (Refreezing-Prozess). Dazu finden sich in Kapitel 6 Empfehlungen.

3.2 Verlauf der Forschungsphase

Als Einstieg in die Aktionsforschung dienten Teaminterviews in allen beteiligten Einrichtungen, wobei z.T. das ganze Team, z.T. nur die beiden Projektbeteiligten und ein oder zwei weitere Teammitglieder sowie ggf. die Leitung der Einrichtung beteiligt waren. Diese Interviews dienten in erster Linie der Kontaktaufnahme und einem ersten Austausch über die Themen des Projekts. Dabei wurden die MitarbeiterInnen der Einrichtungen als ExpertInnen angesprochen und erfuhren Beachtung und Wertschätzung für ihre Tätigkeit. Als inhaltlicher Schwerpunkt wurde das Thema Regeln ausgewählt, da dies wesentlich mit den Themen des Projekts zusammenhängt und nur schwer mit standardisierten Verfahren zu erfassen ist (vgl. Anlage 6). Außerdem wurde den MitarbeiterInnen die Möglichkeit gegeben, dem Forschungsteam Aufträge für Beobachtungen und Kinderinterviews mitzugeben.

Anschließend führten die Mitglieder des Forschungsteams Hospitationen und Kinderinterviews durch. Die Aussagen der Kinder werden im folgenden Abschnitt wiedergegeben. Eine exemplarische Konfliktsituation aus der Hospitationsphase wird als Fallvignette in Abschnitt 3.4. dargestellt. Ausgewählte Auszüge aus Interviews und Beobachtungen wurden anschließend den jeweiligen Einrichtungen in schriftlicher Form übermittelt. Bereits diese erste Forschungsphase regte die MitarbeiterInnen vieler Teams zur intensiven Beschäftigung mit den Projektthemen an. Auch bei vielen Kindern hinterließ diese Phase einen nachhaltigen Eindruck.

Parallel und in der Folgezeit erhielten die Projektbeteiligten dann verschiedene Anregungen zu eigenen Forschungsaktivitäten, die sich an den dem Projekt zugrundeliegenden Forschungsfragen orientierten. Dies wurde auf monatlichen Zwischenreflexionstreffen gemeinsam ausgewertet. Am Ende der Forschungsphase stand die Erarbeitung von individuellen Fragen und Lernbedürfnissen der TeilnehmerInnen für die Fortbildungsphase.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über den Verlauf der Forschungsphase und die eingesetzten Materialien.

Tabelle 2: Übersicht über den Verlauf der Forschungsphase

Oktober 2000

Ausgabe eines Fragebogens zu räumlichen und personellen Rahmenbedingungen zur Bearbeitung durch die Teilnehmer/innen (Anlage 2)

Einführung in Methoden der Aktionsforschung (Anlage 3: „Werkzeugkoffer“ – unser Forschungsverständnis) und in die Führung eines Forschungstagebuches (Anlage 4)

November 2000 bis
Februar 2001

Hospitationen des Forschungsteams in den Kitas:

Durchführung von Teamgesprächen sowie von
Einzel- und Gruppeninterviews mit Mädchen und Jungen (Anlage 6 und 7)

Vergabe des ersten Leitfadens zur Beobachtung durch die Erzieher/innen zu räumlichen Bedingungen, Kooperation und Konflikten zwischen Mädchen und Jungen, Regeln (Anlage 8)

Februar bis März 2001

Reflexion und Interpretation der Ergebnisse der Hospitationen und Interviews

Zusendung von ausgewählten Interviewauszügen und Beobachtungen des Forschungsteams (in anonymisierter Form) an die jeweiligen Einrichtungen

März, April,
Mai und Juni 2001

jeweils ein zwei- bis dreistündiges Zwischenreflexionstreffen mit den teilnehmenden Erzieher/innen und zwei Personen aus dem Forschungsteam

Reflexion bisheriger Eindrücke und Aktivitäten und Ausgabe von Arbeitshilfen für weitere Beobachtungen und Forschungsaktivitäten (Anlagen 9, 10 und 11)

 

3.3 Interviews mit Mädchen und Jungen

„Welch Glück sondergleichen, ein Manns-Bild zu sein!“ – diesen Satz legte Goethe sogar einer Frau in den Mund. In unserer Zeit ist das nicht mehr so selbstverständlich – oder doch? Während die Geschlechterforschung verunsicherte Jungen und Männer zunehmend als Problemgruppe beschreibt, sind sich manche Mädchen und Jungen noch ganz einig darin, dass es besser ist, ein Junge zu sein als ein Mädchen. Andere wiederum sehen kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Vor diesem Hintergrund gibt die folgende Übersicht einen breiten Einblick in die sehr vielfältigen Sichtweisen der von uns befragten Mädchen und Jungen.

Im Rahmen des Aktionsforschungsprojekts interviewten wir 81 Kinder in den beteiligten Tageseinrichtungen. Befragt wurden 42 Jungen und 39 Mädchen im Alter von sechs bis dreizehn Jahren. Ausgangspunkt für die halb offenen Interviews war ein Leitfaden mit den folgenden Fragen:

  • Wie geht es dir hier im Hort?
  • Was ist „Gewalt“? Was ist ein „guter Streit“, was ist ein „schlimmer Streit“?
  • Wie viel „schlimmen Streit“ gibt es hier? Mit Mädchen? Mit Jungen?
  • Wie löst ihr Konflikte?
  • Wann greifen die Erzieher ein? Zu wenig? Zu viel? Wann bittet ihr sie um Unterstützung?
  • Bist du gern ein Mädchen / Junge? Was findest du daran toll? Was nicht?
  • Was macht einen richtigen Mann aus? Was macht eine richtige Frau aus?
  • Gibt es beim Streiten Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen?
  • Gibt es jemanden, mit dem du sprechen kannst, wenn du Probleme oder Kummer hast?
  • Was würdest du dir wünschen – was sollte sich im Hort verändern?

Die Interviews wurden mit Audiorecorder aufgenommen und anschließend von den ProjektmitarbeiterInnen transkribiert.

Was findest du toll daran, ein Mädchen bzw. ein Junge zu sein?

Ist es besser, ein Junge oder ein Mädchen zu sein?

Die meisten Kinder sind offensichtlich mit ihrer Geschlechtszugehörigkeit zufrieden und können etwas benennen, was sie daran toll finden. Lediglich einige Mädchen meinten, es sei besser, ein Junge zu sein; insbesondere waren dies nichtdeutsche Mädchen. Umgekehrt war kein Junge der Ansicht, es sei besser, ein Mädchen zu sein. In Bezug auf Jungen wird sowohl von Jungen als auch von Mädchen positiv hervorgehoben, dass sie stärker seien. In Bezug auf sich selbst benennen vor allem Mädchen selbst positiv, dass sie nicht so viel hauen/prügeln; allerdings erwähnen auch einige Jungen Schattenseiten von körperlichen Auseinandersetzungen unter Jungen. Das Thema Konfliktverhalten ist damit eine zentrale Kategorie für die (Selbst)definition von Geschlecht.

 

„Mädchen sehen schöner aus und streiten und boxen nicht so viel und sagen nicht so schlimme Wörter und kriegen nicht so viel Ärger“ (Mädchen).

„Jungs ist besser als Mädchen, weil die schlagen können und helfen. Aber wir können das nicht“ (Mädchen, 10 Jahre).

Eine Muschi ist ja nicht so schlimm wie ein Pillermann (Mädchen, 7 Jahre)

 

Was ist toll daran, ein Mädchen zu sein?

„Eigentlich nichts. Ich kann ja nichts dafür, dass ich ein Mädchen bin.“ (Mädchen, 7 Jahre).

„Mädchen sind besser, weil Jungs hauen. Die sind nicht gut. Die klauen auch“ (Mädchen, 8 Jahre).

„Das Besondere ist auch am Mädchen, dass sie auch lange Haare haben und nicht schlimme Worte sagen, wenn sie sich mal gestritten haben“ (Mädchen, 8 Jahre.

„Naja, Mädchen, die sind nicht so kräftig. Wenn ich ein Junge wäre, dann würde ich jeden schlagen, nur weil der dann mal ein falsches Wort sagt“ (Mädchen, 10 Jahre).

„Also, dass wir im Sommer immer Kleider tragen, und die Jungs müssen dann trotzdem kurze Hosen tragen.“ (Mädchen, 9 Jahre).

 

 

Nicht immer ist es toll, ein Mädchen zu sein:

„Ich wäre gern ein Junge, kann man sich besser wehren. Mädchen können sich nicht so gut wehren“ (Mädchen). „Wenn die Jungen anfangen zu prügeln, dann wünsche ich mir immer ein Junge zu sein. Dann könnte ich die auch verkloppen“ (Mädchen, 7 Jahre).

„Wenn man sich als Junge streitet, heult man nicht. Ich heul auch nicht so (Mädchen).

 

Und ein Fazit:

„Ja, und das beste ist, die Jungs finden die Jungs besser und die Mädchen finden Mädchen besser, das ist ja der Unterschied“ (Mädchen).

 

„Jungs sind stärker als Mädchen“ (hierin waren sich viele Jungen und Mädchen einig; z.B. Mädchen, 10 J.; Jungen, 11 Jahre,).

„Jungs sind besser, weil sie stärker sind.“ „Nein, nicht weil man stärker ist.“ (Zwei Jungen, 11 Jahre).

Junge sein ist besser: „Kannst alles machen, Musik, Fußball, Basketball… alles.“ (zwei Jungen, 12-13 Jahre).

Was ist toll daran, ein Junge zu sein?

„Ich bin gern ein Junge, weil die Mädchen wollen ja gern erobert werden, so hab ich das gehört, und ich versuch das auch hier (im Hort), denn ich lieb hier eine“ (Junge, 10 Jahre).

„Es ist gut, ein Junge zu sein, weil man kein Baby kriegt. Das tut so weh.“(Junge, 8 Jahre)

„Findet ihr das gut, ein Junge zu sein?“ Alle: „Ja.“ A: „Ja, besser.“ „Ja? Warum?“ A: „Stärker.“ B. „Nicht weil man stärker ist.“ A: „Von den Auto, zu fahren Auto. Gut so.“ B: „Wieso, Mädchen fahren doch auch Autos.“ A: „Aber nicht so schneller.“ M sagt (in seiner eigenen Sprache): „Mädchen und Jungen können Auto fahren.“ B: „Mädchen können alles machen, was auch Jungs machen.“ A (widersprechend): „eh-eh.“ „Du meinst nicht? Was können Mädchen nicht?“ A: „Mädchen können nicht Spagat machen.“ B: „Manche können. (…) Manche Jungs können auch nicht Spagat machen.“ (Gespräch mit mehreren Jungen, 8-11 Jahre).

Nicht immer ist es toll, ein Junge zu sein:

„Junge sein ist besser, haben mehr Kraft. – Jungs kann mehr passieren als Mädchen“ (Junge).

„Eigentlich sind die Jungen ja auch viel empfindlicher als die Mädchen. Die Jungs schlagen sich mehr als die Mädchen. Die werden schneller wütend.“ (Junge).

„…weil, wenn man weint, dann ist es irgendwie so peinlich. Weil wir sind ja cool, und wenn sich coole Jungs treffen und wir heulen, dann lachen sie uns alle aus“ (Jungen, 10 Jahre).

„Blöd, weißt du, ich will sterben.“ Du willst sterben? „Ja, das ist das beste. Dann brauchen die mich nicht mehr schlagen.“ (Junge).


Was macht einen richtigen Mann – eine richtige Frau aus?

Die Antworten zu dieser Frage reichen von der Wiedergabe von allgemeinen Stereotypen bis zu sehr individuellen Aussagen über die eigenen Eltern. Bei Mädchen wird eine breite Spann­weite von traditionellen Geschlechtsstereotypen bis hin zur Vorstellung von Gleichheit von Frau und Mann sichtbar. Jungen äußern einerseits ebenfalls traditionelle Vorstellungen, zum Teil mit massiv frauenabwertender Tendenz. Andererseits kommt ein großes Ausmaß an Orientierungslosigkeit zum Ausdruck, insbesondere bei Jungen, die ihren Vater „nicht haben“ (so formulieren sie es manchmal selbst). Einen entscheidenden Stellenwert nahm dabei das Thema Gewalt ein, in Einzelfällen auch die Gewalt von Müttern gegen ihre Kinder.

 

Was macht eine richtige Frau aus?

„Eine richtige Frau hat lange Haare, Brüste, ist nicht fett, sie mag Tiere, hat einen Beruf – Tierärztin.“ Frage: Und ist eure Mutter so? „Nein.“ (Mädchen, 7 Jahre).

„Lange Haare, richtige Brüste und überhaupt nicht fett“ (Mädchen).

„Frauen haben lange oder kurze Haare, tragen auch Kleider“ (Mädchen)

„Sie muss im Haus bleiben, sauber machen, essen machen und auf die Kinder aufpassen.“ – „Wenn sie haben Kinder. Sonst nicht.“ (Zwei Mädchen, 10 Jahre).

Frage: Muss eine Frau auch stark sein? „Nein. Der Mann beschützt die Frau.“ (Mädchen)

Eine richtige Frau, wie muss die sein?

„Also auch so wie der Mann.“ „So ähnlich.“ Frage: So ähnlich? „Genau!“ (zwei Mädchen, 7 Jahre).

„Und das ist ja auch das Tollste, dass man ja auch ein Kind haben kann, die Frau“ (Mädchen).


 

„Langes Haar, schöne Sachen anhaben, schönes Gesicht, nett…“ Frage: Muss sie auch kräftig sein? „Nein.“ Frage: Muss sie denn irgendwas Besonderes können? „Ja. Abwaschen, putzen, gutes Essen machen…“ (Junge).

„…große Möpse!“ (Junge, 13 Jahre)

„Wenn ein Mann eine Frau richtig doll haut, wie mein Vater meine Mutter“ (Junge, 7).

„Dass die immer so viel schlägt, genau wie meine Mutter.“ „Meine auch.“ (zwei Jungen, 8 Jahre).

 

 

 

 

„Im Leben entwickeln sich Männer zu ganz reich, haben sehr gute Karriere, und manche Frauen werden angestellt, ausgestellt und gekauft“ (Junge, 9 Jahre).


Was macht einen richtigen Mann aus?

„Ein Mann hat einen Penis. Mein Vater ist lieb und bringt Überraschungen. Eine Frau ist zickig. Mädchen sind schöner“ (Mädchen).

„Ein Mann trägt kurze Haare und Bart“ (Mädchen).

„Also, er sollte modern sein, sehr moderne Sachen… und ich finde, dass Männer und Frauen nicht arm sein dürfen, weil dann ziehen sie solche Klamotten an… Und, wenn ein modern ist und Geld hat…“ (zwei Mädchen, 7 Jahre)

„Kämpfen! – Nein, er geht zur Arbeit. – Er darf immer nach draußen gehen“ (mehrere Mädchen, 10 Jahre).

„Er muss seine Frau und seine Kinder beschützen“ (Mädchen).

„Ein echter Mann ist so, dass er seine Frau auch lieben muss“ (Mädchen, 10 Jahre) (man beachte das Wörtchen „auch“!).

„Einige Männer sind auch Kindermörder“ (Mädchen, 8 Jahre).


„Er muss einen Bart haben. Und Haare hier am Körper. Und weiter weiß ich nichts mehr“ (Junge, 7 Jahre).

„Cool ist er, normal, ein guter Mann. Ein perfekter, schöner Mann. Kann im Stehen pissen“ (Junge, 8 Jahre).

„Er geht zur Arbeit und kann richtig doll zuschlagen“ (Junge, 7 Jahre).

„Die Männer arbeiten mehr. Frauen sind meistens Putzfrauen“ (zwei Jungen, 9 Jahre).

„Ein richtiger Mann sitzt abends vorm Fernseher und sagt: He, Frau, koch mir mal was, gib mal ein Bier und eine Tüte Chips“ (Junge).

„Nintendo… Game Boy color… und natürlich den ganzen Tag im Bett hocken wie mein Vater“ (7 Jahre).

„Jeder Mann soll keinen verprügeln, nur auseinandernehmen. Und wenn es Streit gibt, nicht einmischen, wenn es so doll Streit gibt, nicht einmischen, und soll ein bisschen Hübsches für seine Frau kaufen“ (Junge, 7 Jahre).

„Und der Mann muss dünn sein, keinen fetten Bierbauch haben, nicht saufen“ (Junge).

Ein richtiger Mann… „muss sich benehmen können… kurze Haare haben… soll sich richtig ums Kind kümmern… soll nicht so viel Bier trinken“ (Junge, 8 Jahre).

Was gehört zum richtigen Mann? „Abwaschen.“ Abwaschen gehört dazu? „Naja, zum Weichei“ (Junge)

„Dass er kein Weichei ist.“ Was macht ein Weichei? „Na, er heult sofort, so wie ich früher war.“ Was hast du getan, dass du heute kein Weichei mehr bist? „Mein Vater hat mit mir gesprochen und gesagt, ich solle damit aufhören. Und dann habe ich mir das vorgenommen und dann habe ich aufgehört“ (Junge, 10 Jahre).

„Hab meinen Vater nicht. Weiß nicht“ (Junge).

„Ich hätte gern mal einen Zukunftsblick für meine Art“ (Junge, 10 Jahre).

 




Wie streiten sich Mädchen? Wie streiten sich Jungen?

Einhellige Meinung der befragten Mädchen und vieler (aber nicht aller!) Jungen ist, dass Jungs sich mehr schlagen als Mädchen bzw. brutaler sind. Kinder beleidigen sich darüber hinaus verbal, aber „bis aufs Blut“ mit ihren Unzulänglichkeiten – dies geht oft auch körperlichen Auseinandersetzungen voraus. Die befragten Jungen und Mädchen berichteten ausführlich von verbalen Auseinandersetzungen, wobei nicht immer die Worte als „schlimm“ genannt wurden, die von den Erwachsenen als problematisch angesehen werden. Als besonders belastend wurden einerseits Begriffe erlebt, die die Mutter beleidigen („Fick deine Mutter“, „Hurensohn“ bzw. „Hurentocher“), andererseits Begriffe, die individuelle äußere Merkmale treffen („Negerin“ bei farbigem Mädchen).

Die Aussagen über Art und Ausmaß des Unterschieds zwischen Jungen und Mädchen sowie insbesondere die zum Streitverhalten der Mädchen waren sehr unterschiedlich. Kritik an Mädchen äußerten insbesondere Jungen in zwei Einrichtungen, die in sozialen Brennpunkten liegen und in denen es ständig zu aggressiven und körperlichen Auseinandersetzungen kommt.

 

Streiten sich Jungen anders als Mädchen?

„Die Jungs prügeln mehr“ (das meinen die meisten Mädchen und viele Jungen aus allen Altersstufen).

„Ich hasse auch Streit über alles“ (Mädchen, 7 J.).

„Wir Mädchen schlagen uns auch. Die Jungs sind brutaler.“ (Mädchen, 9-10 Jahre).

„Aber gegen die Kleinen geht das richtig leicht (sich durchzusetzen)… da sagen wir einfach, also hört auf, und wenn die dann nicht aufhören, dann… ich mache dann einen kleinen Tritt in den Hintern und haue ein bisschen auf den Po, nicht so gleich wie die Jungs… ein bisschen weniger…“ (Mädchen, 8 Jahre)

„Die Jungs sagen immer ‚Hurentochter‘ und damit beleidigen sie meine Mutter, nicht mich. Das ist ja nicht so schlimm, wenn sie mich beleidigen, aber wenn sie meine Mutter beleidigen, dann bin ich richtig sauer, dann habe ich Bock, sie zu verprügeln.“ Das heißt, Hurentochter ist das schlimmste Wort, das man dir sagen kann? „Ja, oder auch Neger“ (Mädchen, 9 Jahre).

„Mit Kaya (Mädchen) gibt es so viel Streit. Die haut so doll, schubst. Die will eigentlich ein Junge sein“ (Mädchen).

„Die Mädchen haben ja auch so Ärger im Kopf wie die Jungs“ (Mädchen).

…und noch ein Zitat aus einem Konflikt zwischen drei Mädchen (8 Jahre):

„Wir heiraten Männer und du gehst zum Teufel!“ (das Mädchen, das „zum Teufel gehen“ soll, war betont aggressiv aufgetreten und gilt in der Einrichtung als „wenig mädchenhaft“)

 

„Mädchen streiten sich am allermeisten. Sagen dumme Kuh, dicke Schlampe.“ Und Jungen? „Mehr Spaßkampf als richtig kloppen“ (Junge, 8 Jahre).

„Mädchen hauen nicht, aber sie sagen dafür, ‚ich möchte nicht mit dir spielen‘. Das sagen sie oft“ (zwei Jungen, 7-8 Jahre).

„Wenn die (Mädchen) mal Streit anfangen, dann hört das nicht wieder auf“ (Junge, 10 Jahre).

Ein Junge erzählt, dass ein Mädchen ihn geärgert hat. (…) Und warum hat sie dich genervt? „Weil’s ihr Spaß bringt.“ (Junge, 7 Jahre).

Weswegen gibt es bei euch Streit?

„Wir haben immer Streit, wie wir die Regeln eingrenzen, mit ‚nie‘ oder sowas.“ Gibt es eine bestimmte Regel, wegen der es immer Streit gibt? „Dass man normalerweise nicht kämpfen darf, aber wir machen das doch – aber wir beschreiben das ja alles nur mit Wörtern“ (Jungen, 7 Jahre).

„Guter Streit ist Spaßstreit. Schlechter Streit ist, wenn’s Frust wird und man es nicht mehr unter Kontrolle hat“ (Junge, 8 Jahre).

„Wegen die Tussen uns ärgern. Die gehen immer in unsere Jungsecke und machen da Streit. Die sagen auch immer Schimpfwörter, Hurensohn zum Beispiel“ (Junge, 10 Jahre).

„Manchmal hauen die Großen auch die Kleinen“ (gibt ein Junge zu, 10 Jahre).

 

Wie verhalten sich Erzieherinnen bei Konflikten unter Kindern?

Bei dieser Frage wurden in der Befragung der Jungen und Mädchen zwei entgegengesetzte Bedürfnisse deutlich. Einerseits wurde von ihnen gefordert, dass die Erzieherinnen die Kinder „richtig in Ruhe lassen“ und Konflikte selbst regeln lassen sollten. Andererseits wurde erwartet, dass sie helfen, eingreifen und gegebenenfalls auch strafen. Wenn dies unterbleibt und die Kinder aufgefordert werden, die Konflikte selbst zu regeln, fühlen sich manche überfordert oder im Stich gelassen.

Die Frage ist: was bedeutet „helfen“ konkret? Die am Projekt beteiligten ErzieherInnen berichten aus dem Alltag, dass Kinder viel Hilfe und Stellungnahmen von den Erwachsenen einfordern. In Einrichtungen mit hoher Gewaltbelastung sind die ErzieherInnen zum Eingreifen gezwungen. Sie können ihrer Einschätzung nach Kinder Konflikte nicht „auskämpfen“ lassen, weil diese sich zu sehr verletzen würden (z.B. würgen, in die Geschlechtsteile treten).


Die ErzieherInnen sollten bei Streit…

„Wenn Mädchen Streit haben, da sollten sie uns in Ruhe lassen… Aber die Jungs, da müsste man durchgreifen, weil die sich immer schlagen beim Streiten“ (Mädchen, 7 Jahre).

Was machen die ErzieherInnen, wenn es Streit gibt?

„Dann sagen sie immer, wir sollen das allein regeln, aber wir können das doch gar nicht, wir haben das noch nicht gelernt.“ (Mädchen, 8 Jahre)

„Also, dann kommt die Erzieherin dazwischen… Und dann sagt sie Hey, hey, jetzt ist mal gut und das ist es eben: Sie müssen uns auskämpfen lassen, auch wenn wir ein blaues Auge hätten, dann haben wir unsere Wut vorbei… Das ist der Fehler, die lassen uns nie richtig in Ruhe“ (Mädchen, 9 Jahre).

„Die gehen dazwischen, und wenn es eine Prügelei gibt, dann machen die ne Besprechung.“ (Mädchen)

 

„…helfen!“ (Junge, 7 Jahre).

„Die sollen uns in Ruhe lassen.“ (Jungen aus verschiedenen Einrichtungen)

Erzieher (auch die männlichen) sollen sich bei Prügeleien unter Jungen raushalten: „Die sollen sich da ganz raushalten!! Das ist Männersache, keine Erziehersache… Erzieher sind Waschlappen“ (Junge, 7 Jahre).

„Die denken, das ist Spaß, aber das stimmt nicht. Die müssen sagen: ‚Kämpft ihr ernst?‘“ – „Die müssen die Polizei rufen, gleich eine Strafe!“ – „Nein, einfach helfen, nicht die Polizei rufen, einfach : ‚Auseinander!‘“ (zwei Jungen, 12-13 Jahre).

Wie greifen die Erzieher ein? „Bei mir viel zu wenig. Er denkt, das ist Spaßstreit und merkt dann nicht, dass es schon ernst wird.“ (Junge, 10 Jahre)

„Die Erzieherinnen sollten strenger sein, aber dann würde ich noch mehr treten“ (Junge, 7)

„Dann halten sie uns auseinander. Und dann müssen wir warten, bis wir uns wieder vertragt haben und Freunde sind…“ Und wie findet ihr das, wie die Erzieherin das macht, ist das gut? „Nein, sie soll lieber sagen, schlag auf die Fresse, wenn die euch nerven (…)“ (Junge, 8 Jahre).

 

… und zwei Sätze zum Abschluss

„Ich wünsche mir, dass hier keine Jungs im Hort sind. – Nee, doch nicht! Wenn hier keine Jungs wären, dann hätten wir ja keine Feinde mehr“ (Mädchen).

„Ich finde den Kindergarten hier gut, weil wenn man hier im Kindergarten nicht wäre, dann hätte man zuhause richtige Langeweile“ (Mädchen, 7 Jahre).

3.4. Fallvignette zu Aggression und Erotik

Der folgende Abschnitt veranschaulicht anhand eines Fallbeispiels „an der Grenze“ zwischen Spiel und Streit, wie Beobachtungen und Interviews im Rahmen des Aktionsforschungsprojekts interpretiert und für die Praxis nutzbar gemacht wurden. In der Auseinandersetzung mit einem konkreten Beispiel werden die komplexen Zusammenhänge der Interaktionen zwischen Mädchen und Jungen nachvollziehbar. In uneindeutigen Situationen, die sich nicht allein durch formale Regeln handhaben lassen, kann das Verständnis solcher Zusammenhänge Fachkräften wichtige Hilfen für ihr pädagogisches Handeln geben. Dies bezieht sich sowohl auf die Frage, ob und wenn ja wie sie in solchen Momenten eingreifen sollten, als auch auf die Frage nach der Notwendigkeit präventiver Maßnahmen.

Die Szene

Die Szene spielt in einer weitläufigen Einrichtung, in der es weniger häufig zu massiven Konflikten und körperlichen Auseinandersetzungen unter den Kindern kommt. André (10) und einige Mädchen (9, 9, 8 & 5) toben durch den Raum. André wartet eigentlich darauf, dass er mit Interview dran ist, er ist etwas ärgerlich, weil er warten muss. Der Erzieher steht in der Nähe.

André jagt die Mädchen. Er schmeißt sie auf den Boden, reißt ihnen Haarreifen und Spangen aus dem Haar, stürzt sich auf sie, geht zum Teil dabei sehr grob mit ihnen um. Die Mädchen wehren sich, indem sie protestieren und ihre Utensilien festhalten oder sich losreißen und weglaufen. Allerdings setzen sie nicht ihre ganzen körperlichen Möglichkeiten ein. Vor allem verbünden sie sich nicht. Wenn ein Mädchen um Hilfe ruft, kommt eventuell ein anderes kurz, um André von hinten abzulenken, aber sie tun sich nicht zusammen, um ihn festzuhalten oder ihm einen entwendeten Gegenstand gemeinsam zu entreißen.

Nach längerer Zeit greift der Erzieher ein, als André in der Halle gerade mit Sandra rangelt, sie auf den Boden wirft, an ihr herumreißt. Er fragt beide, ob es noch Spaß sei. Daraufhin sagt André „Ja“, Sandra aber „nein“, so dass der Erzieher die beiden trennt. André sagt ihm zu, aufzuhören, woraufhin der Erzieher ihn loslässt. André rennt sofort weg, der Kampf setzt sich im Nebenzimmer, das von der Halle aus nicht einsehbar ist, fort. André liegt dort auf Sandra, die nicht gegen ihn ankommt.

Etwas später geht es wieder in der Halle weiter. Der Erzieher greift erneut ein mit der Begründung, dass der Lärm nicht auszuhalten sei. Er hält André fest: „Du bist einer von denen, die das verursachen.“ Die Mädchen rennen weg.

Wenig später geht André zum Interview, die Mädchen sitzen zusammen am Tisch in der Ecke.

Die Interviews

Im gemeinsam mit seinem Freund Pascal durchgeführten Interview mit der Projektmitarbeiterin ist André offen und mitteilsam. Zur Frage nach „gutem Streit“ und „bösem Streit“ antwortet er: „Spaßkämpfe finde ich gut, mache ich auch mit Pascal gern. Schlimmer Streit ist für mich richtig so ‘ne Prügelei. Wenn ich richtig Streit habe, da fliegen bei mir die Fetzen, weil ich stark bin.“ Er gibt zu, dass er früher „ganz schön schlimm“ gewesen sei; er habe sich aber „gebessert“. Beide Jungen berichten von massivem körperlichen „Ausrasten“ in der Schule.

Nach Andrés Ansicht findet Streit mehr unter Jungen statt, denn: „Ich mag Mädchen, so mit ihnen spielen“. Auf die Frage, ob er gern ein Junge sei, antwortet er: „Ich bin gern ein Junge, weil die Mädchen wollen ja gern erobert werden, so hab ich das gehört, und ich versuch das auch hier (im Hort, Anmerkung d. Verf.), denn ich lieb hier eine…“.

André äußert sich auch zur Frage, wie die ErzieherInnen in der Einrichtung bei Streit eingreifen: „Bei mir viel zu wenig. Auf jeden Fall, E. guckt zu und denkt, das ist Spaßstreit, und er merkt dann nicht, dass es schon ernst wird.“ Er kritisiert sogar, dass der Erzieher nicht kommt, wenn er von Kindern aufgefordert wird, bei Konflikten einzugreifen.

Auf die Frage hin, was einen „richtigen Mann“ ausmache, antwortet André: „Ich hätte gern mal einen Zukunftsblick für meine Art.“ Pascal teilt mit: „Hab meinen Vater nicht. Weiß nicht.“ Auch André gibt an, seinen Vater nur selten zu sehen. Auf eine abschließende Frage danach, was sie tun, wenn sie Kummer haben, antworten beide Jungen, dass sie dies mit sich allein abmachen. Wie Pascal geht André „in eine Ecke, wo ich ganz allein bin, denke nach oder an was Schönes oder das Mädchen, das ich liebe. Wenn ich Liebeskummer hab, denk ich daran, dass ich meinen Vater bald wieder hab.“

Parallel zu diesem Interview führt ein Projektmitarbeiter ein Gespräch mit den Mädchen. Diese bestätigen vehement die Frage, ob Situationen wie die oben geschilderte häufiger vorkommen. Danach gefragt, zählen sie gleich auf, „was André alles macht“: Er klaut Haarspangen und Haarreifen, er schubst die Mädchen auf den Boden („das tat richtig weh!!“), macht ihnen „Knoten in die Hände“, hat geschlagen, getreten, auch mit der Hand auf den Kopf oder ins Gesicht geschlagen und mit Bällchen geworfen. Auf die Frage hin, ob sie sich denn wehren, antworten die Mädchen: „Ja, klar – was glaubst du denn?“ Die Frage danach, ob ihnen das Raufen und Toben mit André auch Spaß mache, verneinen sie dagegen zunächst, geben dann aber zu: „n bisschen“. Ein Mädchen beschreibt treffend die Gratlinie zwischen Spaß und Ernst: „Zuerst sagt er, dass er Spaß macht, aber dann guckt er ganz böse!“

Ein Mädchen sagt dann: „Ärgern macht Spaß, es macht Spaß, André zu ärgern!“ Dies gelingt ihnen, indem sie ihn schlagen und ärgern: „wenn er ‚Schatten‘ ist, können wir ihn gut ärgern!“ Der „Schatten“ ist eine Disziplinarmaßnahme der Einrichtung: Der Betroffene muss nach Regelverstoß nahe bei einem Erzieher bleiben. Dann kann er sich natürlich nicht richtig gegen kleine Provokationen wehren. Ein anderes Mädchen wirft jedoch ein: „Aber dann wirst du selbst Schatten!“

Auch die Mädchen stellen fest, dass der Erzieher wenig eingreift und sind zum Teil der Meinung, er solle dies mehr tun.

Währenddessen spielt sich noch eine kleine Szene am Rande ab. Das fünfjährige Mädchen sagt mehrfach zu sich selbst oder zu einem anderen Mädchen: „Ich bin stark, ich bin stärker…“. Ein älteres Mädchen kommentiert„Ja, du bist stark, aber…“ und versucht behutsam, die Selbsteinschätzung der Kleineren nach unten zu korrigieren.

Interpretationen

Das beschriebene Beispiel war für das Projektteam eine von mehreren Schlüsselsituationen der Forschungsphase. Spaßkampf, Konfliktverhalten und Spannungen im Geschlechterverhältnis, unterschiedliche Sichtweisen von Mädchen und Jungen sowie die Frage nach der Rolle der ErzieherInnen werden hier beispielhaft deutlich. Szene und Interview wurden daher in mehreren Schritten analysiert und im Verlauf des Projekts wieder aufgegriffen. Nach der Protokollierung wurden sie sowohl im Forschungsteam als auch in einer Gruppe männlicher Fachkollegen diskutiert. Aussagen der Kinder wurden für Projektpräsentationen eingesetzt, um einen differenzierten Blick auf geschlechtstypische Muster anzuregen und die Frage des Eingreifens zu thematisieren. Schließlich wurde die Szene im Rahmen der Fortbildung eingebracht und mit der Gruppe der FortbildungsteilnehmerInnen erneut reflektiert, u.a. um möglichen Zusammenhängen zwischen Erotik und Aggression auf die Spur zu kommen.

Bei der Analyse des oberflächlichen Ablaufs der Szene wird zunächst deutlich, dass es keine Stopp-Regel gibt, die die Grenze zwischen Spaß und Ernst definiert, und die körperlichen Angriffe zum Teil die Schmerzgrenze überschreiten. André ist überwiegend lustig dabei, es wirkt spaßhaft (es gibt ein Lied der „Ärzte“: „Manchmal mögen Frauen ein bisschen Haue“…). Die nachträglichen Aussagen der Mädchen, die sich über zum Teil massive körperliche Übergriffe beschweren, stehen zumindest teilweise im Widerspruch dazu.

Aus interaktionistischer Sicht ist deutlich, dass die Situation von allen Beteiligten gemeinsam hergestellt wird. Eine Kollegin kommentiert: „Die haben einen Vertrag miteinander“ – im Sinne einer unausgesprochenen Übereinstimmung über die gegenseitige Rollenzuweisung. Eine Projektteilnehmerin berichtet ähnliche Situationen aus ihrer Einrichtung: „Ich erlebe, dass sechs Mädchen hinter Jungs hinterher rennen, ihn piesacken; zwischendurch weinen sie, dann ärgern sie den Jungen wieder. Schließlich kommen sie zur Erzieherin und beklagen sich, dass der Junge sie gehauen habe.“ Sich gegenseitig zu ärgern macht auch Spaß.

Ganz deutlich spielt die Szene im Grenzbereich zwischen Erotik und Aggression. Was bedeutet der Satz „Mädchen möchten erobert werden“ für André? Zu der Szene, in der André sich auf Sandra legt, formulierte ein männlicher Fortbildungsteilnehmer pointiert: „Na, das ist doch nun mal die häufigste Stellung…!“

Ob André tatsächlich in der Szene eine sexuelle Position eingenommen hatte, sei dahingestellt – zumindest die auf diese Äußerung folgende knisternde Spannung in der Seminargruppe und die Reaktionen mancher Fortbildungsteilnehmerinnen machen deutlich, dass ein „neutrales“ Verstehen und Reagieren in derartigen Situationen nicht möglich ist. Erotik ist in Kindertagesstätten oft ein tabuisiertes Thema, obwohl zumindest die Hortkinder stark damit beschäftigt sind und sich in der Vorpubertät dabei zunehmend auch Ausdrucksformen aneignen, die früher Erwachsenen vorbehalten waren (vgl. das Phänomen der Kinderbands und der Playback-Shows). Wenn erotische Aspekte und Hintergründe der Spiele und Auseinandersetzungen von Schulkindern nicht wahrgenommen werden, kann es natürlich zu Fehlattribuierungen an der Grenze von Aggression und erotischem Interesse kommen. André selbst macht im Interview ja sehr deutlich, welch große Rolle es für ihn spielt, dass er ein Mädchen liebt.
Andererseits ist interessant, was André im Kampf von den Mädchen erobert, nämlich „weibliche“ Attribute wie Haarspangen. Natürlich, zunächst sind die einfach gut zu erreichen, und darum sind derartige Attacken auch so verbreitet. Vielleicht steht aber auch der Neid des Zehnjährigen dahinter, dem das Vergnügen des Schminkens, Schön Machens und Kokettierens seit langer Zeit verwehrt ist, denn „Jungen machen so was nicht“? Kommt in der Jagd nach weiblichen Trophäen deren Aufwertung als begehrte Symbole zum Ausdruck, oder wird das weibliche Bemühen um Schönheit ad absurdum geführt und abgewertet („die mit ihren blöden Haarspangen!“)?

Vor dem Hintergrund der Theorie hegemonialer Männlichkeit lässt sich die Situation als Einübung traditioneller Geschlechterzuordnungen interpretieren. Mädchen und Jungen inszenieren gemeinsam männliche Überlegenheit – die Mädchen spielen Opfer, der Junge Täter. Dies wird daran deutlich, dass die zahlenmäßig überlegenen Mädchen sich nur so weit helfen, dass André stärker und bestimmend bleibt. Sie verbünden sich nicht. André „kann zeigen, dass er ein Mann ist“ und übt männliche Dominanz ein, passend zu der von ihm geäußerten Ansicht, dass Mädchen „erobert werden wollen“. Die alt eingefahrenen Regeln im Umgang der Geschlechter sind klar: Der Mann erobert und beschützt, im Ernstfall auch unter Einsatz von körperlicher Gewalt.

Vor dem Hintergrund geschlechtstypischer Sozialisation von Mädchen ist die Randszene mit dem fünfjährigen Mädchen von Interesse. Das kleine Mädchen fühlte sich vermutlich – am Rand der Gruppe der größeren Mädchen dabei – stark und sicher. Auch aus ihrer sonstigen Alltagserfahrung weiß sie, dass sie zumindest Jungen ihres Alters nicht unterlegen ist. Das ältere Mädchen hat dagegen die Spielregeln männlicher Dominanz bereits verinnerlicht. Sie „weiß“ daher, dass Jungen bzw. Männer „grundsätzlich“ stärker sind als Mädchen bzw. Frauen. Dieses „Wissen“ vermittelt sie der Kleineren leise und freundlich – ganz „weiblicher“ Kommunikationsstil.

Ein Entwicklungsthema der Mädchen ist die Polarität von Konkurrenz vs. Solidarität. In Bewertungen von Erwachsenen wird Konkurrenz unter Mädchen und Frauen oft extrem negativ bewertet. Obwohl Konkurrenzverhalten zunächst als typisch männlich angesehen wird („Platzhirsche“), ist der Allgemeinplatz weit verbreitet, dass Mädchen bzw. Frauen unter sich diesbezüglich „noch viel schlimmer seien“ als das andere Geschlecht. Mädchen- und Frauensolidarität ist dagegen ein oft beschworenes Ziel feministischer Mädchenarbeit. Diese Bewertungen erschweren es, positive Aspekte von Konkurrenz unter Mädchen wahrzunehmen. Die beteiligten Mädchen stellen sich immer wieder allein der Auseinandersetzung mit dem überlegenen älteren Jungen. Wem gelingt es, die Aufmerksamkeit des Jungen auf sich zu ziehen, wer ist attraktiv und wird gewählt; wem gelingt es, seinen Angriffen zu widerstehen? Die Unterstützung der anderen wird nur gesucht, wenn ein Mädchen keinen Handlungsspielraum mehr für sich sieht. Der Mut, sich eigenständig zu erproben, und die erlebte „Lust an der Angst“ können erklären, warum die Mädchen einander nicht „erfolgreicher“ helfen. Das Spiel wird an der Grenze gehalten, damit die Mädchen mit diesen Erfahrungen experimentieren können.

In Bezug auf das Verhalten des Jungen ist bedenkenswert, wie er seine Situation als Junge und werdender Mann schildert. André hat keine Ahnung, wie ein richtiger Mann sein könnte. Seinen Vater sieht er nur selten. Als einer von nur sehr wenigen großen Jungen in der von Frauen dominierten Einrichtung fehlen ihm sowohl erwachsene als auch gleichaltrige männliche Bezugspersonen. Auch den männlichen Erzieher, den es in dieser Einrichtung immerhin gibt, erlebt er als zu wenig engagiert. Es ist daher nicht überraschend, dass er sich auf stereotype Bilder bezieht und seine Vorstellung von „richtigem Mann“ im kämpferischen Umgang mit den Mädchen realisiert. Dazu gehört die Klischeevorstellung, dass das „Nein“ einer Frau als „Ja“ und damit als Aufforderung zu weiteren Bemühungen zu verstehen ist.

In Bezug auf das Verhalten des Erziehers muss zunächst problematisiert werden, dass in dieser Einrichtung – wie auch in vielen anderen Einrichtungen – keine klaren Regeln für den Umgang mit Konflikten vorliegen. Die verbreitete Formulierung „Regelt das selber“ wird von ErzieherInnen nicht selten als Ausrede genutzt, um sich aus komplexen Situationen heraushalten zu können. Andererseits wird manchmal sehr abrupt in Kinderspiele eingegriffen, wenn alltägliche Abläufe dies zu erfordern scheinen.

In der geschilderten Szene verhält sich der Erzieher zunächst eher zurückhaltend. Erst, als es ihm selbst zu viel wird, greift er deutlich ein. Seine Frage an die Kinder, ob es „Spaß oder Ernst“ sei, ist zunächst sicher angemessen. Die Interviewäußerungen der beteiligten Kinder legen aber die Vermutung nahe, dass er es sich hier zu einfach macht. Sowohl die Aussagen der Mädchen als auch der Jungen machen deutlich, dass die Kinder von den PädagogInnen mehr Präsenz erwarten. Dies bedeutet keineswegs, dass PädagogInnen derartige Konfliktsituationen von Kindern schlichten und beenden müssen, sondern zeigt auf, dass Kinder mehr Unterstützung dabei benötigen, die Grenze zwischen Spaß und Ernst ziehen zu können.

Insgesamt macht die Betrachtung deutlich, dass es nicht darum gehen kann, Situationen wie die beschriebene zu verhindern oder zu vermeiden. Derartige „Spiele an der Grenze“ haben eine wichtige Funktion für die Entwicklung von geschlechtlicher Identität und Geschlechterrelationen. Dabei ist eine wichtige Lernaufgabe gerade für die Verständigung von Mädchen und Jungen, zwischen „Necken – spielerischem Ärgern – Spaß“ und „Ärgern – jemanden weh tun („körperliche & seelische Gewalt zu Unterhaltungszwecken“)“ zu unterscheiden (vgl. Krappmann & Oswald, 2000).

Hierbei die Initiative den Kindern zu überlassen kann manchmal eine Gratwanderung zwischen Moral und Ethik (Gewaltprävention, geschlechtsbewusste Erziehung) einerseits, dem Ermöglichen von Eigenaktivität und Selbststeuerung der Kinder andererseits bedeuten. Die Ansatzpunkte für pädagogische Einflussnahme liegen dabei im Detail: in der Verständigung über die Geschlechtergrenze hinweg, in der Stärkung der Fähigkeit zur Grenzsetzung und in einer größeren Klarheit auf Seiten der PädagogInnen. ErzieherInnen benötigen dazu eine ethisch reflektierte Position zu Grenzüberschreitungen. Dies ist allerdings ein hoher Anspruch an das Berufsbild, denn früher stimmten ethische Richtlinien von Eltern und Erziehern in der Regel überein und konnten als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Heute müssen sie im Dialog erarbeitet werden.

Es lässt sich zusammenfassen, dass die geschilderte Situation außerordentlich zwiespältig und eine typische Situation „an der Grenze“ ist. Eine Deutung des Verhaltens der Kinder unabhängig von Person und Einstellungen des Betrachters ist nicht möglich, denn vom Betrachter hängt es ab, ob die Situation eher als „Spiel der Geschlechter“, als „männlichen Übergriff“ oder als Beispiel für mangelndes Eingreifen des Erziehers wahrgenommen wird. Dabei ist nicht unbedingt zu erwarten, dass Frauen mehr Verständnis für das Erleben von Mädchen, Männer für das von Jungen haben. Interessanterweise war es der männliche Projektmitarbeiter, der sich in der Situation eher „auf Seiten der Mädchen“ erlebte und die Notwendigkeit empfand, die körperlichen Übergriffe des Jungen zu begrenzen. Eine weibliche Projektmitarbeiterin konnte sich dagegen besser mit dem inneren Erleben des Jungen identifizieren und verstand die spielerische Auseinandersetzung mit Erotik und Geschlechterspannung als wesentlichen Hintergrund der Szene.

3.5. Forschungsaktivitäten der ErzieherInnen

Ein Schwerpunkt des Aktionsforschungsprojekts war, die TeilnehmerInnen dazu anzuregen, selbst Beobachtungen und Aktionen im Kitaalltag durchzuführen und mit KollegInnen und dem Forschungsteam zu reflektieren. Zur Anleitung und Begleitung dieser Aktivitäten wurden von März bis Juni 2001 Zwischenreflexionstreffen reihum in unterschiedlichen beteiligten Einrichtungen durchgeführt. Die inhaltliche Ausgestaltung der Forschungsphase orientierte sich an den zu Beginn des Projekts formulierten Forschungsfragen (vgl. Kapitel 1.2).

Die Arbeitstreffen begannen jeweils mit einem Stimmungsbild, an das sich ein Austausch über Beobachtungen und Praxiserfahrungen in der Zwischenzeit anschloss. Eine fortbildungsorientierte Einheit war dann jeweils der Arbeit an einem spezifischen Thema gewidmet. Schließlich wurden den TeilnehmerInnen Anregungen für weitere Forschungsaktivitäten in Form von Leitfäden und Praxisanregungen vermittelt. Eine Pause konnte für informellen Austausch und die gemeinsame Besichtigung der jeweiligen Einrichtung genutzt werden.

Allgemeiner Verlauf

Schwerpunkt der Zwischenreflexionstreffen war der Austausch über Praxiserfahrungen. Dabei stellte sich schnell heraus, dass die enge, z.T. katastrophale Personalsituation in vielen Einrichtungen eine Arbeit an den Themen des Projekts nur sehr begrenzt zuließ. Dies wirkte sich entscheidend auf die Motivation der Projektbeteiligten aus. Die vom Team angeregten Beobachtungen und Vorhaben wurden daher in sehr unterschiedlichem Umfang durchgeführt. „Einmal hat unsere Leitungsvertretung eine halbe Stunde zum Beobachten gegeben, da haben wir dann etwas gemacht, das war wie ein Feiertag!“ Selbst dort, wo es möglich war, Beobachtungen durchzuführen, fehlte dann meist die Zeit, sich mit den KollegInnen darüber auszutauschen.

Zu Beginn der Aktionsforschungsphase war die Motivation sehr hoch, nicht zuletzt, weil die Hospitationen des Forschungsteams und die Rückmeldung von Interviewauszügen von den TeilnehmerInnen als sehr anregend wahrgenommen wurden. Bereits beim zweiten Zwischentreffen wurden dagegen unterschiedliche Rückmeldungen geäußert. Insgesamt wurde positiv hervorgehoben, überhaupt einmal Zeit dafür gehabt zu haben, sich ausführlich mit dem Projektthema auseinander zu setzen. Einige TeilnehmerInnen waren sehr motiviert, jetzt konkret weiter daran zu arbeiten. Für andere stellten die neuen Arbeitsaufträge möglicherweise eher eine Belastung im von Überforderung gekennzeichneten Alltag dar.

Die Anregung, Mädchen und Jungen in die Erfassung von Befindlichkeit und Konfliktverhalten direkt mit einzubeziehen, führte in der Praxis dann bei etlichen TeilnehmerInnen zu einem neuen Motivationsschub, da entsprechende Versuche bei den Mädchen und Jungen auf reges Interesse stießen. In mehreren Einrichtungen ergaben sich interessante Gespräche mit Kindern. Aus einer Kita wurde berichtet, dass auch die Eltern eine Befragung der Kinder sehr ernst nahmen und ihre Kinder daran erinnerten, sich zu beteiligen.

Mehrere TeilnehmerInnen achteten im Verlauf der Aktionsforschungsphase bewusst auf die Hintergründe von beobachteten Konflikten und begannen, verstärkt ihr eigenes Verhalten in Konfliktsituationen mit Mädchen und Jungen zu reflektieren. In den Blick genommen wurde auch der Einfluss von Rahmenbedingungen wie Räume, Gruppengröße, Verweildauer der Kinder u.a. auf Konfliktsituationen.

Trotz nach wie vor zum Teil sehr schwieriger Personalsituationen zeigte sich auf dem letzten Zwischentreffen, dass viele TeilnehmerInnen in der Zwischenzeit weiter am Projektthema gearbeitet hatten. So entwickelte eine Einrichtung einen Leitfaden für eine Kinderbefragung zu Schimpfworten. Ein Teilnehmer beabsichtigte, seine Diplomarbeit in Sozialpädagogik über das Projektthema zu verfassen. Insgesamt waren die TeilnehmerInnen für die Themen des Projekts sensibilisiert und motiviert, die Fortbildung zu beginnen und die praktische Arbeit weiterzuführen.

Im Folgenden werden die konkreten Inhalte und Ergebnisse der Aktionsforschungsphase unter Bezug auf die Forschungsfragen des Projekts dargestellt.

Forschungsfrage: Unterschiede im Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen

Schwerpunkt des ersten Zwischenreflexionstreffens war die Darstellung von Ergebnissen der Kinderinterviews durch das Projektteam. In der Diskussion wurden die Aussagen zu Unterschieden zwischen Mädchen und Jungen von den ErzieherInnen bestätigt.

(Leitfaden zur Beobachtung, Teil 1, vgl. Anlage 8).

Auf dem dritten Zwischenreflexionstreffen wurden Unterschiede in der Bewertung des Verhaltens von Jungen und Mädchen durch die ErzieherInnen sowie „Informationslücken“ beim Umgang mit dem anderen Geschlecht thematisiert. Informationslücken und Fremdheit gibt es auch in Bezug auf das unterschiedliche Streit- und Konfliktverhalten von Kindern aus unterschiedlichen Kulturen. Doppelt schwierig ist es daher, wenn Frauen es mit Jungen aus anderen Kulturen zu tun haben. Konstatiert wurde ein Zusammenhang zwischen sprachlicher Inkompetenz und stärkerer Tendenz zu körperlicher Gewalt bei nichtdeutschen Kindern, der sich wiederum in besonderem Maße bei Jungen zeigt.

Forschungsfrage: Konstruktives und destruktives Konfliktverhalten

Ausgangspunkt der Forschungsanregung auf dem ersten Zwischenreflexionstreffen war ein Problemaufriss zum Thema konstruktives – destruktives Konfliktverhalten. Ein Blitzlicht ergab, dass destruktives Konfliktverhalten mit körperlicher Gewalt assoziiert wurde („gleich zuschlagen“). Stichworte zu konstruktivem Konfliktverhalten waren „nachdenken, sprechen, verhandeln, Kompromisse finden“ usw. Konstruktive Aspekte von Aggression wurden kaum genannt. Für die Forschungsanregung, Mädchen und Jungen direkt zum Thema zu befragen, wurden die Begriffe „guter Streit“ und „schlimmer Streit“ eingeführt (Leitfaden zur Beobachtung, Teil 2, vgl. Anlage 9).

Die Beschäftigung mit Merkmalen destruktiver und konstruktiver Konfliktlösungen war dann Schwerpunkt des zweiten Zwischenreflexionstreffens. Zunächst fiel den TeilnehmerInnen ihre Tendenz auf, sich mehr mit negativem als mit positivem Verhalten zu beschäftigen. Weiter stellten sie fest, dass Personalmangel und Stress sich negativ auf ihr eigenes Konfliktverhalten auswirken: „Die Personalsituation hängt wie ein Schwert über uns“. Starke eigene Belastung führt zu veränderter Wahrnehmung von kindlichem Konfliktverhalten und problematischerem Umgang mit den Kindern. Benannt wurde auch, dass problematische äußere Bedingungen, insbesondere Raummangel, verstärkt zu destruktiven Konflikten führen.

Weiter wurde festgestellt, dass sich die Konfliktdefinitionen von Kindern und Erwachsenen unterscheiden. So berichteten TeilnehmerInnen: „Bei einigen Definitionen standen uns die Haare zu Berge. – Beispiel: ‚Ein guter Streit ist, wenn die anderen angefangen haben und ich siege.‘“

Forschungsfrage: soziale Kompetenzen

Ausgangspunkt der Forschungsanregung auf dem zweiten Zwischenreflexionstreffen war ein Arbeitsblatt zum Thema soziale Kompetenzen (Leitfaden zur Beobachtung, Teil 3, vgl. Anlage 10). Diese Thema wurde dann auf dem dritten Zwischenreflexionstreffen vertieft. Dabei zeigte sich erneut, dass vielfach mehr über negatives als über positives Verhalten gesprochen wird: „Es ist schwer, Stärken und Fähigkeiten von Kindern überhaupt wahrzunehmen. Anstatt über Förderung positiver Ansätze zu sprechen, geht es oft um das ‚Beheben von Problemen‘“.

Bei der Beschreibung des Verhaltens von Jungen und Mädchen überwogen Beschreibungen von problematischem Konfliktverhalten; es wurden nur wenig Kompetenzen im positiven Sinne benannt. Bei der Beschreibung von sozialen Kompetenzen, die Jungen und Mädchen erwerben sollen, überwogen Wünsche nach gemäßigten und verbalen Formen der Konfliktaustragung („reden, reden, reden!“).

Forschungsfrage: Beeinflussung des Konfliktverhaltens von Mädchen und Jungen

Ausgehend vom Evaluationskonzept wurde auf dem zweiten Zwischenreflexionstreffen die Frage aufgeworfen, wie sich mögliche durch das Aktionsforschungsprojekt hervorgerufene Veränderungen feststellen lassen: Woran merkt ihr ganz konkret im Alltag, dass ihr Konflikte anders wahrnehmt, anders reagiert oder dass die Kinder sich verändert haben? Gemeinsam mit den ErzieherInnen wurde entwickelt, wie ein individuelles „Maß“ für Konflikte durch die TeilnehmerInnen selbst erhoben werden könnte. Bei vielen KollegInnen bestand in erster Linie Interesse, die Kinder direkt mit einzubeziehen, z.B. sie zu befragen oder ihre Befindlichkeit durch Methoden wie ein „Stimmungsbarometer“ systematisch zu erfassen. Dies wurde in der Folgezeit erfolgreich erprobt. Ein Ergebnis dieser ersten Versuche war jedoch, dass Fragen an Kinder differenzierter gestellt werden müssen, damit sinnvoll damit weitergearbeitet werden kann.

Forschungsfrage: Lernbedürfnisse von ErzieherInnen

Im letzten Teil der Aktionsforschungsphase wurden Erwartungen und Lernbedürfnisse der TeilnehmerInnen für die Fortbildungsphase des Projekts erhoben. Dies wurde mit einem auf dem dritten Zwischentreffen ausgegebenen Arbeitsblatt vorbereitet (Leitfaden, Teil 4, vgl. Anlage 11) und auf dem letzten Zwischenreflexionstreffen gemeinsam erarbeitet (vgl. Kapitel 4.1). Damit konnte die erste Phase des Projekts erfolgreich abgeschlossen werden.

3.6 Ergebnisse

Vor dem Hintergrund des für ein Forschungsprojekt sehr kurzen Zeitraums sind die Ergebnisse der Aktionsforschung in erster Linie für den Lernprozess der ProjektteilnehmerInnen von Bedeutung. In zweiter Linie ging es darum, Aussagen aus der Geschlechter- und Konfliktforschung anhand der konkreten Bedingungen in den beteiligten Einrichtungen zu überprüfen und als Ausgangspunkt für weitere Forschung nutzbar zu machen.

Zur Bedeutung der Aktionsforschungsphase

Die Aufgabe der Aktionsforschungsphase lag in erster Linie im „Unfreezing“: Schwerpunkt war eine allmähliche Annäherung an die Themen des Projekts und das Infragestellen bisheriger Sichtweisen. Dabei waren zunächst die Hospitationen und Teaminterviews zu Beginn des Projekts wichtig, weil sie Forschungsteam und ErzieherInnen – auch denen, die nicht näher am Projekt beteiligt waren – ermöglichten, einander kennen zu lernen und den fachlichen Austausch zu beginnen. Für die beteiligten ErzieherInnen diente es dem Vertrauensaufbau zur Projektleitung. Die Hospitationen waren für die ProjektmitarbeiterInnen über die konkreten Forschungsaktivitäten hinaus insofern wesentlich, als dass im weiteren Verlauf des Projekts die räumlichen und personellen Rahmenbedingungen der Einrichtungen bekannt waren. Dies war eine wichtige Grundlage für die Reflexion von Praxissituationen sowie für die Unterstützung der TeilnehmerInnen bei der Entwicklung individueller Praxisvorhaben in den späteren Abschnitten des Projekts.

Die Hospitationenen und Interviews durch das Projektteam wurde von den KollegInnen ganz überwiegend als anregend und hilfreich erlebt. In einigen Einrichtungen hatte schon das erste Teamgespräch Anstöße für Veränderungen gegeben. Auch die Jungen und Mädchen hatten ganz überwiegend positiv reagiert. Für die Kinder bedeuteten die Interviews, dass sie sich ernst genommen fühlten, weil ihren Aussagen durch die Interviewform und die akustische Aufzeichnung große Wichtigkeit beigemessen wurde. Außerdem konnten sie so die für einige Kinder sicherlich besondere Erfahrung machen, dass ihnen über einen längeren Zeitraum uneingeschränkt zugehört wurde.

Eine wichtige Funktion bekamen die Interviews darüber hinaus durch die Rückkopplung von Interviewaussagen an die Einrichtungen, in denen die jeweiligen Interviews geführt worden waren. Dies setzte in vielen Einrichtungen einen Diskussionsprozess in Gang und war damit, aufbauend auf den Teaminterviews und Hospitationen, ein wesentlicher Motor in der Anfangsphase des Projekts. In einigen Einrichtungen wurden so bereits in dieser Projektphase Veränderungsprozesse bewirkt. Eine Kita richtete eine Spielecke für Mädchen ein, es gab Interviews und Gesprächsrunden mit den Mädchen und Jungen zum Projektthema, und insgesamt wurde Kindern genauer zugehört.

Ergebnisse der Kinderinterviews

Auf den ersten Blick stimmen viele Aussagen der befragten Mädchen und Jungen mit den Angaben aus anderen Befragungen von Hortkindern überein (vgl. Permien & Frank, 1995; Klees-Möller, 1998; Walter). So waren sich Mädchen und Jungen weitgehend darin einig, dass Jungen sich mehr körperlich auseinandersetzen, und in ihren Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit kam oftmals eine starke Orientierung an traditionellen Geschlechtsstereotypen zum Ausdruck. Ein wesentliches Ergebnis des Forschungsprojekts ist jedoch, dass sowohl Jungen als auch Mädchen die jeweiligen Besonderheiten ihres Konfliktverhaltens überwiegend als positiv und identitätsstiftend erleben. Während die Jungen sich dabei auf ihre angebliche körperliche Überlegenheit stützen („Jungen sind stärker!“), führen Mädchen ihr „besseres“ Konfliktverhalten an (Mädchen hauen nicht!“).

Darüber hinaus gab es zahlreiche gegenläufige und widersprüchliche Aussagen. Dabei muss sowohl zwischen den sehr unterschiedlichen Situationen und sozialen Kontexten der beteiligten Einrichtungen differenziert werden als auch zwischen den individuell unterschiedlichen Haltungen und Einstellungen der einzelnen Jungen und Mädchen. So waren die Ansichten zur Frage der Unterschiedlichkeit und Ähnlichkeit der Geschlechter individuell sehr unterschiedlich und führten in manchen Interviews sogar zu Auseinandersetzungen unter den beteiligten Kindern.

In Bezug auf Konfliktverhalten zeigten sich neben geschlechtstypischen Unterschiede deutliche einrichtungsbezogene Tendenzen z.B. bei der Frage, welche Verhaltensweisen als problematisch erlebt wurden – was in einer Einrichtung als „schlimmer Konflikt“ erlebt wurde, war in einer anderen „normal“. Auffällig war auch, dass sich in einigen Einrichtungen entgegen dem allgemein in der Literatur beschriebenen Trend Beschwerden von Jungen über Mädchen häuften. Die Interviews mit Mädchen und Jungen bestätigen damit Aussagen der neueren Geschlechterforschung, die immer deutlicher darauf hinweist, dass es „den Jungen“ oder „das Mädchen“ nicht gibt und stattdessen die Unterschiede in Entwicklungsverläufen und Lebenswelten von Jungen und Mädchen in den Blick genommen werden müssen.

Insgesamt ergab die Befragung ein hochinteressantes Panorama von Aussagen und ermöglichte, die Sichtweisen von Kindern und ihre Kompetenzen differenzierter wahrzunehmen. Die Ergebnisse sind damit ein Plädoyer für die stärkere Berücksichtigung der Kinderperspektive in der Forschung. In diesem Sinne waren sie auch eine wichtige Grundlage für die Entwicklung und Durchführung des Fortbildungskonzeptes.

Ergebnisse der Aktionsforschung

Der inhaltliche Ertrag der von den ErzieherInnen selbst durchgeführten Aktionsforschung war je nach Einrichtung sehr unterschiedlich. Dies ist wesentlich auf die Arbeitsbedingungen zurückzuführen, die vielen Projektbeteiligten nur wenig Gelegenheit zur Durchführung von Beobachtungen und Praxisvorhaben ließen. Weil nur wenige TeilnehmerInnen im Alltag ausreichende Ressourcen hatten (bzw. zur Verfügung gestellt bekamen), um die Anregungen und Forschungsaufträge des Projekts so intensiv wie gewünscht zu bearbeiten, mussten Abstriche an den ursprünglichen Planungen gemacht werden.

Auf den Zwischenreflexionstreffen wurde zudem ein heterogener und zum Teil sehr geringer Kenntnisstand der TeilnehmerInnen deutlich, so dass zunächst bei allgemeinen Grundlagen angesetzt werden musste. Vor diesem Hintergrund war in der ersten Phase des Projekts eine inhaltliche Vertiefung der Projektthemen nur sehr begrenzt möglich, nicht zuletzt auch aufgrund unregelmäßiger Teilnahme. Dennoch hat sich aus Sicht des Forschungsteams das bisherige Vorgehen bewährt, da es den Beteiligten einen allmählichen Einstieg in das Projekt ermöglichte – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass persönliche Veränderungsprozesse Zeit erfordern.

Ein Schwerpunkt der Aktionsforschungsphase war die Auseinandersetzung mit den Vorstellungen, die die Projektbeteiligten von konstruktiven und destruktiven Konfliktlösungen hatten. Deutlich wurden dabei zunächst unterschiedliche Sichtweisen von Mädchen und Jungen sowie von Kindern und Erwachsenen. So war für viele Jungen, aber auch einige Mädchen das körperliche Austragen von Konflikten völlig akzeptabel, während andere Mädchen und vor allem die befragten Erwachsenen dies ablehnten. Trotz der verbreiteten Ansicht, dass Konflikte und Aggression „zum Leben dazugehören“, war es den ErzieherInnen kaum möglich, konstruktive Aspekte von Aggression zu benennen. Darüber hinaus fiel es den TeilnehmerInnen insgesamt eher schwer, soziale Kompetenzen im Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen zu erkennen. Stattdessen überwog immer wieder die Orientierung an Problemen und Defiziten. Dies galt im Übrigen gleichermaßen für das eigene Handeln der ErzieherInnen. So beklagten die TeilnehmerInnen immer wieder, dass sie „zu nichts gekommen seien“, und entwerteten damit die tatsächlich von ihnen durchgeführten Aktivitäten.

Insgesamt gelang es in der Forschungsphase, eine erste Sensibilisierung für diese Zusammenhänge zu erreichen. Als wesentliche Aufgabe für die Fortbildungsphase stellte sich die Entwicklung einer anderen Grundhaltung heraus, die sich an den Stärken und Kompetenzen orientiert und Konflikte als positive Lernchance begreift.

Insgesamt hat die Forschungsphase ihren Zweck voll erfüllt. Sie ermöglichte einen guten Einblick in die Situation der beteiligten Einrichtungen, bestätigte bekannte Aussagen zu geschlechtstypischem Konfliktverhalten, regte notwendige Differenzierungen an und ermöglichte eine fundierte Einschätzung des Wissensstandes und der Interessen der ProjektteilnehmerInnen. Damit war sie ein guter Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Fortbildungskonzeptes, das an der aktuellen Situation in der Arbeit mit Grundschulkindern in Kindertageseinrichtungen ansetzt und Fragen und Notwendigkeiten der Praxis aufgreift.

4. Das Fortbildungskonzept

4.1. Konzeptuelle Grundlagen

Ausgehend von den in der ersten Projektphase gewonnenen Erkenntnissen wurde ein Fortbildungskonzept zur Qualifizierung von ErzieherInnen entwickelt. Grundlage des Konzepts sind

  • aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Themen geschlechtsbezogene Entwicklung, Geschlechterrelationen, Konfliktverhalten und Konfliktlösungsmodelle
  • Grundannahmen, Hypothesen und Erfahrungen der Mitglieder des Forschungsteams als FortbildnerInnen und ihr Verständnis von Veränderungsprozessen
  • Auswertung der Hospitationen in den Einrichtungen, d.h. der Teamgespräche, Beobachtungen und Kinderinterviews;
  • Ergebnisse von Reflexionstreffen mit den teilnehmenden ErzieherInnen in der Aktionsforschungsphase sowie die von ihnen selbst formulierten Fortbildungsziele.

Ausgangspunkt unserer konzeptuellen Überlegungen ist ein Grundverständnis von geschlechtsbewusster Pädagogik als Querschnittsaufgabe, hier bezogen auf Konfliktlösungsverhalten und Gewaltprävention. In den vorhergehenden Kapiteln wurde geschildert, dass eine geschlechtsbewusste Sichtweise in Kindertagesstätten kaum verankert ist, obwohl gerade im Bereich Konflikt und Aggression geschlechtstypische Unterschiede unübersehbar sind. Es besteht ein eindeutiger Bedarf, MitarbeiterInnen in diesem Bereich zu qualifizieren. Andererseits machte die Aktionsforschung in Hamburger Kindertagesstätten auch deutlich, dass Pauschalisierungen fehl am Platz sind, sondern die konkreten Bedingungen in den jeweiligen Einrichtungen sowie individuelle Unterschiede sowohl auf Seiten der Mädchen und Jungen als auch auf Seiten der PädagogInnen von großer Bedeutung sind.

Fortbildung zum geschlechtsbewussten Umgang mit Konflikten und Aggression muss also einerseits grundlegende Qualifikationen vermitteln, andererseits individuellen Möglichkeiten und Bedürfnissen in besonderem Maße Rechnung tragen.

Glasl (1993) unterscheidet drei Formen von Interventionen zum Konfliktverhalten:

  • präventiv (durch Stärkung der sozialen Kompetenzen, Regeln, Rituale, Infrastruktur)
  • akut (Eingreifen bei Gewalt)
  • kurativ (Bewältigung, Bearbeitung der Ursachen) (Glasl, 1993, S. 289f.).

Die Arbeit in Kindertagesstätten bewegt sich im wesentlichen im präventiven Bereich. Die TeilnehmerInnen sollen daher gewaltpräventive Maßnahmen kennen lernen und in ihre Praxis übernehmen. Dabei verstehen wir Konflikte zunächst als eine wichtige Möglichkeit sozialen Lernens. Ein Fortbildungsziel ist daher, die Bereitschaft der TeilnehmerInnen zu stärken, sich auf Konflikte einzulassen und konstruktive Konfliktlösungen zu erarbeiten: Gewaltprävention bedeutet, mit Konflikten und Aggression leben zu lernen.

ErzieherInnen brauchen jedoch auch Kompetenzen, um bei destruktiven Konflikten und in Eskalationssituationen akut intervenieren zu können. Daraus leitet sich für die Fortbildung die Notwendigkeit ab, Interventionsmöglichkeiten zu erarbeiten und Auswege in Eskalationssituationen kennen zu lernen.

Kurative Interventionen, z.B. durch therapeutische Maßnahmen oder Eingriffe in das Familiensystem, sind in der Regel nicht Auftrag von Kindertagesstätten. ErzieherInnen haben dagegen oft das Verständnis, dass nur kurative Interventionen wirkungsvoll sind („man muss die Ursachen herausfinden und angehen“) und beschneiden damit ihre Möglichkeiten, präventiv und akut tätig zu sein. Es geht daher darum, ErzieherInnen zu ermutigen, ihre vorhandenen Kompetenzen zu nutzen, ihnen aber auch eine klare Haltung zu den Grenzen ihrer pädagogischen Möglichkeiten zu vermitteln und pädagogischen „Allmachtsfantasien“ entgegenzuwirken.

Didaktische Vorüberlegungen

Es macht wenig Sinn, Methoden konstruktiven Konfliktverhaltens lediglich als Programm zu vermitteln. Wesentlich sind die persönlichen Ziele und Veränderungsprozesse derjenigen, die im Alltag mit Mädchen und Jungen arbeiten. Als FortbildnerInnen verstehen wir uns als Experten für Fortbildungsprozesse und Fachthemen, deren Aufgabe darin besteht, die TeilnehmerInnen in ihren jeweiligen individuellen Lernprozessen zu begleiten und zu unterstützen. Eine wesentliche Grundvoraussetzung für diese Arbeit ist Empathie, d.h. die Fähigkeit, sich in Arbeits- und Lebenssituationen der ErzieherInnen, Mädchen und Jungen hineinversetzen zu können, um dann gemeinsam nach konkreten Lösungen für ihre Fragestellungen zu suchen. Wir sehen die ErzieherInnen und die Kinder in den Kindertageseinrichtungen als Experten für ihre Situation. Uns interessiert ihre Sicht der Dinge. Wir setzen auf die Kraft und die Motivation der TeilnehmerInnen, an ihren Fragen arbeiten und konstruktive Lösungen finden zu wollen.

Vor diesem Hintergrund wurde am Ende jedes Seminars eine Phase eingeplant, in der die TeilnehmerInnen sich – auf der Grundlage der im jeweiligen Seminarblock bearbeiteten Themen – individuelle Ziele setzen, an deren Erreichung sie bis zum nächsten Seminartermin arbeiten werden. Die Rolle der Seminarleitung besteht zum einen in der Vermittlung wissenschaftlicher Fachkenntnisse und praxistauglicher Methoden für Beobachtung, Aktionsforschung und Interventionen bei Konflikten. Zum anderen müssen Gruppenprozesse initiiert und begleitet werden, in denen TeilnehmerInnen persönliche Themen bearbeiten, sich über Erfahrungen austauschen und vorhandenen Kompetenzen zur kollegialen Beratung nutzen können.

Veränderungsprozesse finden auf verschiedenen Ebenen statt. Verhalten lässt sich trainieren. Wichtiger als die rein kognitive Kenntnis von Verhaltensalternativen ist das Erproben und Üben von neuen Verhaltensalternativen. Entsprechende Arbeitseinheiten sind daher ein wichtiges Element des Fortbildungskonzepts. Ob und wie Verhaltensweisen jedoch in das persönliche Repertoire übernommen werden, ist wesentlich von individuellen Lebenserfahrungen, Gefühlen und Einstellungen abhängig. Diese Ebenen lassen sich nur durch Selbstreflexion und Selbsterfahrung bearbeiten. Dies gilt insbesondere für die Themen des Projekts – sowohl für geschlechtsbezogene Fragen als auch für den Umgang mit Konflikten und Aggression. Im Rahmen des vorliegenden Fortbildungskonzepts werden daher immer wieder Möglichkeiten für die Auseinandersetzung mit persönlichen Erfahrungen und Themen bereitgestellt.

Ziele der Fortbildung

Am Ende der Aktionsforschungsphase waren Wünsche, Erwartungen und Ziele der ErzieherInnen für die Fortbildungsreihe erhoben worden.. In Bezug auf geschlechtsbezogene Fragen wurde vor allem Hintergrundwissen zur Familiensituation von Jungen und Mädchen, insbesondere auch aus anderen Kulturen, gewünscht. Dieser Wunsch hängt vermutlich mit der oben diskutierten Vorstellung vieler Erzieherinnen zusammen, dass Veränderungen nur an „Ursachen“ ansetzen können und daher Einsichten in Familienverhältnisse insbesondere „fremder“ Kulturen ein besseres Verständnis des „fremden“ Konfliktlösungsverhaltens von Mädchen und Jungen ermöglichen könne. Wünsche nach der Auseinandersetzung mit geschlechtsbewusster Pädagogik oder mit „Rollenverhalten“ wurden dagegen nur vereinzelt genannt. Nach wie vor sprachen die ErzieherInnen überwiegend von „Kindern“ ihrer Gruppe, nicht von Mädchen und Jungen, eine geschlechtsbewusste Sichtweise war wenig vorhanden.

In Bezug auf das eigene Konfliktverhalten wurden folgende Wünsche formuliert: lernen, ruhig zu bleiben; vernünftig sein, nicht mit dem Bauch reagieren; sachlich und nicht emotional zu sein; Konflikte als Chance sehen zu können. Interessanterweise zeigt sich hier eine Entsprechung: Die deutliche Bevorzugung von ruhig-sachlichen Reaktionen in Konflikten stimmt mit den von vielen TeilnehmerInnen genannten eigene Stärken überein. Gewünscht wurde außerdem Hilfe im Umgang mit Verweigerung, Rückzug und schwerer Erreichbarkeit von Kindern; mehrfach wurde von Hilflosigkeit im Umgang mit solchen Verhaltensweisen von Kindern berichtet. Probleme mit massiver Gewalt wurden dagegen nur wenig thematisiert.

Zusammenfassend lassen sich für das Fortbildungskonzept folgende Ziele formulieren:

  • Erarbeitung eines selbstreflexiven und geschlechtsbewussten Blicks auf Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen
  • Vermittlung von Grundlagenwissen zu geschlechtsbezogener Entwicklung und Sozialisation sowie eines verstehenden Zugangs zum Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen
  • Ausrichtung des Blicks nicht auf Defizite, sondern auf Kompetenzen – sowohl in Bezug auf das eigene Handeln als auch auf das von Mädchen und Jungen
  • Erarbeitung eines differenzierten Verständnisses von Konflikt und Aggression
  • Stärkung der Bereitschaft, sich auf Konflikte einzulassen und sie als Lernchance zu begreifen
  • Vermittlung von konstruktiven Konfliktlösungsstrategien und Auswegen in Eskalationssituationen
  • Vermittlung von Grundlagen geschlechtsbewusster Pädagogik
  • Initiierung von Vorhaben zur geschlechtsbewussten Gewaltprävention

Die Erkenntnisse und Konsequenzen des Forschungsprojekts sollten nicht nur mit den FortbildungsteilnehmerInnen bearbeitet werden, sondern auch in die beteiligten Einrichtungen hineingetragen werden. Um den Transfer der in der Fortbildung vermittelten Lernergebnisse in den Alltag der Einrichtungen zu unterstützen, wurden in den am Projekt beteiligten Kindertageseinrichtungen Studientage durchgeführt. Diese wurden in Zusammenarbeit mit Leitungen und FortbildungsteilnehmerInnen individuell auf die Bedürfnisse und Fragestellungen der jeweiligen Kindertagesstätte zugeschnitten (siehe Kapitel 5.). Es ist wichtig, ErzieherInnen darin zu unterstützen, ihre fachliche Kompetenz und ihre Lernergebnisse in die Gesamtteams ihrer Einrichtungen einzubringen. Bestandteil des Fortbildungskonzepts ist daher, dass die Fortbildungsteilnehmerinnen auf den Studientagen in ihrer Einrichtung jeweils einen inhaltlichen Teil übernahmen.

4.2. Das Fortbildungskonzept im Überblick

Das Fortbildungskonzept beinhaltet vier Seminarblöcke (3 + 2 + 2 + 1 Tage) im Verlauf eines Kindergartenjahres und richtet sich an eine feste Gruppe von 15 bis 20 Erzieherinnen und Erzieher.

Die Seminarblöcke haben jeweils einen thematischen Schwerpunkt. Im ersten Block zum Thema Geschlechterverhältnisse wird eine geschlechtsbewusste Sichtweise als Grundlage für Beobachtungen und Reflexion des pädagogischen Handelns erarbeitet. Im Vordergrund des zweiten Seminars zum Thema Konflikt und Konfliklösung steht der Erwerb von Kompetenzen zum Umgang mit Konflikten. Schwerpunkt des dritten Seminars sind konkrete Gestaltungsmöglichkeiten und Angebote für Mädchen und Jungen in Kindertageseinrichtungen. Die praktische Umsetzung der Fortbildungserfahrungen in der Zeit zwischen den Seminarblöcken wird mit konkreten Vorhaben und Zielüberprüfungsbögen vorbereitet. Der letzte Seminartag dient in erster Linie der Auswertung der Fortbildungsreihe.

In der konkreten Fortbildungsarbeit gehen wir von den Alltagserfahrungen der TeilnehmerInnen aus und verbinden dies mit theoretischer Auseinandersetzung, Selbstreflexion und praktischem Handeln. Regelmässiger Bestandteil der Seminare sind außerdem

  • nonverbale Spiele und interkulturelle Spiele – Spiele für Kinder, die sich nicht sprachlich miteinander verständigen können
  • Kampfspiele nach Regeln
  • Sanfte Körpererfahrungen.

Die folgende Übersicht stellt Ziele und Inhalte der einzelnen Seminare zusammenfassend dar. Die Erfahrungen mit der konkreten Durchführung der Fortbildungsreihe werden im folgenden Abschnitt berichtet. Anschließend werden einige der verwendeten Methoden an exemplarischen Beispielen ausführlich dargestellt.

1. Seminar: Geschlechterverhältnisse

Ziele des ersten Seminars sind

  • die Erarbeitung eines Grundverständnisses von Männlichkeit und Weiblichkeit als sozialen Konstruktionen
  • die Wahrnehmung von geschlechtsbezogenen Aspekten des Konfliktverhaltens
  • die Auseinandersetzung mit Grundlagen geschlechtsbewusster Pädagogik.

1. Tag Vormittag

Einstieg mit Bildern aus dem Alltag

Kennen lernen: Frauenbilder – Männerbilder

1. Tag Nachmittag

Theorie: Anlage-Umwelt oder der Ursprung der Geschlechtsunterschiede

Szenen aus dem Alltag – Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen

2. Tag Vormittag

Autobiographische Arbeit:

Geschlecht und Konflikt in der eigenen Lebensgeschichte als Mädchen bzw. Junge

Austausch in geschlechtshomogenen Kleingruppen, Dialog in der Gesamtgruppe

2. Tag Nachmittag

Theorie: Geschlechtstypische Sozialisation

Entwicklung & Sozialisation von Mädchen

Ermutigung: Stärken von Mädchen

3. Tag Vormittag

Theorie: Identitätsentwicklung

Entwicklung & Sozialisation von Jungen

Gewalt & Geschlecht

Ermutigung: Stärken von Jungen

3. Tag Nachmittag

Definition: Geschlechtsbewusste Pädagogik in Kindertageseinrichtungen

Bestandsaufnahme: Geschlechtsbewusste Angebote in der Praxis der TeilnehmerInnen

Planung von Vorhaben – Zielüberprüfungsbogen

2. Seminar: Konflikt und Konfliktlösungsmodelle

Ziele des zweiten Seminars sind

  • die Erarbeitung eines differenzierten Verständnisses von Konflikt und Aggression
  • die Wahrnehmung von Konflikten aus der Perspektive von Mädchen und Jungen
  • der Erwerb von Kompetenzen zur Konfliktbearbeitung und Konfliktlösung.

4. Tag Vormittag

Austausch über Praxiserfahrungen seit dem ersten Seminar

Konflikt-Diagnose – Das eigene Konfliktverständnis

Austausch in geschlechtshomogenen Kleingruppen, Dialog in der Gesamtgruppe

4. Tag Nachmittag

Konflikt-Diagnose – Definitionen

Reaktionsweisen in Konflikten

Entwicklungspsychologie: Bedeutung von Konflikten in Kindheit und Vorpubertät

Konfliktkompetenzen von Kindern – Selbstaussagen von Mädchen und Jungen

5. Tag Vormittag

Zum systemischen Verständnis von Konflikten: Rollenbewusstsein und Rollenflexibilität als Kompetenz von ErzieherInnen

Interventionen: Wann muss eingegriffen werden? Was erwarten Jungen, was Mädchen?

Regeln, Sanktionen & Rituale

5. Tag Nachmittag

Reflexion des Interventionsrepertoires in Konflikten

Planung von Vorhaben – Zielüberprüfungsbogen

3. Seminar: Die Kindertagesstätte als Ort für Mädchen und Jungen

Ziele des dritten Seminars sind

  • die Auseinandersetzung mit Chancen und Problemen institutioneller Strukturen und Abläufe – Altersmischung, Raumgestaltung, Partizipation…
  • die Erarbeitung konkreter Handlungsalternativen für schwierige Konflikte und Eskalationssituationen
  • die Verankerung geschlechtsbewusster Pädagogik in der Praxis der TeilnehmerInnen.

Außerdem besteht die Möglichkeit, Themen zu vertiefen, die sich im Verlauf der Fortbildungsreihe als besonders bedeutsam herausgestellt haben.

6. Tag Vormittag

Austausch über Praxiserfahrungen seit dem letzten Seminar

Reflexion von Formen der Machtausübung und eigener Konfliktstrategien

6. Tag Nachmittag

Macht und Ohnmacht im Geschlechterverhältnis

Aggression & Erotik in der Entwicklung von Jungen und Mädchen

7. Tag Vormittag

Theorie: Kindheit, Geschlecht & Raum

Raumgestaltung in der Praxis

Regeln für Raumnutzung – Partizipation von Mädchen und Jungen

7. Tag Nachmittag

Geschlechtsbewusste Pädagogik – Arbeit mit Mädchen- und Jungengruppen

Planung von Vorhaben – Zielüberprüfungsbogen

4. Seminar: Auswertung & Ausblick

Ziele des letzten Seminartages sind

  • die individuelle und gemeinsame Reflexion des gesamten Aktionsforschungsprojekts
  • die Erarbeitung von Konsequenzen einerseits für die Weiterentwicklung des Bildungsauftrages von Kindertagesstätten, andererseits für geschlechtsbewusste Gewaltprävention im Vor- und Grundschulalter
  • die Entwicklung von individuelle Perspektiven der TeilnehmerInnen für die konkrete Arbeit mit Mädchen und Jungen sowie für ihren weiteren beruflichen Weg.

8. Tag Vormittag

Austausch über Praxiserfahrungen seit dem letzten Seminar

Geschlechtsbewusste Gewaltprävention

8. Tag Nachmittag

Auswertung der Fortbildungsreihe

Konsequenzen für geschlechtsbewusste Pädagogik & Gewaltprävention

Ausblick

Abschluss

Auf der Grundlage dieser Konzeption wurde die Fortbildungsreihe von Oktober 2001 bis April 2002 durchgeführt. An der Fortbildung nahmen fünfzehn Erzieherinnen und vier Erzieher aus den neun am Projekt beteiligten Einrichtungen teil, von denen 17 bereits an der Aktionsforschungsphase teilgenommen hatten. Eine Kollegin trat kurzfristig als Ersatz für eine erkrankte Kollegin in das Projekt ein. Anstelle einer weiteren Kollegin, die im Projektzeitraum Mutter geworden war, nahm stattdessen die Leiterin der Einrichtung an der Fortbildung teil.

Die Fortbildung wurde geleitet von Christel van Dieken (alle Seminare), Tim Rohrmann (1., 3. und 4. Seminar) und Verena Sommerfeld (2. und 4. Seminar). Als Räumlichkeiten standen ein Seminarraum mit allen üblichen Medien und Materialien sowie zwei kleinere Gruppenräume zur Verfügung. Gearbeitet wurde von 9.00 bis 16.00.

4.3. Durchführung und Verlauf der Fortbildung

Das didaktische Konzept des Fortbildungsteams sieht Lernsituationen als Ereignisse an, die durch die Interaktionen zwischen DozentInnen und TeilnehmerInnen entstehen, in denen das jeweilige Thema mit den Motiven der TeilnehmerInnen in Zusammenhang gebracht wird. Das sprichwörtliche „Aha-Erlebnis“ steht für eine solche gelungene Lernsituation. Die im Überblick dargestellten Themenblöcke sind deshalb nicht als standardisiertes Schema gedacht, sondern als Raster, in dem die DozentInnen prozesshaft arbeiten. Bezugspunkt sind dabei innerhalb der Seminareinheiten die Anliegen und Fragen der TeilnehmerInnen. Die DozentInnen überprüfen den Seminarverlauf entsprechend dem Feedback der TeilnehmerInnen laufend und werten aus, ob das Tempo und die Vermittlungsformen der Gruppe angemessen sind.

Die folgende Darstellung gibt einen Einblick in diesen Prozess. Dabei werden einige Sequenzen und Übungen, die in besonderer Weise zu Schlüsselsituationen des Lernprozesses wurden, ausführlich dargestellt, weil sich an ihnen wesentliche Lernprozesse der TeilnehmerInnen beschreiben, nachvollziehen und in Bezug zu den Fortbildungszielen setzen lassen.

1. Seminar: Geschlechterverhältnisse

Schwerpunkt des ersten Seminars war die Erarbeitung von Grundlagen und Entwicklung eines geschlechtsbewussten Blicks auf das Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen. Als Einstieg wurden die TeilnehmerInnen aufgefordert, sich ein Kind vorzustellen, dass sie gerade besonders beschäftigt (nach Rohrmann & Thoma, 1998, S. 50). Mit dem Begriff „Kind“ wurde bewusst das Geschlecht offen gelassen. Es stellte sich heraus, dass es mehrheitlich die lauten, aggressiven Jungen sind, mit denen die Erzieher/Innen besonders beschäftigt waren. Unter den vorgestellten Kindern waren nur drei Mädchen. Ein Junge wurde als auffällig benannt, weil er so introvertiert sei, ein Mädchen, weil es so extrovertiert sei, beide wurden also benannt, weil sie auffällig geschlechtsuntypisches Verhalten zeigen. Positive Erfahrungen oder Ereignisse wurden kaum benannt. Diese Ergebnisse erstaunten die TeilnehmerInnen und bestätigten Erkenntnisse aus Forschung und Praxis: Jungen sind mehr im Blick der ErzieherInnen als Mädchen. Dabei stehen typische Verhaltensweisen von Jungen, wildes und aggressives Verhalten im Vordergrund.

Eine erste Einheit zu persönlichen Vorstellungen zu ihrem Frau- und Mann-Sein sowie die Diskussion über Ursachen geschlechtstypischen Verhaltens (Anlage-Umwelt-Kontroverse) führten zur Notwendigkeit, unbewussten Anteilen des eigenen Verhaltens auf die Spur zu kommen, das zur Verfestigung geschlechtsstereotypen Verhaltens von Kindern beiträgt. Diesem Ziel diente die Arbeit mit „Standbildern“ zu „typischen“ Konfliktsituationen zwischen Mädchen und Jungen im Kitaalltag.

Ziel: Erarbeitung eines selbstreflexiven und geschlechtsbewussten Blicks auf Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen

Übung: Standbilder zum Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen

Die TeilnehmerInnen werden aufgefordert, in Kleingruppen Standbilder (Skulpturen) zu „typischen Konfliktsituationen“ von Mädchen und/oder Jungen zu entwickeln. Die Standbilder werden in der Gesamtgruppe präsentiert, ohne das mitgeteilt wird, ob die dargestellten Personen Mädchen, Jungen oder auch Erwachsene darstellen sollen. Stattdessen werden von den anderen TeilnehmerInnen zunächst Wahrnehmungen beschrieben. Das fällt oft sehr schwer, weil die BeobachterInnen ihre Beschreibungen schnell mit vielen Wertungen versehen: „Das ist ein zickiges Mädchen, dass der Anderen in den Haaren zieht. Es traut sich nicht, sich zu wehren.“ – „Das ist ein aggressiver Junge, der dem Mädchen etwas wegnehmen will.“ Erst in einer zweiten Runde werden die BeobachterInnen aufgefordert, zu interpretieren und Vermutungen über die Bedeutung des dargestellten Bildes anzustellen. In manchen Fällen stimmten die Vermutungen mit der Idee der Darstellenden überein, in anderen Fällen nicht, was manchmal großes Erstaunen auslöst – z.B. wenn eine Gruppe von Mädchen dargestellt werden soll, eine Person aber aufgrund einer bestimmten Körperhaltung „eindeutig“ als Junge identifiziert wird.

Die Übung machte deutlich, dass Erzieherinnen sich nicht „neutral“ den Kindern gegenüber verhalten (können), sondern von Mädchen und Jungen bestimmte Konfliktlösungsmuster erwarten und dadurch sowohl ihre Wahrnehmung als auch ihre Reaktionen darauf bedingt sind: „Jungen schlagen, sind draufgängerisch, brutal, offen – Mädchen sind zickig, hinterhältig, nachtragend und petzen.“ Insbesondere die Fälle, in denen Intentionen der darstellenden Gruppe und Interpretationen der BeobachterInnen nicht zusammenpassten, führten den TeilnehmerInnen die möglichen Auswirkungen von geschlechtstypischen Vorannahmen und Bewertungen nachdrücklich vor Augen.

Anders als eher kognitiv ausgerichtete Methoden ermöglicht die Arbeit mit Standbildern eine sinnlich-körperliche Erfahrung und wirkt auch auf der emotionalen Ebene. Das kognitive Verständnis einer Situation wird erweitert, weil parallel ein Bild zur Verfügung steht, mit dem die Erkenntnis verknüpft werden kann und das jederzeit wieder abrufbar ist. Wie beeindruckend die gewonnenen Erkenntnisse für die TeilnehmerInnen waren, lässt sich auch daran ablesen, dass die Übung von vielen als eigener Beitrag zu den Studientagen in den Einrichtungsteams ausgewählt wurde.

Der zweite Tag begann mit einer Einheit zur Reflexion der eigenen geschlechtsbezogenen Sozialisation (vgl. Anlage 12), für den nach einer Phase der Einzelarbeit geschlechtsgetrennte Kleingruppen gebildet wurden. Der anschließende Austausch in den Kleingruppen verlief sehr unterschiedlich: Während einige TeilnehmerInnen sich eher allgemein mitteilten, und den zur Verfügung gestellten Zeitrahmen nicht nutzten, begannen andere TeilnehmerInnen einen intensiven persönlichen Austausch. Dabei wurden in Einzelfällen auch schmerzhafte Einsichten und Erfahrungen thematisiert.

Der biographischen Selbstreflexion folgten Einheiten zu Sozialisation und Identitätsentwicklung von Mädchen und Jungen. Eine weitere Schlüsselsituation des Seminars war dann eine Übung, in der die im bisherigen Verlauf benannten negativen Aussagen zum Konfliktverhalten von Mädchen einer Neubewertung unterzogen wurden. Obwohl diese Einheit aufgrund von Zeitproblemen nur sehr kurz war, hinterließ sie einen sehr nachhaltigen Eindruck.

Ziel: Ausrichtung des Blicks nicht auf Defizite, sondern auf Kompetenzen

Ermutigung: Stärken von Mädchen – Umbewertung negativer Zuschreibungen

Ausgangspunkt dieser Einheit sind negative Beschreibungen des Konfliktverhaltens von Mädchen, die im beschriebenen Verlauf bei der Arbeit mit Standbildern am Vortag genannt worden waren, aber auch mit anderen Methoden erarbeitet werden können.

Nach einer ausführlichen Einheit zur weiblichen Sozialisation werden die TeilnehmerInnen zunächst mit der Vielzahl negativer Zuschreibungen an Mädchen konfrontiert. Viele Erzieherinnen sind der Meinung, dass ihnen als Frauen die Mädchen näher stehen und vertrauter sind. Die Konfrontation mit den negativen Zuschreibungen löst daher ein doppeltes Erschrecken aus, da es nahe liegt, einen Zusammenhang zu eigenen Erfahrungen mit Abwertung bzw. Selbstabwertung herzustellen.

Anschließend werden die TeilnehmerInnen aufgefordert, alle genannten negativen Begriffe positiv umzudeuten – mögliche Stärken darin zu entdecken und zu benennen. Trotz mancher Irritationen (was ist positiv daran, hinterhältig zu sein?) gelingt dies in der Regel schnell.

Anmerkung: Diese Übung verdanken wir Sibylle Drechsler.

Das anschließend sehr veränderte Mädchenbild löste großes Erstaunen über den Effekt der positiven Umdeutung aus. In späteren Reflexionsrunden wurde diese Erfahrung immer wieder benannt und betont, dass dies nachhaltige Auswirkungen auf das Verhalten der ErzieherInnnen gegenüber den Mädchen hatte. Die ErzieherInnen berichteten nicht nur, dass sie selbst Mädchen und insbesondere deren Konfliktverhalten weniger abwerteten, sondern hatten auch ihren Blick für Mädchen abwertende Bemerkungen von KollegInnen geschärft. Es ist erwähnenswert, dass nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer in der Fortbildungsgruppe diese Einsichten als sehr wichtig ansahen.

Der dritte Tag begann mit Theorie und Reflexion zu Geschlechterhierarchie und Geschlechterrelationen in Kindertagesstätten. Hieraus entwickelte sich eine kontroverse Diskussion zwischen Männern und Frauen zur Rolle von Männern in den überwiegend weiblichen Teams von Kindertageseinrichtungen, die leider aus Zeitgründen begrenzt werden musste. An dieser – so nicht eingeplanten – Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern wurde deutlich, dass die Bearbeitung dieses Themas in einer gemischten Fortbildungsgruppe eine besondere Herausforderung darstellt, weil sie Konflikte anrührt, die gerade in der Zusammenarbeit von Frauen und (den wenigen) Männern in Kindertagesstätten oft ausgeblendet werden.

Die anschließende Einheit zur Sozialisation von Jungen enthielt eine Übung, die es ermöglichte, sich in das innere Erleben von Jungen einzufühlen und damit die dritte Schlüsselsituation des ersten Seminars bereitstellte.

Ziel: Entwicklung eines verstehenden Zugangs zu Konfliktverhalten

Bewegungsübung: Wie fühlen sich Jungen in ihrem Körper?

Diese Übung besteht aus zwei Phasen. Nach einer Auflockerungsphase werden die TeilnehmerInnen in Jungen „verwandelt“. In einer freien Spielphase werden sie aufgefordert, sich als „Jungen“ im Hort zu begegnen. Als Spielmaterial werden Actionfiguren bereitgestellt, die die TeilnehmerInnen zum Ausprobieren, zum individuellen Spiel und zur Interaktion mit anderen nutzen können.

In einer zweiten, angeleiteten Phase werden die Teilnehmer aufgefordert, sich in einen Jungen hinein zu versetzen, der als „aggressiv“ abgestempelt ist. Dies geschieht ohne direkte Auseinandersetzung nur in der Vorstellung, angeregt durch Sätze wie „Stell dir vor, du versuchst andere zu ärgern, ohne dass die Erzieherin das mitbekommt“ oder „Du musst ständig Angst haben, dass dir jemand in der Halle, in der es oft rau zugeht, plötzlich in den Rücken schlägt“. Um dies auch körperlich spürbar zu machen, wird die Übung – anders als bei imaginativen Verfahren oft üblich – im Gehen durchgeführt.

Nach einer Zeit des Einfühlens und Agierens in dieser Rolle werden die Gefühle, Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Spielsituation gemeinsam reflektiert.

Quelle: nach Rohrmann & Thoma, 1998, S. 150

In der Reflexion wurden bei Männern wie bei Frauen sehr unterschiedliche, teils auch entgegengesetzte Eindrücke benannt – manche Erzieherinnen hatten Spaß daran, sich einmal richtig auszutoben, andere taten sich schwer damit überhaupt so eine Rolle anzunehmen.

Erneut wurde eindrücklich spürbar, wie der individuelle „Geschlechterblick“ Wahrnehmung und Deutung beeinflusst und geschlechtstypisches Verhalten provozieren und unterstützen kann. So wurde das Spiel zweier „Jungen“ mit Pistolen von anderen Beteiligten von „außen“ zunächst eindeutig als Aggression, teilweise sogar als Ausleben von Gewalt der Jungen gesehen. Im Alltag sind in der Regel Besorgnis, Kritik und Sanktionen die Folge. Für die Beteiligten traf diese Gleichsetzung des Pistolenspiels mit Gewalt allerdings nicht zu – es handelte sich um ein Spiel, das Spaß macht. Zudem ist es deutlich „sicherer“ als eine körperliche Auseinandersetzung, weil unterschiedliche Körperkraft beim Spiel mit Pistolen keine Rolle spielt.

In dieser Übung differenzierte sich die Gruppe sehr stark in der individuellen Fähigkeit, sich in die von der Leitung vorgegebenen Rollen einzufühlen. Die erfahrungsorientierte Übung ermöglichte Männern, Erinnerung an ihre Gefühle als kleine Jungen wachzurufen, was zum Verständnis aktueller Gefühlslagen von Jungen im Alltag wesentlich beitragen kann. Deutlich wurde, wie verschieden Männer mit geschlechtstypischen Erwartungen umgegangen waren, die an sie gerichtet worden waren. Auch die Frauen berichteten sehr unterschiedliche Eindrücke. Einige Frauen taten sich schwer, sich insbesondere in die Situation „aggressiver“ Jungen einzufühlen – dies fällt ihnen möglicherweise auch im Alltag schwer und prägt ihre Beziehung zu diesen Jungen.

Die Übung war bemerkenswert und berührend, weil sie Männern und Frauen die widersprüchlichen Gefühle verdeutlichte, die mit den Erwartungen an jungentypisches Verhalten verbunden sein können. Insbesondere wurde die große Anspannung erlebbar, unter der viele aggressive Jungen oft den ganzen Tag stehen. Männer und Frauen konnten deutlich nachvollziehen, wie es sich anfühlt, wenn etwas von einem erwartet wird, was man(n) gar nicht ausfüllen kann. Dies ermöglicht ein besseres Verständnis der oft nicht offensichtlichen Nöte von Jungen, die hinter ihrem aktiven und aggressiven Gehabe verborgen liegen.

Der erste Fortbildungsblock wurde mit einer Einführung in Grundbegriffe geschlechtsbezogener Pädagogik abgerundet. Die TeilnehmerInnen wurden aufgefordert, in der Folgezeit die pädagogischen Angebote ihrer Einrichtung einmal unter geschlechtsbewusstem Blickwinkel zu analysieren (vgl. Anlage 13). Die individuelle Bestimmung von Praxiszielen zum Umgang mit Mädchen und Jungen anhand eines Zielüberprüfungsbogens schloss das Seminar ab (vgl. Anlage 14).

Mit dem ersten Seminar wurde die Grundlage für eine geschlechtsbewusste Sichtweise gelegt, die für das Verständnis von Konfliktverhaltensweisen von Mädchen und Jungen sowie zur Erarbeitung von Konfliktlösungsmodellen wichtig und hilfreich ist. Im Seminarverlauf bestätigte sich, dass unbewusste Einstellungen und Bewertungen von ErzieherInnen wesentlich zur Wahrnehmung des Konfliktverhaltens von Kindern beitragen. Insbesondere wurden zwei Aspekte deutlich. Zum einen richten viele ErzieherInnen ihre Aufmerksamkeit und ihr pädagogisches Handeln stärker auf auffällige Jungen. Damit verstärken sie teilweise das beklagte aggressive Verhalten. Zum anderen wird zwar das aggressive Verhalten der Jungen beklagt. Andererseits wird aktives und durchsetzungsstarkes Verhalten von Jungen auch erwartet. Bei Mädchen dagegen werden entsprechende Verhaltensweisen oft deutlich abgewertet. Um Mädchen und Jungen gerecht zu werden, müssen auch die Mädchen in den Blick genommen und Abwertungen mädchentypischen Konfliktverhaltens reflektiert werden.

2. Seminar: Konflikt und Konfliktlösungsmodelle

Das zweite Seminar im Dezember 2001 stand unter dem Thema „Konflikt und Konfliktlösungsmodelle“. Ausgangspunkt war die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konfliktverständnis der TeilnehmerInnen.

Um die TeilnehmerInnen dabei zu unterstützen, Konflikte in der Kindergruppe wahrnehmen, diagnostizieren, verstehen und einordnen können, wurde dann ein systemisches Verständnis von Konfliktverläufen entwickelt, das die wechselseitige Beeinflussung aller AkteurInnen im Konfliktfeld hervorhebt. Im Laufe des Seminars wurden verschiedene Modelle zum Verständnis von Konflikten sowie zu konstruktiven Konfliktlösungsstrategien vorgestellt (vgl. Anlagen 15 & 16). Das große Interesse der TeilnehmerInnen an den theoretischen Erklärungsmodellen war eine weitere Schlüsselsituation der Fortbildungsreihe.

Ziel: Vermittlung von konstruktiven Konfliktlösungsstrategien

Theoretisches Wissen ist wichtig und hilfreich für eine reflektierte Praxis zum Thema Konfliktlösungsverhalten von Mädchen und Jungen. Als Beispiel sei das aus der Mediation stammende Modell Drei Arten der Konfliktlösung aufgeführt.

Konfliktmodell: Die drei Arten der Konfliktlösung

Konflikte können auf verschiedene Weise gelöst werden: Über die Macht, über Regeln bzw. Recht oder über Vermittlung und Interessenausgleich.

Macht entscheidet: Hier wird eine Lösung vom Mächtigeren erzwungen. Macht hat, wer über entsprechende Machtmittel verfügt, z.B. Status, Entscheidungsbefugnisse, Geld, körperliche Überlegenheit.

Regeln / Recht entscheidet: Dies setzt voraus, dass es eine entsprechende Grundlage gibt, also klar vereinbarte Regeln, protokollierte Beschlüsse, eine Konzeption oder auch Gesetzestexte. Aber das genügt noch nicht, denn „Recht haben ist noch nicht Recht bekommen“. Wenn sich Konfliktparteien nicht über die Rechtsgrundlage einigen können, braucht es eine dritte Instanz, die entscheidet.

Interessen entscheiden: Dies ist die anspruchsvollste, aber auch befriedigendsten Form. Sie erfordert Verhandeln oder Vermitteln. Dabei ist die Fähigkeit zur Empathie und Perspektivübernahme hilfreich. Unter Umständen müssen die Konfliktparteien ihre tieferliegenden Wünsche und Bedürfnisse erforschen und einen Konsens suchen.

Diese Gegenüberstellung enthält keine Bewertung der unterschiedlichen Konfliktlösungsarten. Welche Konfliktlösungsstrategie bei einem Konflikt die richtige ist, muss in jedem einzelnen Fall entschieden werden. Dabei hängt es immer von der jeweiligen Situation, der Vorgeschichte und dem Eskalationsgrund des Konflikts ab, wie man sich entscheidet. Für den Umgang mit Konflikten ist es günstig, wenn

  • für den größten Teil der Konflikte der Weg der Vermittlung gegangen wird
  • für einen kleineren Teil der Hinweis auf Regeln erfolgt
  • und nur ein geringer Teil durch Anweisungen von oben erledigt wird.

Diese Gewichtung wird im „Dreieck der Konfliktlösung“ symbolisch dargestellt.

Abbildung 1


: Das Dreieck der Konfliktlösung

Am Ende des Seminarblocks gab es viele sehr positive Rückmeldungen zu den theoretischen Einheiten. Das erscheint deshalb als bemerkenswert, da ErzieherInnen auf Fortbildungen Theorie oft als „trocken“, „nicht verständlich“ oder „praxisfern“ ablehnen und als wenig hilfreich für die Bearbeitung konkreter Praxisfragen ansehen. Im Rahmen der von uns durchgeführten Fortbildungen brachten die TeilnehmerInnen dagegen immer wieder ihr Bedürfnis nach theoretischen Erkärungsmodellen für Verhalten zum Ausdruck. Als positiver Effekt der theoretischen Erklärungen benannten die ErzieherInnen, dass es hilfreich ist

  • etwas „sortiert“ und erklärt zu bekommen
  • Erklärungsmodelle kennen zu lernen, die auf Alltagssituationen anwendbar sind
  • zu erkennen, dass theoretische Überlegungen hilfreich für die Praxis sein können
  • die Erfahrung zu machen, dass sie selbst theoretische Kompetenzen haben.

Entscheidend für die positive Bewertung der Theorieelemente durch die FortbildungsteilnehmerInnen ist vielleicht der letzte Punkt. Die Ausrichtung des Projektteams nicht an Defiziten, sondern an vorhandenen Kompetenzen der ErzieherInnen ermöglichte auch in diesem Bereich positive Entwicklungen. Voraussetzung dafür ist zum einen, theoretische Zusammenhänge verständlich darzustellen und auf die Praxis zu beziehen, zum anderen, die Erfahrungen und Überlegungen der ErzieherInnen zu berücksichtigen und wertzuschätzen.

Die theoretischen Inputs wurden durch Praxisreflexion und Einheiten zur Selbsterfahrung ergänzt. Für die TeilnehmerInnen besonders herausragend war ein Rollenspiel, in der es darum ging, unter Einsatz aller Mittel einem anderen Kind etwas „abzuschnacken“.


Ziel: Konflikte als Lernchance zu begreifen

Übung: Das „Abschnackspiel“

Diese Übung ermöglicht eine persönliche Erfahrung in einer der unter Kindern häufigsten Konfliktkategorien, dem Besitz-Konflikt. Die TeilnehmerInnen können dabei wahrnehmen, welche Konfliktstrategien sie selbst anwenden bzw. vermeiden und wie sie mit Angriff und Widerstand umgehen.

In der Partnerübung ist es die Aufgabe zweier Erwachsener, sich jeweils einen beliebigenGegenstand des Partners bzw. der Partnerin (z.B. seine Uhr oder Schmuck) zu wählen und verschiedenste Strategien auszuprobieren, um dem Gegenüber diesen Gegenstand „abzuschnacken“. Der andere Partner bzw. Partnerin sollte hartnäckig den eigenen Besitz verteidigen und sich dabei selbst daraufhin beobachten, wie gut das gelingt oder wann der persönliche Widerstand nachlässt. Die verwendeten Strategien sollten nicht moralisch bewertet, sondern zunächst in ihrer Wirkung auf beide Partner im Handeln erprobt werden.

In der Reflektion werden die gewählten Konfliktstrategien beider Seiten gesammelt und in ihrer Wirkung reflektiert. Dabei wird auch gefragt, ob es „typisch weibliche“ oder „typisch männliche“ Durchsetzungsstrategien gibt.

Die TeilnehmerInnen erkannten in dieser Übung, dass durchsetzungsstarkes Verhalten nicht „an sich wirkungsvoll“ ist und auch ein vermeintlich „schwaches“ Verhalten sehr wirkungsstark sein kann, wenn es zum Beispiel beim Gegenüber Schuldgefühle auslöst oder andere Schwachstellen trifft.

Die Übertragung auf die Situation in der Kindergruppe ergab, dass alle angewandten Strategien wie überreden, quengeln, Druck machen, täuschen, Angebote machen, „lieb“ sein, sich einschmeicheln usw. auch von Kindern in Konflikten angewandt werden. Die TeilnehmerInnen reflektierten sodann, wo sie selbst  „schwach“ werden oder stark sind und welche Auswirkung eigene Lebenserfahrungen (d.h. die in der Kindheit gelernten Durchsetzungsstrategien) für ihr Eingreifen und die Bewertung von Konflikten unter den Kindern haben.

Im Vordergrund der Auswertung stand der Versuch, Konflikte als Lernchance begreifen. Um zu einer Bewertung über die Wirksamkeit und Bedeutung von Strategien und auch zu einer moralischen Bewertung zu kommen, müssen Kinder diese Strategien erproben dürfen. Nur so können sie auch eigene Konfliktlösungsstrategien entwickeln. Dies wird oftmals durch sofortiges Eingreifen der Erwachsenen in Konflikte und ihre moralische Bewertungen verhindert. Lernerfolg dieser Übung war die Erfahrung, dass das sofortige Unterbinden bzw. das Eingreifen in Konflikte verhindern kann, dass Kinder Konfliktlösungsverhalten erproben können: Resümee der ErzieherInnen war damit: „Nicht soviel eingreifen, nicht nur reden, nicht sofort moralisch bewerten“ – Kinder müssen verschiedene Konfliktlösungsstrategien über das Austragen von Konflikten erproben und üben können.

Eindrucksvoll war auch das „Etikettierungsspiel“, eine psychodramatische Übung, die die massiven Auswirkungen von Rollenzuschreibungen wie z.B. „aggressiver Junge“ für das Verhalten von Kindern insbesondere in offenen Spielsituationen deutlich machte. Es zeigte sich, dass aggressive Jungen von ErzieherInnen und Eltern einen großen Freiraum erhielten: „Wir wurden ab und zu in die Schranken gewiesen. Damit können wir leben. Ansonsten wurden wir in Ruhe gelassen.“ Schüchterne, stille Kinder wurden in ihrer Rolle bestätigt: „Wir wurden in die Leseecke und Puppenecke geschickt.“

Im Laufe des Seminars wurde den TeilnehmerInnen deutlich, wie wichtig es ist, in Konfliktsituationen genauer zu beobachten, um diese verstehen und angemessen reagieren zu können. Die Suche nach „dem Schuldigen“, das schnelle, unreflektierte Eingreifen von Erwachsenen in Konflikte und der Versuch des Vermeidens von Konflikten wirken dagegen kontraproduktiv, nämlich konfliktverstärkend. Die TeilnehmerInnen gelangten zur Erkenntnis, dass Konfliktlösungsprozesse sowohl den Mädchen und Jungen als auch ihnen selbst wichtige soziale Lernerfahrungen ermöglichen. Konfliktlösungen können Mädchen und Jungen nur finden, wenn sie Konflikte austragen und dabei verschiedene Strategien erproben können. Dies ist etwas ganz anderes als das oft von Erwachsenen erwünschte „darüber Reden“, wie eine Erzieherin formulierte: „Mir ist jetzt klar geworden, warum Warum-Fragen nicht weiterhelfen. Kinder können in Konfliktsituationen ihre Motive und Gefühle meist nicht verbalisieren.“

Konstruktive Konfliktlösungen erfordern den Einsatz von Regeln, Sanktionen und Ritualen. Im Anschluss wurde daher das eigene Interventionsrepertoire der ErzieherInnen reflektiert als Voraussetzung dafür, bewusst und flexibel damit umzugehen und es zu erweitern. Die intensive und praxisorientierte Auseinandersetzung mit den vorgestellten Inhalten erforderte viel Zeit, so dass nicht alle geplanten Themen realisiert werden konnten.

Am Ende des zweiten Seminars war die Grundlage dafür gelegt, auf der Basis eines differenzierteren Verständnisses von Geschlechterrelationen und eines Verständnisses von Konflikten als Lernchance, sich den institutionellen Strukturen und Inhalten pädagogischer Arbeit in der eigenen Kindertagesstätte zuzuwenden. Eine Teilnehmerin formulierte: „Der Hauptschwerpunkt meiner Arbeit liegt in der Prävention – das wurde mir klar. Ich wünsche mir dazu mehr Kompetenz: Wie hilft man Kindern, ihre Gefühle und Wünsche wahrzunehmen?“ Individuelle Zielerarbeitung zur Frage des Umgangs mit Konflikten stand am Ende des Seminarblocks.

3. Seminar: Die Kindertagesstätte als Ort für Mädchen und Jungen

Die Praxisberichte zu Beginn des dritten Seminars zeigten ein sehr differenziertes Bild. Die meisten TeilnehmerInnen waren persönlich intensiv mit den Themen des Projekts beschäftigt. Während aber einige Kolleginnen von Umsetzungsversuchen und Erfolgen berichteten, stand bei anderen nach wie vor die Klage über mangelnde zeitliche und persönliche Möglichkeiten in der Zwischenzeit im Vordergrund.

Eine Kollegin berichtete, dass sie sich bei einer Prügelei zweier Jungen dazugesetzt hatte, anstatt diese sofort zu unterbinden, und den weiteren Verlauf als gelungene Konfliktlösung erfahren. Dieser Bericht löste sofort Widerspruch aus. Das Verhalten der Erzieherin wurde als „Nichts tun“ interpretiert, das den Eindruck erwecken könne, dass Prügeleien und körperliche Gewalt akzeptabel seien. Die nachfolgende engagierte und kontroverse Diskussion ermöglichte eine sehr differenzierte Analyse der Situation und der Reaktion der Erzieherin. Herausgearbeitet wurde, daß es für Konfliktsituationen kein „Rezept“ gibt. In diesem Fall hat die nicht wertende – und damit wertschätzende – Anwesenheit einer erwachsenen Bezugsperson als „Zeugin“ dazu geführt, dass die Situation nicht eskalierte. Von entscheidender Bedeutung war dabei, dass der Handlungsspielraum der Beteiligten gewahrt blieb. Deutlich wurde zudem erneut die Wichtigkeit genauer Beobachtung als pädagogischer Basisqualifikation, die im Alltag oft vernachlässigt wird.

Im weiteren Verlauf wurde am im vorherigen Seminar bearbeiteten Modell zu Macht, Regeln / Recht und Vermittlung als Formen der Konfliktlösung angeknüpft. Eine Vertiefung zu unterschiedlichen Formen der Macht schärfte den Blick dafür, dass Frauen in der Regel große Scheu vor dem Einsatz ihrer institutionellen Macht haben, ihr Einsatz jedoch durchaus im Sinne befriedigender Konfliktlösungen erfolgen kann. Anschließend wurde das Thema „Macht und Ohnmacht im Geschlechterverhältnis“ anhand eines Fallbeispiels in der Forschungsphase erarbeitet (das interpretierte Fallbeispiel ist in Kapitel 3.4 wiedergegeben). Zu spannenden Auseinandersetzungen zwischen Frauen und Männern kam es hier insbesondere, als über einen möglichen Zusammenhang von Aggression und Erotik diskutiert wurde – zwei Themen, die in Kindertagesstätten oft eher ausgeblendet werden. An der teils provozierenden, teils übervorsichtigen Haltung der an der Diskussion Beteiligten und der daraus resultierenden Unsicherheit wurde deutlich, das eine Gesprächskultur zwischen Frauen und Männern, die auch heikle Fragen des Geschlechterverhältnisses nicht außen vor lässt, bislang kaum entwickelt ist.

Die nächsten Arbeitsschritte gaben den TeilnehmerInnen konkrete Anregungen für die Praxis. Hilfestellung zum Umgang mit Eskalationssituationen, Regeln zum klaren Eingreifen bei körperlicher Gewalt und ein Konfliktfahrplan wurden eingeführt (vgl. Anlage 18).

In einem weiteren Schritt wurden Rahmenbedingungen von Kindertageseinrichtungen reflektiert. Insbesondere die Raumgestaltung trägt entscheidend dazu bei, wie viele und was für Konflikte im Alltag der Kindertagesstätte auftreten. Vor diesem Hintergrund wurde der Raum als potentieller Stifter oder auch Löser von Interessenkonflikten zwischen Mädchen und Jungen diskutiert.

Ein theoretischer Input zu empirischen Ergebnissen zum geschlechtstypischen Raumverhalten sowie eine damit verbundene Praxisreflexion führten zu Widerspruch und ergaben ein sehr gemischtes und kontroverses Bild. Die TeilnehmerInnen stellten verbreitete Aussagen aus Untersuchungen und Veröffentlichungen in Frage. So wurde aus manchen Einrichtungen berichtet, dass Mädchen oft sogar raumgreifender spielen als Jungen. Zwar wurden von vielen TeilnehmerInnen die bekannte Aussage bestätigt, dass Jungen oft den „öffentlichen Raum“ und das Außengelände „besetzen“ und Mädchen sich häufiger zurückziehen. In einer Einrichtung aber wurde letzteres deutlich mehr von den Jungen berichtet, die sich zugleich über Störungen durch Mädchen beschwerten. Der Umgang mit Verkleidungsmaterial ist individuell bei Jungen wie bei Mädchen sehr unterschiedlich, und selbst eine typische Mädchendomäne wie das Atelier wird weit häufiger von Jungen aufgesucht, wenn ein Mann dort als Bezugsperson zur Verfügung steht.

Neben diesen Differenzierungen wurden – allen vorangegangenen Forschungs- und Fortbildungserfahrungen zum Trotz – verallgemeinernde Positionen wie „eigentlich gibt es gar nicht solche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen“ geäußert. Dies macht deutlich, dass die allgemeine Erkenntnis, dass es geschlechtstypische Unterschiede gibt, ErzieherInnen nicht automatisch dazu befähigt, diese Unterschiede in ihrer Praxis auch zu erkennen. Dafür braucht es Zeit für gründliche Beobachtung und Reflexion, die im Alltag oft fehlt.

Die Bedürfnisse von Mädchen und Jungen müssen in der Gestaltung und Ausstattung von  Räumen in Kindertagesstätten berücksichtigt werden. Mögliche Konfliktpunkte aufgrund unterschiedlicher, teilweise gegensätzlicher Spielbedürfnisse können durch durchdachte Konzepte zur Nutzung von Räumen entschärft werden. Entsprechende Gestaltungs- und Nutzungsideen wurden von der Leitung vorgestellt (vgl. Kapitel 8.2). Insbesondere wurden Modelle zur Geschlechtertrennung bei der Gestaltung und Nutzung von Räumen diskutiert. In mehreren der am Projekt beteiligten Einrichtungen gab es Erfahrungen mit Mädchen- und Jungenräumen oder geschlechtsgetrennter Nutzung von Räumen. Die unterschiedlichen Erfahrungen machten deutlich, dass solche Angebote nicht „an sich“ gute Methoden sind, sondern immer im Kontext der aktuellen Situation von Rahmenbedingungen, Gruppe und Mitarbeiterinnen gesehen und entwickelt werden müssen. Gleichzeitig wurde dabei die Frage aufgeworfen, ob die Betreuung von Schulkindern in weit altersgemischten Gruppen (in der Regel 3-12 Jahre) möglicherweise Konfliktpotentiale vergrößert. Schon in der Forschungsphase war aufgefallen, dass viele Hortkinder sich über „die Kleinen“ beschwerten und eigene Räume forderten. Diese Eindrücke wurden nun von den TeilnehmerInnen bestätigt. Schulkinder brauchen altersgemäße Privilegien; dabei sind die unterschiedlichen Bedürfnisse von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen. Ein wesentlicher Beitrag dabei ist ihre aktive Beteiligung (Partizipation). Dies ergibt sich schon aus den sehr unterschiedlichen Beobachtungen zum Raum- und Bewegungsverhalten von Mädchen und Jungen, die die ErzieherInnen aus ihren Einrichtungen berichteten.

Abschließend wurden Grundsätze geschlechtsbewusster Gewaltprävention in Kindertagesstätten eingeführt und anhand der Praxis der TeilnehmerInnen reflektiert. In einem letzten Zielüberprüfungsbogen wurden individuelle Ziele für diesen thematischen Schwerpunkt formuliert (vgl. Anlage 19).

4. Seminar: Auswertung & Ausblick

Das vierte Seminar diente zum einen der Verankerung geschlechtsbewusster Gewaltprävention in der Praxis der TeilnehmerInnen, zum anderen der Auswertung des Gesamtprozesses und dem Ausblick auf die weitere Arbeit. Die Sammlung und Einordnung von bisherigen Praxiserfahrungen und Angeboten der TeilnehmerInnen vor dem Hintergrund der Grundsätze geschlechtsbewusster Gewaltprävention ergab eine sehr ungleiche Verteilung. Deutlich mehr der genannten Angebote und Situationen richteten sich an Jungen. Vielfach handelte es sich dabei um Angebote und Beobachtungen zum Umgang mit Gefühlen. Andererseits wurde mehrfach von Angeboten zum Kämpfen sowohl für Jungen als auch für Mädchen berichtet – sicher vor dem Hintergrund von Anregungen aus der Fortbildungsreihe. Dass solche Angebote wie z.B. der Einsatz von „Batacas-Schlägern“ nicht unbedingt gewaltpräventiv wirken, sondern auch zu Konflikten führen können, zeigt ein Beispiel für den Praxistransfer im folgenden Abschnitt.

Angebote für Mädchen wurden insgesamt wesentlich weniger benannt. Insbesondere „typisch weibliche“ Themen wurden nicht aufgeführt, obwohl sie einen großen Teil des Alltags von Kindertagesstätten ausmachen: typische Angebote für Mädchen wie Schminken, Tanzen, Kochen, andere versorgen. Die Reflexion ergab, dass mache Erzieherinnen dazu ein ambivalentes Verhältnis haben. Manche entschuldigen sich quasi dafür: „Eigentlich hätten wir es auch lieber, wenn die Mädchen raufen und Fußball spielen, aber die Mädchen wollen die anderen Angebote…“ Geschlechtstypisches Verhalten wird auch von Frauen abgewertet, obwohl sie es als vertraut und angenehm erleben.

In der Praxis ist damit eine stärkere, wenn auch oft widersprüchliche Beschäftigung mit Jungen einerseits, die unbewusste Abwertung typisch weiblicher Eigenschaften und Verhaltensweisen bei Mädchen andererseits nach wie vor anzutreffen – trotz der langen Auseinandersetzung mit der Situation von Jungen und Mädchen sowie insbesondere mit der Abwertung „weiblicher“ Eigenschaften im Forschungsprojekt. Diese Überlegungen machten die TeilnehmerInnen – und auch uns als Projektleitung – sehr nachdenklich und wurden bei der Planung der zukünftigen Arbeitsvorhaben der TeilnehmerInnen berücksichtigt.

Die verbleibende Zeit wurde für die Reflektion des Gesamtprozesses des Forschungsprojektes genutzt. Als Ergebnis ihres Lernprozesses formulierten die TeilnehmerInnen individuelle Kernaussagen zum geschlechtsbewussten Umgang mit Konfliktverhalten. Die weiteren Ergebnisse des letzten Seminarabschnitts waren Bestandteil der Evaluation und werden dort berichtet.

Exkurs: Wilde Spiele

Die Bearbeitung der inhaltlichen Themen im Verlauf der Fortbildung wurde immer wieder von kurzen körperorientierten Einheiten unterbrochen, in denen auf meist spielerische Weise Übungen zu Körpererfahrung, Bewegung, Kraft & Kampf und Entspannung durchgeführt wurden. Diese Einheiten dienten nicht nur der Auflockerung, sondern vermittelten gleichzeitig körperorientierte Methoden und Spiele für geschlechtsbewussten Pädagogik und Gewaltprävention in Kindertagesstätten. Bei ErzieherInnen sind diese Einheiten sehr beliebt. Im Rahmen des vorliegenden Fortbildungskonzeptes ist entscheidend, dass insbesondere die Durchführung von Übungen zum Kräftemessen und Kämpfen immer in die inhaltliche Auseinandersetzung eingebunden wurde und stets ermöglicht wurde, die in den Übungen gemachten Erfahrungen gemeinsam zu reflektieren.

Tobe- und Kampfspiele in Fortbildungsseminaren ermöglichen einen lustvollen Zugang zu aggressiven Energien, der wilde Spiele der Jungen und Mädchen in einem anderen Licht erscheinen lässt. Viele Erzieherinnen haben wenig biografische Erfahrungen mit Toben, Raufen und Kampfspielen, so dass keine Erinnerung an damit verbundene Lustgefühle besteht. Männer haben als Jungen diesbezüglich oft mehr positive Erinnerungen, was ihnen den Zugang zu diesem Erfahrungsbereich erleichtert. Nicht zuletzt deshalb sind Männer oft für das Toben und Raufen „zuständig“ – ob Väter in der Familie oder männliche Mitarbeiter in Kindertageseinrichtungen.

Eine Möglichkeit, mit spielerischem Kampf zu experimentieren, ist der Einsatz von Bataca-Schlägern.

Ziel: Spielerischer Ausdruck von aggressiven Energien

Übung: Kampf mit Bataca-Schlägern

Bataca-Schläger sind „Schlagstöcke“ mit einem Holzstock als Kern, der mit einer dicken Schaumstoffschicht ummantelt und mit einem reißfesten Stoff überzogen ist. Außerdem gibt es noch einen speziellen Handschutz aus bezogenem Schaumstoff . Batacas gibt es in verschiedenen Ausführungen und Größen für Kinder und Erwachsene. Mit diesen Schlägern kann man sich gegenseitig oder auf Gegenstände – auch sehr kraftvoll – schlagen, ohne sich wehzutun oder zu verletzen. So kann, wenn klare Regeln vereinbart sind, ein lustvoller, spielerischer Kampf unter Einsatz von körperlicher Kraft ausgetragen werden.

In der Kindertherapie werden Batacas vor allem Kindern angeboten, die eher aggressionsgehemmt sind oder sich wenig bis gar nicht trauen, sich auch körperlich mit Rangeln und Raufen zu erproben. Auf keinen Fall sollten sie eingesetzt werden in akuten Konfliktsituationen und auch nicht mit Kindern, die ihre Wut und Aggression hauptsächlich über körperliche Gewalt ausdrücken. Hier kann der Einsatz von Batacas kontraproduktiv wirken, denn die Kinder machen keine neue Erfahrung zum Umgang mit Gefühlen von Wut und Aggression, sondern es wird ein bereits bei ihnen bestehendes Verhaltensmuster verstärkt (körperliches „Abreagieren“ von Wut durch Schlagen eines anderen Menschen).

Im Rahmen der Fortbildung wurde den TeilnehmerInnen ermöglicht, den Einsatz von Bataca-Schlägern „am eigenen Leib“ zu erfahren. Die Teilnahme an einem Kampf ist grundsätzlich freiwillig. Ein Kampf kann jederzeit mittels eines zuvor vereinbarten „Stopp-Zeichens“ abgebrochen werden.

Quelle und nähere Erläuterungen: vgl. Reichel & Reichel, 1997, S. 43ff.

Einige FortbildungsteilnehmerInnen erwarben im Anschluss Batacas und erprobten sie in der Arbeit mit Kindern. Hier nun der Praxisbericht einer Erzieherin:

„Die Kinder haben sich gelangweilt und wussten nicht, was sie machen sollten (in den Frühjahrsferien). Dann habe ich die Bataca-Stöcke geholt und den Kindern gesagt, dass sie nur auf den Oberkörper schlagen dürfen. Die Kinder hatten großen Spaß, die etwas zurückhaltenden Kinder und auch die „Powerkinder“.

Meine Kollegin war nicht begeistert und fand es so grausam, dass sie in dieser Situation die Gruppe verließ. Die Leitung kam dazu und war auch nicht einverstanden mit dem Einsatz dieser Schläger. Jetzt muss es noch einige Gespräche über diese Schlagstöcke in meiner Kita geben.

Ich persönlich finde sie gut, weil die „Power-Kinder“ sich damit mal austoben können und die zurückhaltenden Kinder sich mal etwas trauen.“

Dieses Beispiel zeigt, dass die Tatsache, dass eine Kollegin etwas „Neues“ aus der Fortbildung ausprobiert, nicht automatisch zu einer Reduzierung problematischer Konfliktanlässe führt. Zwar waren die Kinder begeistert, aber es entstand ein neuer Konflikt unter den Kolleginnen und zu der Leitung, die den Einsatz der Batacas anders bewerteten als die Fortbildungsteilnehmerin.

Entscheidend ist nun, ob es im Team gelingt, den Konflikt als Lernchance zu nutzen, nämlich als Möglichkeit, sich über Wahrnehmungen, Gefühle und Einstellungen zum Einsatz dieses Angebots auszutauschen und zu einem gemeinsamen Handlungsmuster im Umgang damit zu kommen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass „um des lieben Friedens“ dieses Thema im Team nicht kontrovers diskutiert wird und die Batacas im Schrank verschwinden.

Gleichzeitig zeigt das Beispiel, wie Wahrnehmungs- und Verständigungsprobleme bei der Vermittlung von Inhalten auftreten können. Die Kollegin erlebt den Einsatz dieser Schläger als hilfreich gerade für die „Power-Kinder“. Die auf der Fortbildung formulierten Überlegungen und Einschränkungen zur Arbeit mit aggressiven Kindern wurden von der Erzieherin nicht in der Auseinandersetzung mit den Kolleginnen weitergegeben. Diese hatten den Eindruck gewonnen, es ginge beim Einsatz der Batacas darum, Konflikte körperlich auszuagieren, und reagierten – aus ihrer Sicht mit Recht – kritisch.

4.5. Ergebnisse der Fortbildung

Verlauf und Prozess der Fortbildung

Die Durchführung der Fortbildung entsprach dem dargestellten Konzept. Die ausgewählten Inhalte konnten in der vorgegebenen Zeit von acht Tagen zufriedenstellend bearbeitet werden. Die Gliederung der Fortbildungsinhalte in Seminarblöcke sowie der innere Aufbau der einzelnen Themenblöcke: Geschlechterrelationen – Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen – Arbeit mit Mädchen und Jungen in der Kita haben sich bewährt. Allerdings konnten manche Aspekte eines Themas nur sehr kurz oder überblicksartig behandelt werden.

Das Thema Geschlechterrelationen und Konfliktlösungsmodelle im Kulturvergleich wurde nicht bearbeitet. Obwohl dies von den TeilnehmerInnen stark gewünscht worden war, musste aufgrund der zeitlichen Begrenzung des Projektes auf eine Bearbeitung verzichtet werden. Zudem liegen bislang kaum empirische Erkenntnisse zu diesen Zusammenhängen vor, die Grundlage von Hilfestellungen für die Praxis sein können. Die Anfragen aus der Praxis machen deutlich, dass verstärkte Forschungsaktivitäten in diesem Bereich dringend erforderlich sind.

Vom Anspruchsniveau war die Fortbildungsreihe eine Einführungs- und Grundlagenveranstaltung in die genannten Themen, wenngleich einzelne TeilnehmerInnen schon andere Seminare zu Geschlechter- und Konfliktthemen besucht hatten. Unser Ansatz war, die Themen nicht einzeln abzuhandeln, sondern Lernprozesse auf verschiedenen Ebenen zu ermöglichen. Dies erfordert eine kontinuierliche Prozessbegleitung. In der durchgeführten Fortbildungsreihe wurde dies durch die Projektleiterin Christel van Dieken garantiert, die bei allen Seminarblöcken anwesend war und jeweils wieder Zusammenhänge und Bezüge herstellte.

Der Gruppenprozess während der Fortbildungsphase war gekennzeichnet von fortlaufender intensiver Auseinandersetzungsbereitschaft der TeilnehmerInnen. Offenheit, Wissbegier, Interesse und Bereitschaft zur Erprobung alternativer Handlungsmodelle kennzeichneten ihre Lernhaltung. Als sehr positiv für den Gruppenprozess stellte sich die Durchführung der Fortbildung mit einer gemischten Gruppe von Frauen und Männern heraus. So konnte ein Lernziel, nämlich das jeweilige „So-Sein“ und „Anders-Sein“ zu akzeptieren, unter und zwischen den Männern und Frauen des Seminars erprobt werden.

Der Aufbau von Gruppenkohäsion als wichtiger Voraussetzung für die Arbeit an persönlichen Themen wurde durch äußere Bedingungen gestört. So fehlten in jedem Seminarblock mehrere und jeweils unterschiedliche Personen, bedingt durch den Krankheitsstand und die Personalsituation in den Einrichtungen. Die Bereitschaft der Einrichtungsleitungen, MitarbeiterInnen auch bei schwierigen Personallagen für Fortbildung freizustellen, war dabei sehr unterschiedlich. Weiterhin erwies es sich für den Gruppenprozess als nicht förderlich, dass die Fortbildung „vor Ort“ stattfand und keine Übernachtung eingeplant war. Die Situation, sich jeden Morgen wieder neu auf die Inhalte und die Gruppe einstellen zu müssen, ist gerade bei Themen nachteilig, die in starkem Maße mit der Reflexion persönlicher Fragen verknüpft sind. Zudem gab es wenig Gelegenheit für den Austausch „zwischendurch“ und den Aufbau von Beziehungen unter den TeilnehmerInnen, die den Lernprozess unterstützt hätten.

Auf der fachlichen Ebene zeigte sich im Verlauf der Fortbildung, dass einige Kompetenzen, die für die Deutung von Konfliktsituationen und die Erarbeitung von angemessenen Interventionen grundlegend sind, bei vielen ErzieherInnen nicht hinreichend vorhanden sind. Dies trifft insbesondere für die Theorie und Praxis der Beobachtung zu. ErzieherInnen sollten auch unterstützt, bzw. angeleitet werden, andere Beobachtungsverfahren wie Videoaufnahmen unterstützend einsetzen zu können.

Insgesamt wurde der „rote Faden“ des Fortbildungskonzepts von den TeilnehmerInnen aufgenommen und über die gesamte Zeit gehalten. Dabei unterstützten die TeilnehmerInnen sich gegenseitig, wie das folgende Beispiel zeigt.

Eine Teilnehmerin beschäftigten Konflikte, die häufig auftraten, wenn die Erzieherinnen mit den Jungen und Mädchen Feuer im Außengelände machen. Dieses Thema wurde bereits zu Beginn der Fortbildungsphase während eines Studientages im Team bearbeitet. Zu diesem Zeitpunkt sah die Erzieherin das Problem bei einigen Jungen, die nicht bereit schienen, sich an vereinbarte Regeln zu halten.

Die Teilnehmerin kam im Laufe der Fortbildungsreihe häufiger auf diese Situation zurück. Auch im letzten Fortbildungsabschnitt wollte sie eigentlich über einen Jungen berichten. In ihrer Beschreibung der Situation am Feuer bemerkte sie: „Und dann ist mir aufgefallen, dass auch M. (ein Mädchen) mit am Feuer gespielt hat. Es hat mich erstaunt, dass auch Mädchen gern mit Feuer spielen.“ Daraufhin erwiderte eine andere Teilnehmerin: „Siehst du, gerade, dass dich so etwas erstaunt ist ja das Problem.“

Die zweite Teilnehmerin wies darauf hin, dass auf gleiche Verhaltensweisen von Mädchen und Jungen, nämlich „am Feuer spielen“, unterschiedlich reagiert wird. Bei Jungen wird es für „natürlich“ gehalten, dass sie Spaß daran haben mit Feuer zu spielen, bei Mädchen wird es als etwas Besonderes bemerkt. Dieses persönliche Erstaunen wird sich dem Mädchen mitteilen, auch wenn es nicht sprachlich formuliert ist. Das Mädchen lernt dabei: Mein Verhalten ist etwas Besonderes. Wenn ich mit Feuer spiele ‚falle ich aus der Rolle’“

Das Beispiel verdeutlicht zum anderen, dass die Arbeit an Einstellungen und Haltungen grundlegend für geschlechtsbewusste Pädagogik ist. Zum anderen zeigt es, dass in längerfristigen Fortbildungsprozessen TeilnehmerInnen sich gegenseitig in ihren Haltungen reflektieren – und damit viel mehr bewirken können als Belehrungen durch die Seminarleitung.

Transfer der Fortbildungsinhalte in die Praxis

Bereits im Laufe der Fortbildung wurde deutlich, daß die TeilnehmerInnen Anregungen aus der Fortbildung in hohem Maße umsetzten. Motivierend wirkte sich sicherlich die wertschätzende Aufmerksamkeit aus, die die ProjektmitarbeiterInnen den Praxiserfahrungen der TeilnehmerInnen widmete (durch Berichte, Nachfragen usw. ). Dazu kam der kollegiale Austausch unter den TeilnehmerInnen in Gruppendiskussionen und Kleingruppen sowie – oft nicht minder wichtig – der informelle Austausch in den Pausen. Dabei wirkte es sich sehr positiv aus, dass sowohl den ProjektmitarbeiterInnen als auch den anderen TeilnehmerInnen die räumlichen und personellen Rahmenbedingungen der Einrichtungen aus der Aktionsforschungsphase bereits bekannt waren.

Die Intervallform der Fortbildungsreihe ermöglichte die Erprobung von Fortbildungsinhalten in den Zwischenzeiten. Durch gezielte Praxisvorhaben konnten Erkenntnisse vertieft und die Verbindlichkeit der Arbeit am Thema verstärkt werden. Dies wurde von allen TeilnehmerInnen wahrgenommen, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen und persönlicher Zufriedenheit. Zum einen lag das an den bereits wiederholt thematisierten Arbeitsbedingungen, die in vielen Einrichtungen zusätzliche Aktivitäten zu den Projektthemen kaum zuließen. Zum anderen neigen ErzieherInnen oft dazu, Ziele im Bereich des sozialen Verhaltens einerseits zu hoch anzusetzen, andererseits zu allgemein zu formulieren. Sie haben wenig Erfahrung damit, sich konkrete und realistische pädagogische Ziele zu setzen, entsprechende Vorhaben umzusetzen und den Erfolg zu kontrollieren. Daher benötigen sie Unterstützung sowohl für die Vorbereitung als auch für die anschließende Auswertung der Praxisvorhaben. Hierfür konnte in der durchgeführten Fortbildung nicht immer ausreichend Zeit eingeräumt werden.

 

Folgende Praxisvorhaben wurden während der Fortbildung von den ErzieherInnen in Angriff genommen:

  • Beobachtung und Analyse der Spielbedürfnisse von Mädchen und Jungen sowie möglicherweise daraus entstehenden Konflikten, anschließend Umsetzung von Veränderungen.
  • Reflexion und Berücksichtigung der Bedürfnisse von Mädchen und Jungen bei der Um- und Neugestaltung von Räumen.
    Entwicklung von Regeln für die Nutzung des Bewegungsraumes durch Mädchen und Jungen.
    Einrichtung und Gestaltung eines Jungenraumes gemeinsam mit den Jungen
    Planung und Einrichtung eines Raumes für größere Schulkinder.
  • Erarbeitung von Regeln und Ritualen für Konfliktsituationen gemeinsam mit Mädchen und Jungen.
    Erarbeitung von Konfliktlösungen in der Kinderkonferenz.
    Erarbeitung von Handlungszielen zum Thema Konfliktlösung im Team.
    Üben von neuen Interventionsstrategien in akuten Konfliktsituationen.
  • Durchführung und Reflexion von Angeboten geschlechtsbewusster Pädagogik / Jungenarbeit & Mädchenarbeit.
    Erarbeitung von Bausteinen für ein einrichtungsinternes Konzept zum Thema „geschlechtsbewusste Pädagogik“ und „geschlechtsbewusste Gewaltprävention“.
  • Durchführung von Elternabenden zur Projektthematik

Einige dieser Praxisvorhaben wurden im Zusammenhang mit den teaminternen Fortbildungen entwickelt, die im folgenden Abschnitt dargestellt werden.

4.4. Die teaminternen Fortbildungen

4.4.1. Überblick

Um Transfer und Verankerung der in Aktionsforschung und Fortbildung gewonnenen Ergebnisse in die beteiligten Einrichtungen zu gewährleisten, wurde allen Einrichtungen die Durchführung eines Studientages mit dem gesamten Einrichtungsteam angeboten. In acht Einrichtungen wurden ganztägige Veranstaltungen durchgeführt, in einer Einrichtung eine dreistündige Dienstbesprechung. Die Studientage fanden nach dem ersten Fortbildungsblock, d.h. von Anfang November bis Mitte Dezember 2001 statt.

Diese Studientage hatten folgende Ziele:

  • ausführliche Information des Gesamtteams über Ziele, Inhalte und erste Ergebnisse des Forschungsprojektes
  • Einbindung des Gesamtteams in die Beschäftigung mit dem Thema „Konfliktlösungsverhalten von Mädchen und Jungen in der Kita“
  • Erarbeitung von gemeinsamen Zielen und konkreten Arbeitsschritten zur praktischen Umsetzung
  • Unterstützung der für die Projektteilnahme ausgewählten beiden ErzieherInnen beim Vermitteln ihrer Erkenntnisse in das Gesamtteam
  • Professionalisierung dieser beiden ErzieherInnen durch die eigenständige Durchführung eines Teils des Studientages.

Alle Studientage wurden in Absprache mit der jeweiligen Leitung sowie den ProjektteilnehmerInnen auf die Bedürfnisse und Fragestellungen der jeweiligen Kindertageseinrichtung zugeschnitten und in der Regel von zwei MitarbeiterInnen des Projektteams durchgeführt. Die konkrete Planung wurde vom Forschungsteam auf der Basis der Kinder- und Teaminterviews, der Eindrücke der Projektmitarbeiter aus der Hospitation sowie von Ergebnissen aus dem ersten Fortbildungsblock erstellt.

Zu Beginn des Studientages standen den ErzieherInnen, die an der Fortbildungsreihe teilgenommen hatten, 1 ½ Stunden zur Verfügung, in denen sie nach Absprache ein ihnen wichtiges Thema des Aktionsforschungsprojekts mit ihrem Team bearbeiten konnten. Die TeilnehmerInnen griffen dabei bereits vorgestellte Methoden auf: die Arbeit mit Standbildern zur Thematik der Bewertung geschlechtstypischen Konfliktverhaltens sowie die Bewegungsdiskussion zu Kinderzitaten zum Thema geschlechtstypisches Konfliktverhalten.

Die nachfolgende Übersicht gibt einen Überblick über die auf den Studientagen bearbeiten  Themen.

  • Umgang mit Konflikten von Mädchen und Jungen im Alltag, Bearbeitung von Fallbeispielen aus der Praxis der TeilnehmerInnen
  • Szenisches Verstehen und Auseinandersetzung mit eigenen Bewertungen des Konfliktverhaltens von Mädchen und Jungen
  • Ursachen geschlechtstypischen Verhaltens: Anlage-Umwelt-Kontroverse, Theorie zur Kultur der Zweigeschlechtlichkeit
  • Erarbeitung von Konfliktlösungsmodellen
  • Erarbeitung von Interventionsmöglichkeiten (Interventions-Kontinuum; Konfliktfahrplan; Regeln für den Umgang mit Konflikten)
  • Reflexion des Umgangs mit körperlichen Auseinandersetzungen, Rangeleien und kämpferischen Spielen; Erarbeitung von Regeln und Ritualen für Kämpfe und Kampfspiele
  • Raumgestaltung und Konfliktverhalten
  • Geschlechtsbewusste Gewaltprävention, Mädchen- und Jungenarbeit in der Praxis von Kindertageseinrichtungen

4.4.2. Fallvignette: Bearbeitung zweier Fallbeispiele

In einigen Einrichtungen wurden Schwierigkeiten der Teilnehmerinnen mit Konflikten mit bzw. unter Kindern anhand von konkreten Fällen aus der Alltagspraxis supervisorisch bearbeitet. Dabei kam die Methode des szenischen Verstehens zum Einsatz. Nach Anweisung einer KollegIn, die einen Fall bearbeiten möchte, wird die Situation so nachgespielt, „als wenn wir uns einen Film ansehen würden, der bei dem Geschehen gedreht worden ist“. Die Erzieherin stellt sich selbst dar und wiederholt, was sie gesagt und getan hat; KollegInnen übernehmen die Rollen der beteiligten Kinder. Anschließend berichten alle Beteiligten, welche Gefühle sie dabei bewegten. Dies ermöglicht ein tieferes Verständnis der Situation und gibt Hinweise auf alternative Lösungswege.

Die nachfolgend dargestellten Fallbeispiel zeigen exemplarisch, wie Erzieherinnen geschlechtstypisches Konfliktverhalten verstärken können, ohne dies zu beabsichtigen. Sie weisen gleichzeitig darauf hin, wie die Reflexion des Verhaltens der Erzieherin allen Beteiligten neue Verhaltensalternativen eröffnen kann.

Szene 1: Ausbruch aus dem Frauen-Garten.

Beate, zur Zeit Erzieherin bei den Vorschulkindern, ist mit ihrer Kollegin Jana und einigen Kindern im Garten. Sie sieht, dass Jonas (10) und Phillipp (6) durch den Garten toben. Plötzlich springen die beiden Jungen über die Hecke – eine Grenze, die die Kinder nicht überschreiten dürfen.

Beate sieht Bedarf, einzugreifen. Von den ErzieherInnen, die für die Schulkinder zuständig sind, ist niemand in Sicht. Sie fragt Jana: „Kümmerst Du Dich um die Kleinen?“ und ruft den Jungen hinterher, dass sie zurückkommen sollen. Die beiden reagieren nicht. Es entwickelt sich eine Jagd rund ums Haus und im Haus, an der schließlich drei Erzieherinnen beteiligt sind.

Schließlich stellen sie die beiden Jungen. Beate versucht mit Jonas zu sprechen, der jedoch abwehrend sagt: „Ich muss jetzt nach Hause“. Beate ist sehr aufgeregt und will erreichen, dass Jonas ihr zuhört. Schließlich fasst sie ihn am Arm und zieht ihn ins Büro, wo sie ihm sagt, dass sein Verhalten falsch war.

Diese Szene wird auf dem Studientag unter Beteiligung der Teamkolleginnen szenisch dargestellt. Auf die Aufforderung hin zu verbalisieren, was innerlich in ihr vorgeht, gibt Beate ihre „inneren Stimmen“ folgendermaßen wieder:

  • „Jemanden so am Arm packen ist brutal“
  • „Jetzt mach ich etwas, was ich nie machen wollte“
  • „Das darf ich nicht tun
  • „Ich bin schuld, wenn er Ärger zu Hause hat“

Während Beate dies mit Unterstützung von drei Kolleginnen im Raum aufstellt (jede „innere Stimme“ wird dabei von einer Person übernommen), kommentiert sie sich „Ich mach mir dauernd Vorwürfe“. Außerdem entdeckt sie noch eine vierte Stimme, die laut und wütend ist: „So redest Du nicht mit mir !“ Auf die Frage der Dozentin, ob sie etwas an diesem Szenario verändern wolle, stellt Beate die „vorwurfsvollen“ Stimmen zurück und holt die Wut-Stimme nah zu sich heran. „Das bin ich aber nicht“ -schränkt sie sofort ein.

Die Dozentin fragt den männlichen Kollegen, der den Jungen Jonas darstellt, wie es ihm in dieser Szene geht. „Die erreicht mich gar nicht“, meint er. „Ich habe da einen ganz schön dicken Schutzpanzer.“ Beate und einige andere Kolleginnen probieren daraufhin aus, wie es ist, Jonas mit fester Stimme zu konfrontieren. Es kommen weitere Vorschläge, Jonas auch mit den eigenen Gefühlen (Ärger, Sorge) zu konfrontieren.

In der Auswertungsrunde teilt Beate mit: das sie genau an diesem Teil weiterarbeiten wolle. Einige Tage später berichtet sie, dass sie noch viel über die Szene nachdenke: „Vielleicht empfindet der Junge das ja gar nicht so schlimm wie ich…?“

Szene 2: „Nun lass sie doch wieder mitspielen!“

Jennifer und Petra, beide 5 Jahre, sind beste Freundinnen im Kindergarten. Die Erzieherin Katrin schätzt Jennifer als die dominantere von beiden ein, die sich oft bewusst anderen Kindern zuwendet, um Petra zu ärgern. Petra weint dann schnell und reagiert hilflos.

In dem Fallbeispiel, das die Erzieherin Katrin einbringt, hat Jennifer eine neue Puppe und einen Rucksack, mit denen sie spielt. Die Bitte von Petra, sie mitspielen zu lassen, verweigert Jennifer. Sie geht weg und wendet sich Jana (3) zu, einem neuen Kind, das sich freut, von einem so großen Mädchen beachtet zu werden.

Petra weint inzwischen.

Katrin hat diese Szene die ganze Zeit beobachtet. Nun kommt Petra zu Katrin, diese fragt, was denn los sei. Petra erzählt ihr unter Tränen, dass Jennifer sie nicht mitspielen lasse. Katrin sagt: „Komm, wir gehen mal zu Jennifer.“

Katrin fragt Jennifer: „Weißt Du, warum Petra weint?“

Jennifer: „Sie wollte auch mal mit der Puppe spielen, aber ich muss sie ja nicht mitspielen lassen!“

Nach einigem Hin und her bittet Katrin Jennifer, Petra mitspielen zu lassen. Katrin berichtet, dass dies auch geschehen sei.

Diese Szene stellt Katrin mit einigen Kolleginnen nach. Diese antworten aus der Identifikation mit den Rollen, wie sie die Szene erlebt haben. Die Kollegin, die Jennifer gespielt hat, teilt mit, dass sie sich der Übermacht von Katrin und Petra gebeugt und daher nachgegeben habe. In der anschließenden Auswertung bewerten alle Kolleginnen den Konfliktverlauf als Gewinner-Verlierer-Spiel: Die zunächst Unterlegene Petra kommt mit ihrer Strategie (Tränen, Hilfe von Katrin) in eine Gewinner-Situation.

Der Konflikt der beiden Mädchen lässt sich als typisch weibliches „Beziehungs-Drama“ im Pendeln zwischen Nähe und Distanz interpretieren. Die Freundschaft beweist sich daran, dass sie immer wieder aufs Spiel gesetzt wird: Konflikte bewegen sich an der Grenze.

Die Erzieherin Katrin identifiziert sich sofort mit dem (vermeintlichen) Opfer und nimmt die Rolle der „Retterin“ ein, die eine hilfsbedürftige schützt und an ihrer Stelle handelt. Eine Kollegin stellt die Frage, ob Petra vielleicht neben ihrer Verzweiflung auch wütend auf die Freundin war und schlägt vor, dass die Erzieherin das Mädchen unterstützen könnte, ihre Gefühle wahrzunehmen („Bist Du vielleicht wütend auf Jennifer?).

In der ersten Szene, dem Konflikt mit den Jungen, gerät die Erzieherin schnell in Hilflosigkeit. Wut und Ärger überdeckt sie durch Selbstanklagen. Indem sie sich hauptsächlich mit sich und ihrem Versagen beschäftigt, findet kein Kontakt zu Jonas statt. Jonas setzt in dieser Szene ein breites Repertoire geschlechtstypischen Konfliktverhaltens ein: Weglaufen („ihr kriegt mich nicht !“), männliche Körpersprache (breit hinsetzen, Arme verschränken, verschlossenes Gesicht), Coolness „(dann krieg ich eben wieder Ärger mit meinen Eltern…“-Schulterzucken). Die bei der Erzieherin spürbare Mischung von Erregung und Verunsicherung verstärkt Jonas in seinen Posen männlicher Überlegenheit.

Beate wiederum ist sehr streng zu sich selbst –sie erlaubt sich nicht, streng zu den Kindern zu sein. Die Einsicht, dass eine klare und deutliche Intervention, auch körperlicher Art, nicht mit Gewalt gleichzusetzen ist – und von Jonas vermutlich auch nicht so empfunden wird – gibt der Erzieherin größere Verhaltensspielräume. Gleichzeitig wird die Chance größer, dass die Intervention Jonas erreicht und ihm klare Orientierung vermitteln kann, die er – trotz der zur Schau gestellten Coolness – selbstverständlich braucht.

In der Auswertungsrunde nach Bearbeitung des Fallbeispieles berichteten viele Kolleginnen (und auch einige Kollegen), auch sie hätten Angst, Kinder fest anzufassen, etwas falsch zu machen und überhaupt Angst vor dieser Art von Konflikt.

Die Erzieherin im zweiten Beispiel fühlte sich dagegen keine Sekunde unwohl oder fremd in diesem Konflikt – schließlich kennt sie ihn als Frau. Petra wird in ihrem geschlechtstypischen Verhalten bestärkt (weinen, sich schwach zeigen). Sie lernt, dass dies eine erfolgreiche Strategie ist, um ihre Interessen durchzusetzen. Sie wird möglicherweise auch in der Überzeugung bestärkt: „ich kann nicht für mich selbst sorgen, ich brauche Hilfe“. Wenn sie stattdessen dazu ermutigt wird, auch Ärger und Wut im Dialog mit der besten Freundin zum Ausdruck zu bringen, kann sie Kompetenzen entwickeln, mit denen sie selbst aktiv Konflikte lösen kann.

In beiden Fallbeispielen wird das Gefühl der Wut von den weiblichen Akteuren nicht wahrgenommen oder nicht gezeigt. Beate drängt ihren Ärger ganz in den Hintergrund und beschäftigt sich mit Selbstanklagen. Petra reagiert mit Hilflosigkeit auf die Provokation der Freundin. Von der Erzieherin wird dies nicht problematisiert, vielleicht weil ihr diese Reaktionsweise selbst so vertraut ist. An beiden Beispielen wird deutlich, dass die Bereitschaft, sich auf Konflikte einzulassen und Ärger angemessen zum Ausdruck zu bringen, ein wesentlicher Bestandteil für die Vermeidung destruktiver Konfliktverläufe und die Entwicklung von Konfliktfähigkeit ist.

4.4.3. Ergebnisse

Die Studientage verliefen formal und inhaltlich sehr unterschiedlich. Das Spektrum reichte von der interessierten Diskussion über Ergebnisse des Forschungsprojekts bis hin zu intensiver Arbeit an Fallbeispielen oder grundlegender Auseinandersetzung mit Fragen der Raumgestaltung und Konzeption.

In den Rückmelderunden am Ende der Studientage betonten viele MitarbeiterInnen, die nicht an Aktionsforschung und Fortbildungsreihe teilgenommen hatten, wie positiv es für sie war, in dieser Form mit den Forschungs- und Fortbildungsthemen ihrer am Projekt beteiligten KollegInnen konfrontiert worden zu sein. Es wurde konstatiert, dass ein erheblicher Unterschied in der Wirkung des Studientages zu den Eindrücken von Berichten der Kolleginnen auf üblichen Dienstbesprechungen bestand. Zum einen stand hier wesentlich mehr Zeit zur Verfügung. Zum anderen hatten die Teammitglieder die Möglichkeit, mit den Themen „Konflikt“ und „Geschlecht“ eigene Erfahrungen zu sammeln, theoretische Modelle zu diskutieren, die Wirkung von Übungen „am eigenen Leibe“ zu erleben und für konkrete Fragestellungen gemeinsame Lösungsmodelle zu suchen. Der „Geschlechterblick“ auf pädagogische Alltagserfahrungen war für viele KollegInnen neu und ungewohnt – ein Beleg dafür, wie sehr diese Sichtweise in Kindertageseinrichtungen fehlt und wie wichtig die Verankerung des Projektthemas als Grundsatzaufgabe der Pädagogik in Kindertagesstätten ist. Am Ende des Studientages wurden in der Regel weitere Arbeitsschritte verabredet, an denen die Teams eigenständig weiterarbeiten wollen.

Zum Zeitpunkt der Durchführung der Studientage in den Kitas war der Stand der Informationen zum Forschungsprojekt der einzelnen Teams sehr unterschiedlich. Das lag zum einen in der unterschiedlichen Intensität der Berichterstattung und dem unterschiedlich starken Interesse der jeweiligen Teams am Projektthema begründet, zum anderen daran, dass in manchen Einrichtungen andere Themen aktuell Vorrang hatten (z.B. Neubau einer Einrichtung). Außerdem bestätigen die Rückmeldungen aus den Teams die Annahme, dass die verbreitete Praxis, KollegInnen nach dem Besuch von Fortbildungen ihre Ergebnisse in Kurzform auf Teamsitzungen präsentieren zu lassen, wenig bringt. Die Referierung eigener Erkenntnisprozesse hat in der Regel wenig Auswirkung auf die anderen Teammitglieder. Stattdessen brauchen sie die Möglichkeit, zumindest partiell eigene Erkenntnisprozesse zum Thema machen zu können, und das erfordert Zeit. Dies gilt insbesondere für die Auseinandersetzung mit den Themen Konflikt und Geschlecht sowie für die gemeinsame Erarbeitung von Grundhaltungen und Regeln für den Umgang mit Konflikten im Team. Hier kommt den Leitungen der Einrichtungen eine wichtige Aufgabe zu, denn sie kann Einfluss darauf nehmen, inwieweit dieses Thema intensiver von allen bearbeitet wird, oder ob nach einer Kurzinformation zur Tagesordnung übergegangen wird.

Weil die in Kapitel 4.2. beschriebene Arbeit mit Standbildern zur Thematik der Bewertung geschlechtstypischen Konfliktverhaltens (vgl. S. 43) für viele FortbildungsteilnehmerInnen sehr beeindruckend war, wählten viele diese Übung als ihren Beitrag auf dem Studientag in ihrem Team. Sie vermuteten, dass die KollegInnen zu gleichen Erkenntnissen kommen würden wie sie und ihnen die Übung die Verständigung zum Projektthema im Team erleichtern würde. Die Erfahrungen mit dieser Übung waren in den Teams sehr unterschiedlich. Einige TeilnehmerInnen waren in der Lage, die Übung selbständig oder mit geringer Unterstützung durch die ProjektmitarbeiterInnen so einzuführen und anzuleiten, dass bei den TeamkollegInnen Erkenntnisprozesse initiiert werden konnten. Andere KollegInnen hatten damit Schwierigkeiten, vor allem dann, wenn der Verlauf dieser Übung ein anderer als der erwartete war.

Hieran wird zweierlei deutlich. Zum einen sind ErzieherInnen in der Regel nicht mit Methoden der Erwachsenenbildung vertraut, die ihnen ermöglichen, Lernerfahrungen und Erkenntnisse, die sie während einer Fortbildung gemacht haben, anderen so zu vermitteln, dass diese sie nachvollziehen, verstehen und ggf. selbst machen können. Wenn ErzieherInnen die Rolle von Multiplikatorinnen übernehmen sollen, die den Praxistransfer von Fortbildungsinhalten ins Gesamtteam übernehmen, benötigen sie daher Qualifikationen im Bereich der Moderation, Kenntnisse über Gruppendynamik und erwachsenenbildnerische Methoden.

Zum anderen ist manchen ErzieherInnen nicht bewusst, wie sehr subjektiv als bedeutsam und einleuchtend erlebte Erkenntnisse vom Kontext einer Seminarsituation abhängig sind, die sehr persönliche Erfahrungen in einer vertrauensvollen Atmosphäre ermöglicht. Ein Beispiel: Zu erkennen, wie man/frau unbewusst Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen macht und damit geschlechtstypisches Verhalten unterstützt, mag in der vertrauten Fortbildungsgruppe ein zentrales „Aha-Erlebnis“ sein. Von manchen KollegInnen würde dies dagegen eher als „Versagen“ beim Bemühen um „Gleichbehandlung“ erlebt, das nicht gern „zugegeben“ wird – schon gar nicht im Kreis der KollegInnen, mit denen man/frau Tag für Tag zusammenarbeitet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für den Praxistransfer von Fortbildungsinhalten ins Gesamtteam die Durchführung von einrichtungsinternen Studientagen sehr wirkungsvoll sein kann. Der Erfolg dieser Maßnahme hängt in großem Maße von den konkreten Bedingungen in der jeweiligen Einrichtung ab. Die Beteiligung der FortbildungsteilnehmerInnen an der inhaltlichen Planung und Durchführung ist dabei ein wesentliches Element, setzt jedoch voraus, dass die KollegInnen dabei unterstützt werden, die dafür notwendigen Qualifikationen zu erwerben.

5. Die Evaluation des Forschungsprojekts

5.1. Evaluationskonzept

Um die in Kapitel 1.2. geschilderten Ziele der Evaluation zu erreichen, kam ein breites Spektrum von Methoden zum Einsatz. Als standardisiertes Evaluationsinstrument wurde ein Fragebogen verwendet, den die Teilnehmenden am letzten Fortbildungstag erhielten und innerhalb von vierzehn Tagen zurückschicken sollten. Dieser Fragebogen sollte ohne Namensnennung abgegeben werden, um die Schwelle für kritische Äußerungen niedrig zu halten. Zusätzlich wurden qualitative Interviews durchgeführt. Außerdem erhielten die TeilnehmerInnen im Laufe des Projekts methodische Hilfen zur Selbstevaluation, deren Ergebnisse zu verschiedenen Zeitpunkten abgefragt wurden.

Angesichts der Fülle der angewandten Evaluationsmethoden kann in diesem Bericht nicht jedes Ergebnis im Detail wiedergegeben werden. Eine genaue Beschreibung der Methoden findet sich im Anhang in den Arbeitsblättern wieder. Tabelle 3 gibt eine Übersicht und ordnet die verwendeten Verfahren dem Abschnitt des Aktionsforschungsprojekts zu, in dem sie zur Anwendung kamen.

Zwölf (von 15) Erzieherinnen und drei (von vier) Erziehern sandten den standardisierten Evaluationsfragebogen zurück. Bei den im Anhang veröffentlichten Werten ist zu berücksichtigten, dass manche Fragen nicht von allen Befragten beantwortet wurden. Die Dokumente der Selbstevaluation (Forschungstagebuch, Zielbestimmungs- und Zielüberprüfungsbogen) verblieben bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Diese entschieden selbst, welche Ausschnitte sie dem Projekt zur Verfügung stellen wollten.

An dieser Stelle sollen die Ergebnisse unter den forschungsleitendenden Fragen zusammenfassend dargestellt werden. Dabei wird zunächst die Bewertung des Fortbildungsteils durch die TeilnehmerInnen wiedergegeben. Danach werden verschiedene Aspekte der Lern- und Transferprozesse betrachtet.


Tabelle 3: Übersicht über Evaluationsverfahren

Verlauf des Aktionsforschungsprojekts

Evaluationsmethoden

Auftakttreffen der ProjektteilnehmerInnen

Individuelle Zielbestimmung unter der Frage: Wo liegt mein spezielles inhaltliches Interessen in Bezug auf die Forschungsaspekte Mädchen – Jungen – Konflikte?

Forschungsphase

  • Teilnehmende Beobachtung des Projektteams in den Einrichtungen
  • Interviews mit ErzieherInnen
  • Interviews mit Mädchen und Jungen
  • „Werkzeugkoffer“ für ErzieherInnen mit Methoden der Selbstevaluation
    (Forschungstagebuch, Fragebögen,
    Dokumentationsmethoden, Foto, Film)

Zwischenreflexionstreffen

  • Aussagen aus den Kinder-Interviews
    werden zur Entwicklung von Fragen und Themen genutzt
  • Arbeitsaufträge zur Erforschung von
    Situationen
  • Bestimmung aktueller Einstellungen und Problemsichten zu den Themen: Mädchen, Junge, Gewalt, Konflikt, Konfliktlösung
    • Bestimmung eigener sozialer Kompetenzen und des individuellen Lernbedarfs

Fortbildungsphase (Seminarblöcke 1-3)

  • Zielüberprüfungsbogen am Ende jedes Abschnitts, darin Formulierung konkreter Vorhaben für den Praxis-Transfer
    • Austausch über die Zielerreichung zu Beginn des nächsten Seminarblocks

Letzter Fortbildungsabschnitt

Individuelle Reflexion:

  • Vergleich des individuellen Lernbedarfs vor der Fortbildung mit dem subjektiv
    erlebten Kompetenzzuwachs am Ende der Fortbildung
  • Formulierung individueller Lernthemen und Ziele

Nach der Fortbildung

  • Standardisierter Evaluationsbogen für jede TeilnehmerIn
  • Persönliche schriftliche Rückmeldung zu individuellen Lernprozessen
  • Interviews mit Projektteilnehmenden in drei ausgewählten Einrichtungen

Abschlusstagung

Präsentationen von TeilnehmerInnen
zu einzelnen Aspekten des Projekts

5.2. Ergebnisse des standardisierten Evaluationsfragebogens

12 Fragen des standardisierten Evaluationsfragebogens bezogen sich auf die Fortbildung, und zwar auf Seminarinhalte, die TeilnehmerInnen-Orientierung und methodisch-didaktische Gestaltung, die Dauer und das Lernklima der Fortbildung.

5.2.1. Einschätzung der Fortbildung

Zusammengefasst zeigen die Antworten eine hohe bis sehr hohe Zufriedenheit mit der Fortbildung.

Insgesamt vierzehn der Teilnehmenden sagten aus, dass die Seminarinhalte ihren Erwartungen an das Thema „völlig“ bzw. „überwiegend“ entsprachen (Frage 8), dass Themen und Fragen aus der Praxis der Kindertageseinrichtungen in hohem Maße berücksichtigt (Frage 9) und dabei die Wünsche und Erwartungen der Teilnehmenden in starker Ausprägung berücksichtigt wurden (Frage 2).

Weitere Fragen bezogen sich auf die  TeilnehmerInnen-Orientierung in der methodischen Gestaltung der Seminare. Dazu gaben vierzehn Teilnehmende an (Frage 3), dass die Seminare so aufgebaut waren, dass sie sich aktiv beteiligen konnten (11 x „trifft völlig zu“ und 4x „Trifft eher zu“) und ebenfalls vierzehn (Frage 6), dass die Darstellung der Inhalte verständlich war (9x trifft völlig zu und 5 x „trifft eher zu“).

Die TeilnehmerInnen-Orientierung und die methodisch-didaktische Gestaltung eines Seminars sollte auch die vorhandenenen Unterschiede innerhalb der Zielgruppe berücksichtigen. Dafür besteht in einer Fortbildung, der eine Explorationsphase vorausgeht, eine weitaus bessere Chance als unter anderen Bedingungen. Dies zeigt sich auch in weiteren Rückmeldungen.  Zehn der fünfzehn Rückmeldungen sagten aus, dass die Seminarinhalte „zum Teil neu“ waren, für zwei Teilnehmende waren sie „überwiegend neu“. Lediglich zwei Teilnehmende gaben an, dass die Inhalte „überwiegend bekannt“ gewesen seien (Frage 5).

Zwölf der fünfzehn Antwortenden haben an, dass die an sie gestellten Anforderungen  „im großen und ganzen gerade richtig“ waren, eine Person meinte, sie seien „eher zu gering“ gewesen und eine weitere, sie seien „manchmal zu hoch“ gewesen. (Frage 7).

Zehn TeilnehmerInnen beurteilten die Dauer der Seminarreihe mit insgesamt acht Tagen als angemessen, drei Teilnehmende fanden sie zu kurz (Frage 1). Dies widerspricht allerdings der Erfahrung, dass an den Fortbildungstagen mehrfach die Zeit nicht ausreichte, um die jeweiligen Inhalte in der von den TeilnehmerInnen gewünschten Ausführlichkeit zu bearbeiten. Angesichts häufiger Klagen über Schwierigkeiten, für die Durchführung von Projektaktivitäten Arbeitszeit eingeräumt zu bekommen, und mehrerer Fälle, in denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wegen personeller Engpässen nur verkürzt an der Fortbildung teilnahmen, liegt die Vermutung nahe, dass auch gemeint ist, unter den aktuellen Arbeitbedingungen sei eine längere Freistellung unrealistisch.

Eine letzte Frage bezog sich auf die Beteiligung von jeweils zwei Personen pro Einrichtung als Voraussetzung für die Projektteilnahme. Hierzu meinten elf der Teilnehmenen, diese Voraussetzung habe den eigenen Lernprozess „unterstützt“, zwei gaben an, dies habe „eher keine Rolle gespielt“. Dazu ist zu bemerken, dass diese Voraussetzung de facto von einigen Einrichtungen nicht konsequent eingehalten wurde, weil bei einigen Seminarblöcken aus betriebsinternen nur eine/r von zwei KollegInnen für die Teilnahme an der Fortbildung freigestellt worden waren.

In zwei offenen Fragen konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinzufügen, welche Themen gefehlt haben bzw. noch weiter hätten vertieft werden können (Fragen 10 und 11). Diese Möglichkeit nahmen neun der fünfzehn Antwortenden wahr. Mehr hätten die Teilnehmenden gern zu folgenden Themen erfahren:

  • Geschlechtstypisches Verhalten im Alltag
  • Anlage/ Umwelt (gemeint ist vermutlich im Verhalten der Geschlechter)
  • Gewaltbereitschaft der Jungen
  • Was brauchen Mädchen, was brauchen Jungen (Räume, Gruppen, Angebote)
  • Das eigene Konfliktverhalten
  • Konfliktlösungen
  • Deeskalation von eskalierten Konflikten
  • Fahrplan zum Eingreifen
  • Konfliktverhalten in verschiedenen Kulturen (Kinder aus afrikanischen Migrantenfamilien

Auf die Frage Was hat im Hinblick auf das Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen gefehlt gab es zwei Äußerungen: was ist „notwendiges“ Verhalten?; Rollenbeispiele.

Fast alle genannten Themen waren in der Fortbildungsreihe behandelt worden. Bei den Rückmeldungen wurde kein Thema mehrfach genannt. Die Angaben sind daher ein Hinweis darauf, dass die Antworten individuelle Bedürfnisse und Lerngeschwindigkeiten wiedergeben und eventuell auch aus Fehlzeiten während der Fortbildung resultieren. Lediglich Fragen des Konfliktverhaltens in verschiedenen Kulturen waren kein Schwerpunkt des Fortbildungskonzepts und konnten daher nur am Rande behandelt werden.

5.2.2. Lern- und Transfer-Evaluation durch die TeilnehmerInnen

Ein wesentliches Ziel des Aktionsforschungsprojektes lag im Transfer in die alltägliche Praxis der ErzieherInnen.

Der Transfer wurde in zwei Richtungen ausgewertet. Zum einen wurden im Rahmen des standardisierten Evaluationsfragebogens Aussagen zum Transfer erhoben, die sich an den übergeordneten Zielen des Aktionsforschungsprojekts und den didaktischen Zielen des Fortbildungsteams orientierten. Zum anderen wurden aus individuellen Rückmeldungen und Interviews qualitative Aussagen zur individuellen Praxis der FortbildungsteilnehmerInnen in ihren Einrichtungen gewonnen.

Nachfolgend findet sich die Liste der Aussagen zum Transfer in der Reihenfolge der Zustimmung durch die ProjektteilnehmerInnen, beginnend mit der meisten Zustimmung (Gesamtzahl der zurückgesandten Fragebögen N = 15)

  1. Das Aktionsforschungsprojekt hat mich dazu angeregt, über mein eigenes Verhalten in Konflikten nachzudenken (15)
  2. Meine Einstellung zu Konflikten hat sich durch das Aktionsforschungsprojekt verändert (13).
  3. Meine Rolle als Erzieherin bzw. Erzieher in Konflikten unter Jungen und Mädchen ist mir jetzt bewusster als zu Beginn des Projektes (12).
  4. Ich bewerte die Konflikte von und zwischen Jungen und Mädchen heute differenzierter (11).
  5. Mein Verhaltensrepertoire im Umgang mit Konflikten hat sich erweitert (11)
  6. Das Aktionsforschungsprojekt hat mir für meine Praxis als Erzieherin bzw. Erzieher viel gebracht (11).
  7. Ich beurteile das Verhalten von Mädchen heute anders (10).
  8. Ich habe Methoden, Spiele und Übungen  der Seminare in meiner Einrichtung  angewandt (9).
  9. Ich kann jetzt besser mit Konflikten zwischen Jungen und Mädchen umgehen (7).
  10. Ich beurteile das Verhalten von Jungen heute anders (7).
  11. Ich kann jetzt besser mit Konflikten unter Mädchen umgehen (6).
  12. Ich kann jetzt besser mit Konflikten unter Jungen umgehen (6).
  13. Es fällt mir noch schwer, das Gelernte praktisch anzuwenden (5).

Deutlich wird, dass das Aktionsforschungsprojekt zu einem Überdenken der eigenen Einstellungen, einschließlich der Definition der beruflichen Rolle in Konflikten, und zu Differenzierungen beigetragen hat. Die Hierarchie der Antwortwerte entspricht der Orientierung des Projektteams, dass Verhalten (hier: der ErzieherInnen) immer im Zusammenhang mit Einstellungen und Werten zu sehen ist und soziale Kompetenzen keinesfalls ausschließlich durch ein Verhaltenstraining zu erwerben sind.

Freilich braucht die Sicherheit im Umgang mit neu erworbenen Kompetenzen Zeit. So gaben zwar elf Teilnehmende an, dass sich ihr Repertoire erweitert habe, und neun berichteten, dass sie Methoden selbst angewandt hätten, doch ein Drittel der Antwortenden gab an, dass es ihnen noch schwer fällt, das Gelernte praktisch anzuwenden. Auch die Frage, ob sie nun besser mit Konflikten von Jungen bzw. Mädchen umgehen können, wurde nur von einem Teil der Antwortenden bejaht.

Wenn man diese Selbsteinschätzung mit den Aussagen in den qualitativen Interviews vergleicht (siehe unten), ist zu fragen, ob der Kompetenzzuwachs nicht hier nicht zu gering eingeschätzt wird. Die mangelnde Gelegenheit und Übung in Selbstreflexion (wie Fallbesprechungen, kollegiale Beratung, Supervision) in Kombination mit verbreiteter Geringschätzung eigener professioneller Kompetenzen führt dazu, dass Veränderungen und Erfolge von ErzieherInnen manchmal kaum wahrgenommen, sondern in der Anspannung des Alltags übersehen werden.

Dennoch ist darüber nachzudenken, wie das Erreichte nach Beendigung des Projekts stabilisiert werden kann. Diese Frage führt direkt zu der Evaluation des Gesamt-Settings des Projekts.

5.2.3. Beurteilung der einzelnen Projektelemente im Gesamtzusammenhang

Das Projektteam hatte sich bei der Planung der Projektphasen und Elemente unter anderem von der Frage leiten lassen, wie Fortbildung und Praxis verzahnt und ein möglichst hoher Transfer erreicht werden könne. Vor diesem Hintergrund wurden die TeilnehmerInnen im Rahmen des Evaluationsfragebogens gebeten, die Bedeutung der einzelnen Projektteile einzuschätzen. Abgefragt wurden als Elemente die Hospitation des Forschungsteams in den Einrichtungen, die Forschungsphase (Forschungstagebuch), die vier Zwischenreflexionstreffen, der Studientag in den Einrichtungen sowie die Fortbildung.

Jedes dieser fünf Elemente wurde als sehr wichtig oder eher wichtig beurteilt. Jeweils nur ein oder zwei TeilnehmerInnen gaben an, die Hospitation, die Forschungsphase, die Zwischenreflexionstreffen oder der Studientag seien „eher unwichtig“ gewesen. Während alle anderen Elemente als überwiegend „sehr wichtig“ charakterisiert wurden, wurde nur von zwei der Antwortenden die persönliche Forschungsphase (Forschungstagebuch) als „sehr“ wichtig eingeschätzt; ansonsten überwog die Einschätzung als „eher wichtig“. Das Projektteam sah es im Sinne der Projektziele und des Primats der Selbstverantwortung nicht als seine Aufgabe an, die Aktivitäten der ErzieherInnen während der Forschungsphase zu kontrollieren. Dass dieser Bereich des Projekts von vielen Befragten als weniger wichtig angesehen wurde als die anderen Teile ist zunächst damit im Zusammenhang zu sehen, dass vielen ProjektteilnehmerInnen nicht ausreichend Zeit zur Verfügung stand, um in der Praxis an Themen des Projekts zu arbeiten. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die eingeführten Dokumentationsmethoden ungewohnt waren und unter dem Druck des Alltags am ehesten „hinten runterfallen“. In diese Richtung gingen auch die Rückmeldungen der Teilnehmenden zu Beginn der Zwischenreflexionstreffen.

Als Gesamtaussage beurteilten gut ein Drittel der Rückmeldungen den persönlichen Lern- und Kompetenzzuwachs als sehr hoch (5) und eher hoch (6), vier Personen nannten einen Mittelwert (teils/teils).

5.2. Persönliche Lern- und Transferprozesse

Eine Fortbildung stellt den Rahmen und die Inhalte für Lernprozesse zur Verfügung, der Lernprozess selbst ist jedoch individuell und vollzieht sich im je eigenen Tempo der TeilnehmerInnen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die TeilnehmerInnen in ihrem individuellen Lernprozess jeweils sehr unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte aufgriffen.

Dies zeigt der Überblick über die am letzten Fortbildungstag von den TeilnehmerInnen benannten individuelle Lernthemen und Ziele, die von Aspekten persönlicher Entwicklung bis hin zur Diskussion konzeptioneller Fragen mit dem Team reichen. Insbesondere für die am Projekt beteiligten Männer stand dabei die im Verlauf des Aktionsforschungsprojekts gewachsene Erkenntnis im Vordergrund, als Mann im frauendominierten Arbeitsfeld Kindertagesstätten in einer besondere Situation zu sein.

  • Ich arbeite an folgendem Ziel: Gelassen zu werden und Einsichten zu haben.
  • Mein „Motto“: Mut fassen und „sich gerade machen“, selbstbewusster werden.
  • Ich denke darüber nach: Wie ist mit mir als Kind in Konfliktsituationen umgegangen worden? Was habe ich mir gewünscht? Was wünschen sich „meine“ Mädchen und Jungen, wie mit ihnen umgegangen wird?
  • Ich reflektiere meinen individuellen Umgang als Frau mit Konflikten.
  • Ich arbeite daran, dass ich Konflikte nicht mehr als so bedrohlich erlebe.
  • Es beschäftigt mich, differenzierter in meiner Praxis zu entscheiden, wann ich meine Macht als Ermächtigung einsetzen kann.“
  • Ich arbeite an der Frage: Welche Rolle habe ich als Kitaleitung bei Konfliktlösungen?
  • Ich diskutiere mit meinen KollegInnen: Wie können wir Rahmenbedingungen in der Kita verändern, damit eine andere „Streitkultur“ entstehen kann?
  • Wir stellen fest: „Wir beide stehen an anderer Stelle als das Team“ , wie können wir mit diesem „Vorsprung“ umgehen?
  • Für mich stellt sich ganz neu die Frage: Was heißt es, ein Mann zu sein?
  • Was heißt es, ein Mann in einem Berufsfeld zu sein, das hauptsächlich von Frauen belegt ist?
  • Was heißt es, als Mann einen Beruf zu haben, der gesellschaftlich wenig anerkannt ist und als typischer Frauenberuf gilt?

Alle ProjektteilnehmerInnen waren gebeten worden, aus ihren Aufzeichnungen ausschnitthaft das auszuwählen, was für sie persönlich die wichtigsten Lernprozesse charakterisiert. Zusätzlich führte das Projektteam ca. vier bis sechs Wochen nach Ende der Fortbildung in drei der beteiligten Einrichtungen nichtstandardisierte Interviews durch mit vier Erzieherinnen, einem Erzieher sowie zwei Leiterinnen, die am Projekt teilgenommen hatten.

Das uns zur Verfügung gestellte Material veranschaulicht und differenziert die quantitativen Ergebnisse des Fragebogens. Wir fassen es so zusammen, dass sich Bezüge zu den Forschungs- und Evaluationsfragen herstellen lassen.

Eine neue Sicht auf Konflikte

„Endlich kann ich mal lernen: wenn Kinder sich streiten, wie kann ich möglichst schnell diesen Streit schlichten“. So beschreibt die Erzieherin M. ihre anfängliche Erwartung an die Fortbildung. Angesichts von Eskalationssituationen im Alltag dachte sie: „Gott sei Dank, jetzt wird dir endlich was beigebracht, wie du das verhindern kannst.“

Diese Aussage einer Erzieherin bringt eine Haltung zu Konflikten auf den Punkt, die sich mehr oder weniger stark bei vielen Pädagoginnen und Pädagogen findet. Sie fühlen sich „zuständig“ für den Streit unter Kindern und greifen häufig sehr schnell ein aus Sorge, der Konflikt könne eskalieren und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen.

„Konfliktfähigkeit“ ist zwar ein häufig genanntes pädagogisches Ziel von ErzieherInnen, im pädagogischen Alltag geht es aber häufig eher darum, Konflikte zu vermeiden. Für eine der befragten Teilnehmerinnen stand darum die „schmerzhafte Erkenntnis“am Beginn ihres Lernprozesses, „dass ich große Schwierigkeiten mit Konflikten habe“.

Diese Haltung hat sich im Verlauf des Projektes nachhaltig verändert. Die Erzieherin schildert ihren Lernprozess so: „Im Verlaufe des Projekts fand ich heraus: Es ist nicht so, es ist ganz was anderes. (…) Es war … Forschung. Ich sollte gar nicht das verhindern, sondern… damit musste ich mich erst einmal auseinandersetzen, es musste mir bewusst werden.“ Diese Auseinandersetzung begann auf dem ersten Fortbildungsseminar mit der Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit. Nun stellte sie sich die Frage: „Was hast du eigentlich erlebt, wie gehst du mit Streit und Konflikten um, wie ist das eigentlich bei dir? Da hat es bei mir angefangen: Du willst es gar nicht verhindern. Die Neugier kam.“

Einer der drei im Projekt vertretetenen Männer betont: „Das ist eine entscheidende Sache für mich, die jetzt passiert ist in der Fortbildung. Das sind alles Lernprozesse, die gehören zum Leben dazu. Wenn ein Kind sich nicht mit Konflikten auseinandersetzt, dann kann es das auch nicht lernen.“

„Ich merke, wie sich so langsam meine Arbeitsweise ändert…“ sagt eine andere Erzieherin und meint damit, dass sie Konflikte nicht mehr unterdrückt, sondern als Teil des Aufwachsens akzeptiert und darin Lern- und Entwicklungschancen für die Jungen und Mädchen sieht.

Gelassener mit Konflikten umgehen

„Gerade die Schulkinder ziehen sich auch zurück, wenn sie Konflikte klären wollen, und da muss ich auch nicht immer dabei sein“, berichtet eine Teilnehmerin. Verändert sich denn auch was bei den Schulkindern, wenn ihr nicht eingreift, fragt der Interviewer nach. „Ja, ganz viel! Sie finden wirklich Lösungen!“ sagt die Erzieherin und bringt dazu folgendes Beispiel: Streit um Fußballkicker zwischen vielen Jungen. „Ich sage: ,Versucht doch mal, hier eine Regel hinzukriegen‘ und gebe ein paar Tipps. Dies funktioniert am ersten Tag, am nächsten Tag ist wieder Streit wie vorher. Daraufhin schnappe ich mir den Ball und gehe raus. Nach fünf Minuten kommt ein Kind: ‚wir haben uns jetzt geeinigt‘. Die Jungen hatten sich Regeln aufgestellt, an die sie sich dann auch alle hielten, „und die haben sie sich selbst aufgestellt, und das ist mir so wichtig, weil sie müssen nicht immer meine Regeln haben.“

Mehrere der Befragten berichten, dass sie heute gelassener im Umgang mit Konflikten sind und nicht mehr in jedem Fall eingreifen, wenn sie angesprochen werden.

„Ich bin sicherer geworden, zu sagen: jetzt lass sie doch mal! (…) Auch wenn es mal zu einer Auseinandersetzung unter Gleichberechtigten kommt, die auch körperlich wird.“, berichtet ein Erzieher.

Eine andere Kollegin erzählt: „Einige Kinder kamen und beschwerten sich: ,die streiten sich oder hauen sich schon.‘ Ich sage: ,Ja, und?‘, und warte noch, ob etwas kommt, aber das Kind dreht sich um und geht, und der Konflikt löst sich. Ich habe festgestellt, dass die Kinder zum Teil überrascht sind, dass ich nicht reagiert habe. Entweder der Streit geht in eine andere Richtung, oder sie streiten sich verbal – und nach zwei Minuten spielen sie wieder miteinander oder sie gehen auseinander, aber wenig später spielen sie wieder miteinander.“

Die Haltung einer totalen Zuständigkeit ist durch genauere Beobachtung der Erkenntnis gewichen, dass Konflikt und Kooperation sich in den Interaktionen von Kindern häufig abwechseln und einer großer Teil der Konflikte nicht eskaliert.

Diese Darstellung könnte den Eindruck erwecken, eine kontrollierende Haltung in Konflikten sei einer „laisser faire-Haltung“ gewichen, die jedes Verhalten der Kinder toleriert. Die Rückmeldungen der ErzieherInnen zeigen, dass das Gegenteil zutrifft. Während sich die ErzieherInnen zu Beginn des Projekts oft als „hilflos“ und „ohnmächtig“ charakterisierten und aus diesem Grund zwischen Eingreifen und Laufenlassen pendelten, sagen sie jetzt, dass ihnen ihre Rolle in Konflikten bewusster ist und sie anders und effektiv intervenieren.

Die generelle Ablehnung körperlicher Konfliktaustragung und Etikettierung als Gewalt hat sich differenziert. Dazu trugen sicherlich auch die Befragungen von Jungen und Mädchen bei und die Erkenntnis, dass die Bewertung „verbale = gute Konfliktlösung“ und „körperliche = negative Konfliktlösung“ vor allem von Erwachsenen getroffen wird, wogegen Kinder oft andere Kriterien haben. „Eine besonders interessante Erfahrung war die Fragestellung „was ist guter, was ist böser Streit?“ Es war interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Antworten von Jungen und Mädchen waren. Wir haben diese Frage auch den Eltern auf einem Elternabend gestellt und dabei festgestellt, wie die Vorstellungen der Eltern und die der Kinder auseinander liegen. Während die Eltern unterschieden in verbal und nonverbal, ging es den Kindern viel mehr den Grad der Gewalt und ihren jeweiligen Standpunkt.“

Den Kindern etwas zutrauen

Das Projekt schärfte die Wahrnehmung dafür, dass Mädchen und Jungen Kompetenzen besitzen, Konflikte auszutragen, auch wenn die Konfliktregelungen nicht immer den Vorstellungen von Erwachsenen entsprechen.

„Und das ich endlich meinen Mund halten kann. Weil: ich muss denen keine Lösungsvorschläge anbieten, die haben ganz eigene, und die haben ganz tolle, habe  ich festgestellt, und ich halte mich jetzt wirklich zurück. Ich gebe kleine Tipps, wie ,frag doch mal nach‘ oder ,versuch das mal zu klären‘ aber ich gebe keine Lösungsmöglichkeiten mehr herein. Und das funktioniert gut. Da merke ich eben, bei einige Kindern kommt so ,ach ja, man könnte doch auch mal…‘“

Die ständige Sorge, es könne etwas passieren, hängt auch mit einem defizitären Blick auf die Mädchen und Jungen zusammen („das können sie noch nicht“). Hier fand eine starke Veränderung statt, indem die Praxis im Laufe des Projekts immer wieder unter dem Aspekt der vorhandenen Kompetenzen betrachtet wurde. Eine Erzieherin beschreibt, wie sie mit dieser inneren Haltung zu einer konstruktiven Atmosphäre beiträgt.

„Ein gravierender Punkt für meinen neuen Ansatz war die positiven Eigenschaften der Jungen und Mädchen in einem Konflikt zu sehen. Das was ich sonst als negativ betitelte, versuche ich positiv zu sehen bzw. Kompetenzen zu erkennen. Dadurch gehe ich mit einem positiven Bewusstsein in einen Konflikt und ich denke, dass sich dieses ebenfalls auf die im Konflikt befindlichen auswirkt.“

Den ErzieherInnen gelingt es zunehmend, die Perspektive der Kinder zu be(ob)achten und dadurch zur Konfliktlösung beizutragen.

„Zwei Jungen streiten sich heftig, weil D. glaubt, dass A. ihm die Karten geklaut hat. D. fängt an, A. zu treten. Ich beobachte kurz, dann fasse ich beide Jungen an, frage, worüber sie sich geärgert haben. D. der oft als ,Schuldiger‘ gilt, weil er oft tritt und schlägt, sagt normalerweise gar nichts. Jetzt sagt er: A. hat meine Karten geklaut. Ich frage A. ob er sich die Karten vielleicht nur angucken wollte. Er sagt ja und rückt die Karten raus. Damit ist der Streit beendet.“

Eine andere Erzieherin bemerkt, wie die Kinder durch ihr verändertes Verhalten selbst Verantwortung für die Problemlösung übernehmen:

Ich höre mir das an, höre mir das bewusst an, die Kinder merken auch, dass ich ihnen zuhöre und daran beteiligt bin. Aber ich glaube, in dem Moment, in dem ich dann bewusst nichts sage, tickt das bei denen so, dass sie sagen: ,nee, ich glaub wir müssen das hier mal selber lösen, die Erzieherin hält es nicht für nötig, uns zu helfen‘ – ich hab das Gefühl, ich traue den Kindern mehr zu, und merke, das es auch vorhanden ist. Ich glaube, wir haben ganz viel unterdrückt mit diesem sehr schnell Eingreifen, Lösungen vorgeben“.

Aushandeln von Lösungen statt Schuldzuweisungen

Häufig nehmen die ErzieherInnen nun die Rolle von Mediatoren ein. „.Das wichtigste war für mich, dass, wenn zwei sich streiten, man nicht Partei ergreift, sondern zwei Wahrheiten gelten lässt und das auch den Kindern so vermittelt. Also, ich mach das jetzt immer so, wenn ich nicht genau weiß, wer jetzt die Schuld hat, dass ich mir dann beide anhöre und dass ich beiden verdeutliche, dass der andere auch seine Gefühle hat, dass die auch stimmen, dass nicht einer Schuld hat. Und damit fahre ich ganz gut. Die Kinder fühlen sich dann ernst genommen und kommen auch gleich an und wollen etwas dazu sagen. Sie fühlen sich ernst genommen, das merkt man.“

Eine andere Erzieherin hat erfahren, wie diese Rolle sie entlastet und sich das Verhältnis zu den Kindern verändert.

„Durch dieses Projekt hat sich etwas an meiner Wahrnehmung geändert. Vor dem Projekt habe ich bei einem Konflikt zwischen den Kindern immer den ,Schuldigen‘ gesucht. Damit ich dann ,richtig‘ handeln konnte. Jetzt setze ich mich mit allen Beteiligten eines Streits an einem Tisch und lasse es jeden aus seiner Sicht mitteilen. Ich bin dann ,nur‘ die neutrale Person dabei und die Kinder sollten alleine versuchen eine Lösung zu finden. Mir selbst gefällt es so viel besser, weil ich dadurch nicht mehr die Böse‘ bin.“

Ein anderes Beispiel verdeutlicht ebenfalls die Erkenntnis, dass das Verhalten von Kindern und Erwachsenen in einem systemischen Zusammenhang steht und manche Aggression vielleicht ein Protest gegen Etikettierungen durch PädagogInnen ist. „…erst mal, bei Konflikten nicht gleich auf irgendein Kind losgehen. Das erlebe ich jetzt übrigens noch ganz oft bei Kolleginnen, dass gesagt wird: ,Immer du, immer du‘ Wo ich z.B. jetzt ganz bewusst, wenn ich merke, ich muss dazwischen gehen, frage: ,Sagt mal, worüber habt ihr euch geärgert?‘ Und meistens kommt von den Kindern auch was. Ich hab da einen Jungen, also der kriegt wirklich ganz oft Schuld. Der stellt dann sich dann ganz hölzern in eine Ecke und dann ist aus ihm nichts mehr rauszukriegen. Und der verhält sich jetzt anders. Wenn ich auf ihn zugehe und ihm nicht gleich die Schuld gebe, sondern beide Beteiligten anspreche und frage, worüber sie sich geärgert haben, dann guckt er erst mal und sagt dann aber auch was. Das finde ich ganz erstaunlich, aber auch einleuchtend. Weil immer in die Enge treiben, das erzeugt Aggression, das kann ich gut nachvollziehen.“

Konfliktgespräche sind jedoch nur ein Teil der Interventionen. Andere Interventionsstrategien bezogen sich auf Regeln und Rituale.

Regeln und Rituale steuern Konfliktverhalten

„Im Bewegungsraum ist oft der Teufel los, es gibt Rangprobleme, Kompetenzprobleme, Interessenkonflikte zwischen Jungen und Mädchen. Ich bin oft im Bewegungsraum, um Streit zu schlichten und die Kampfhähne und -hühnchen auseinanderzunehmen. Durch das Projekt bin ich auf ein neues Konfliktlösungsverfahren gekommen. Da es meistens zwei Streitparteien waren, habe ich den Vorschlag gemacht, in die Mitte des Raums ein Seil zu legen. Beide Streitparteien können sich dann die Meinung sagen, Regel ist dabei aber: Das Seil darf nicht übertreten werden. Der Vorschlag wurde angenommen und durchgeführt. Kommentar eines 9-jährigen: Reden ist doch besser als sich an die Klamotten zu gehen.

Beim nächsten Streit kam ich an die Bewegungsraumtür und wurde gleich wieder herausgebeten, da schon einer los war, ein Seil zu holen!“

Eine andere Erzieherin forderte zwei Jungen auf, ihren Streit in symbolischer Form darzustellen.

Zwei Jungen, 7 und 9 Jahre, stritten sich heftig körperlich und verbal. Ich ging dazwischen und da beide noch sehr hochgepowert haben, erzählte ich ihnen von der Methode mit den Wutbechern. Der jüngere rief sofort, dass er die Wutbecher kennt und rannte zu einem Tisch…Er zeichnete 2 Becher auf ein leeres Blatt Papier und malte nun in den einen Becher seine Wut. Dann schob er das Blatt seinem Kontrahenten zu und forderte ich auf, seine Wut in den anderen Becher zu malen. Während dieser Situationen versammelten sich viele neugierige Kinder um den Tisch und alle lachten, selbst die beiden Kontrahenten. An dem Punkt, wo ich die Methode vorschlug, waren beide Jungen „abgekühlt“. Ein wenig später setzte ich mich noch mal mit beiden Jungen zusammen und vermittelte zwischen ihnen, um zu einer Konfliktlösung zu kommen.“

Die Perspektive der Kinder einnehmen

Eine der beiden Leiterinnen, die am Projekt teilnahmen, beschreibt, dass die Konfliktkultur im Teams verändert werden muss, wenn die Perspektive der Kinder berücksichtigt werden soll.

„Die Fortbildung hat an verschiedenen Stellen Veränderungen in Gang gesetzt. Z.B. wurde von einigen Jungen mehrfach eine Regel nicht eingehalten, die das Verlassen des Geländes regelt. Die Kolleginnen kamen daraufhin bald zum Schluss, dass die Eltern eingeschaltet werden müssten. Ich ließ mich da zuerst hineinziehen, ging dann aber einen Schritt zurück, um das Verhalten der betreffenden Jungen zunächst genauer zu betrachten: wir müssen das noch mal anders machen, müssen die Kinder genauer angucken: was steht dahinter, was bedeutet das?

Mit dem veränderten Rollenverständnis geraten die ErzieherInnen allerdings nun auch manchmal in Gegensatz zu anderen KollegInnen, die nicht am Aktionsforschungsprojekt teilnahmen.

„Ein Kind hat ein anderes getreten, und eine Erzieherin hat nur die Situation des Tretens gesehen, hat sich das Kind geholt und gesagt ‚Hier bei uns wird nicht getreten‘, und der Junge hat drei mal angesetzt und versucht zu erklären, warum er getreten hat. Sie haben ihn überhaupt nicht ausreden lassen, sondern nur ,Es wird hier nicht getreten‘. Und der Junge hat – angefangen zu heulen, er war so … frustriert, dass er nicht darüber reden durfte. Ich hätte  sicher auch gesagt, dass nicht getreten werden darf, aber ich hätte ihn ausreden lassen, hätte gefragt, ‚was ist gewesen, was hat dich so aufgeregt‘, denn er wollte es ja auch unbedingt sagen – er hat bitterlich geweint! Wenn gefragt wird, ‚warum hast du das gemacht‘, und dann sagen die Kinder nichts, dann heißt es ‚der antwortet mir nie‘. – Ja, warum denn nicht?! Und das ist ein Kind, normalerweise weint der nie, einer der oft zuhaut; eines von den afrikanischen Kindern, die ganz selten mit uns reden, wenn wir nachfragen – und er wollte, und er durfte nicht.“

Diese Schilderung zeigt gleichzeitig, mit welchem aufmerksamen und wertschätzenden Blick die Projektteilnehmerin auf einen Jungen schaut, dabei sein gesamtes Verhaltens- und Gefühlsspektrum wahrnimmt und ihn nicht auf seine Aggression reduziert.

Die Sicht auf die Geschlechterfrage

Eine veränderte Sicht auf geschlechtsbezogene Zusammenhänge wird in den Interviews immer wieder deutlich.

Dies zeigt sich zunächst bei der Reflexion der pädagogischen Alltagsarbeit. So antwortet eine Erzieherin auf die Frage, ob sich in Bezug auf die Geschlechterfrage durch das Projekt etwas für sie verändert hat:

„Ja, in Bezug auf Sachen machen…. dass ich ganz bewusst darauf achte, was sagen die Jungen jetzt, wenn die Mädchen…“ (sie sucht nach einem Begriff, untypische „Sachen“ machen, meint sie), „oder auch bei mir, ich hab vor kurzem mal die Ecken von einem Brett abgesägt und da meinte ein Junge: also, das müsste jetzt eigentlich M. (Erzieher) machen. Und so kommen wir dann ins Gespräch, und wenn ich ihm erzähle, das können Frauen durchaus auch machen, dann sagt er so: ,Aha?!‘, also es geht. Und das erlebe ich auch beim Feuer, dass die Jungs sich total wundern, die Mädchen , die nehmen ´ne Säge, auch schon jüngere Kinder, kann man das eigentlich erlauben, und Mädchen überhaupt. Die kriegen aber mit, die Mädchen können das auch. Ihr Erstaunen geht jetzt aber schon etwas zurück, sie kennen das jetzt schon. Und Feuer anzünden, das finden Mädchen auch toll…“

Einen zentralen Stellenwert hat die Bewusstmachung und Veränderung von geschlechtstypischen Bewertungen des Verhaltens von Mädchen und Jungen. So betont eine Erzieherin: „Die Umwandlung von negativen Mädcheneigenschaften in positive Eigenschaften, das war so ein Schlüsselerlebnis in der Fortbildung. Ich sag ganz selten noch, ‚Mensch, du bist ja ne Zicke‘, und wenn, dann nicht negativ. Ich gucke genau hin: wie bekomme ich etwas Positives rein.“

Während bei Mädchen im Vordergrund steht, Durchsetzungsversuche und Konfliktverhalten positiv zu beachten und nicht als „zickig“ abzuwerten, geht es bei Jungen oft darum, verborgene Themen hinter störender Auffälligkeit zu entdecken. So berichtet eine Erzieherin, wie es ihr jetzt gelingt, hinter einem „störenden“ Verhalten eines Jungen ein anderes Motiv zu sehen und dies aufzugreifen: „ Früher hat B. beim wöchentlichen Feuer machen immer Ärger mit uns gekriegt, weil er im Feuer rumgestochert hat und immer alle Steine hochgehoben hat, um die Tiere, die darunter sind, sich anzugucken und zu sammeln. Jetzt habe ich dieses Interesse aufgegriffen und sammel und beobachte mit ihm ausserhalb der ,Feuerzeiten‘ Käfer und die Situation ist wesentlich entspannter. B. ist nicht mehr der Böse, der Störer.“

Die Wahrnehmung geschlechtstypischer Verzerrungen in der eigenen Bewertung des Verhaltens von Mädchen und Jungen ermöglicht einen veränderten Blick auf deren tatsächliches Verhalten. Hier sind die Aussagen nun weniger eindeutig als zuvor. Eine Erzieherin stellt fest: „Je weniger ich es schlimm finde, wenn Jungen sich schlagen, um so weniger ist das ‘was Geschlechtsspezifisches. Wenn ich genauer hingucke – die Mädchen schlagen auch zu, ‘n bisschen versteckter, aber die können das auch ganz gut.“ Umgekehrt werden auch verletzliche Seiten von Jungen oder ihre Bereitschaft, über ihre Gefühle zu sprechen, der Wahrnehmung besser zugänglich (vgl. das Beispiel am Ende des letzten Abschnitts). Entscheidend für eine geschlechtsbewusste Sichtweise ist damit nicht das Verständnis von geschlechtsspezifischen Aspekten der Entwicklung von Mädchen und Jungen, sondern die Reflexion der eigenen Einstellungen und Wahrnehmungsmuster. Dies ermöglicht den ErzieherInnen, sowohl Bedürfnisse als auch vorhandene soziale Kompetenzen von Mädchen und Jungen differenziert wahrzunehmen und darauf einzugehen.

In einer besonderen Situation befinden sich die wenigen Männer, die sich für eine Arbeit im „Frauenbetrieb Kindergarten“ entschieden haben. „Ich bin eine Ausnahme, in bin ein Mann in einer Kindertageseinrichtung, und das ist ja eher eine Seltenheit,“ formuliert ein männlicher Kollege. „Das man wichtig ist als Mann, merkt man schon daran, dass man oft gar nicht viel machen muss…“ Ihm ist im Laufe des Projekts bewusst geworden, „dass ich eine wichtige Rolle spiele halt, wenn man der einzige ist von neun Personen (…) dass ich auch eine verantwortungsvolle Rolle habe als Vorbildfunktion oder überhaupt. Für viele alleinerziehende Kinder – also Mütter – Kinder, die nur mit der Mutter aufwachsen, bin ich wahrscheinlich ganz oft einer der wenigen Männer, mit denen sie überhaupt zu tun haben und der ‘ne ganze Menge Zeit mit ihnen verbringt. Das fand ich sehr wichtig, wobei – ich bin ich, ich bin nicht der typische Mann, das ist auch immer schwierig, also, da kann man sich einfach nur wünschen, dass der Beruf für Männer attraktiver gemacht wird, dass mehr Männer sich darum kümmern, um die Erziehung kümmern. (…) Ich bin zwar ein Mann, aber es gibt ja ganz viele verschiedene…“

5.3. Transferwahrscheinlichkeit und Teamprozesse

Die Zusammenarbeit im Team war kein „offizielles“ Thema des Projekts. Gleichwohl werden Teamprozesse mit angesprochen, wenn ein Projekt beabsichtigt, dass ErzieherInnen das in der Fortbildung Gelernte erfolgreich anwenden und sich auch Verhaltensänderungen bei Jungen und Mädchen einstellen sollen. ErzieherInnen arbeiten nicht im Einzelkontakt mit Kindern, sondern kooperieren vielfältig mit Kolleginnen und Kollegen, häufig in „offenen“ Situationen. Es kommt also darauf an, wie ein eventuell verändertes Verhalten von den KollegInnen wahrgenommen wird, ob es zu Absprachen kommt, ob die ErzieherInnen im günstigsten Fall sogar als „ExpertInnen“ gesehen werden, von denen man/frau als KollegIn etwas lernen kann.  Im ungünstigen Fall  können Situationen entstehen, in denen Jungen und Mädchen „doppelte Botschaften“ erhalten oder in der eine Intervention durch eine gegenteilige konterkariert wird. Der Einblick in die Einrichtungen durch Hospitationen und Studientage sowie die Einbeziehung nicht am Projekt beteiligter ErzieherInnen in die Evaluations-Interviews zeigten, wie unterschiedlich das Projekt in den Einrichtungen aufgenommen wurde und wie sich das jeweils auf die Transfermöglichkeiten auswirkt. Die nachfolgenden Aussagen verdeutlichen die Bandbreite positiver, aber auch schwieriger Erfahrungen.

„Erfahrungen, die ich erst einmal verarbeiten muss“

Alle von uns Befragten betonten, wie sehr sie die Fortbildung als persönlichen Lernprozess erlebt hätten, in dem eigene Einstellungen und Verhaltensweisen hinterfragt wurden. Dies zeigen ja auch die Ergebnisse des Fragebogens.

Wie herausfordernd dieser Ansatz für einzelne war, belegt folgende Einschätzung einer Erzieherin: „das war ja für mich persönlich ziemlich schwer. Ich hab das manchmal als Gruppentherapie gesehen. So welche Konflikte man als Kind hatte… Das war alles hart, aber sehr interessant und in den Konflikten mit den Kindern hat sich für mich was verändert, und bei mir persönlich, so´n bisschen.“

Ein solcher Prozess lässt sich kaum durch einen Bericht an das Team vermitteln. In einer der drei untersuchten Einrichtungen sagten die befragten TeilnehmerInnen sowie ein nichtteilnehmendes Teammitglied, dass im Verlauf des Projekts eher weniger ins Team getragen wurde, weil für die Teilnehmer persönliche Prozesse im Vordergrund standen. Der interne Austausch unter den am Projekt beteiligten MitarbeiterInnen wurde dagegen als sehr gut und konstruktiv geschildert. Eine Übertragung neuer Erkenntnisse auf die gesamte Einrichtung wurde eher für zukünftige Diskussionen und Konzeptentwicklung geplant.

Im Gegensatz dazu steht der Bericht einer anderen Einrichtung:

„Das Team arbeitet enger an den Themen rollenspezifisches Verhalten bie Jungen und Mädchen, Konflikte und Konfliktlösungsmodelle. Es finden wöchentliche Reflexionen statt…Außerdem fand ein Teamtag statt. Weiterhin wird zum Thema Das eigene Konfliktverhalten derzeit ein Fragebogen bearbeitet, der Aufschluss über unseren Erziehungsstil geben soll. Insgesamt haben sich die Konfliktreaktionen der ErzieheInnen dadurch verändert. Konflikte werden mehr beobachtet und der Hintergrund eines Konfliktes erforscht. Dabei nehmen sich die Erzieherinnen mehr in ihren Handlungen zurück und entscheiden situationsorientiert, welches Werkzeug Kinder brauchen, um ihren Konflikt zu lösen.“

„Es ist ganz, ganz schwer im Team“ –

In einigen der am Projekt beteiligten Einrichtungen gab es während der Projektlaufzeit extreme Belastungssituationen unter anderem durch Personalausfall. Starker Stress ist kaum eine günstige Bedingung, um Neues aufzunehmen. Das beschreibt folgende Aussage.

„Ich habe nicht das Gefühl, dass die das Thema Konfliktlösung möchten.… Obwohl es in der einen Gruppe immer schlimmer wird, weil wir nur noch verwalten, aber keiner bereit ist, Tipps anzunehmen, oder zu gucken oder zu fragen, wie würdet ihr das machen? – kommt nicht. Immer nur: ‚Die Kinder sind unmöglich, die Kinder sind so schlimm‘. Wenn wir dann versuchen, Vorschläge zu machen, werden wir abgeblockt.“

Die am Projekt beteiligte zweite Kollegin aus dieser Einrichtung berichtet, dass sie sich als Reaktion auf diese Situation ebenfalls zurückziog und nicht weiß, wie lange sie das noch aushält. „Noch ist alles friedlich, aber vielleicht gibt es irgendwann richtig Streit, mal sehen, wie ich dann reagiere“. Der Interviewer vermutet hinter dieser Aussage auch etwas Neugier, ob sich die veränderte Haltung zu Streit und Konflikt auch auf der Teamebene auswirkt, und vor allem ein gewachsenen Selbstbewusstsein. Dies wird von der Kollegin bestätigt: „Das stimmt, ich gehe von einem anderen Ausgangspunkt aus. (…) Ich bin gespannt, wie ich mit Konflikten wirklich dann…“

Die Erzieherin nimmt wahr, dass sie und die Kollegin heute eine stärkere Position innerhalb des Teams haben. „Es ist ganz, ganz schwer im Team, auch wegen vieler Personalwechsel. Wir beide haben jetzt eine wichtige Rolle im Team übernommen. Das ist einerseits sehr positiv, unsere Dominanz ist aber für manche Kolleginnen auch schwierig.“ Wenn es durch Qualifizierung von KollegInnen zu einem Kompetenzgefälle innerhalb des Teams kommt, gerät unter Umständen etwas aus der Balance, Konflikte entstehen oder bereits vorher bestehende Konflikte werden nun bewusst.

Um diesem Dilemma zu entgehen, ist in vielen Einrichtungen ein Umgang mit Teamkonflikten üblich, wie er von dieser Erzieherin geschildert wird: „Ich habe über die Fortbildung mit meiner unmittelbaren Kollegin gesprochen, aber ,wir haben eine andere Einstellung‘“. Es kam und kommt zu Auseinandersetzungen. „Manche Sachen, da haben wir uns geeinigt, ich mache das so, und du machst das so“.

Eine andere Erzieherin spürt, dass es hier auch um Macht und Einfluss geht: „….dann fühle ich mich manchmal etwas ohnmächtig. Ich sprech‘ da schon dann und wann drüber, aber es kommt irgendwie nicht an, nicht wirklich.“

Die Teilnahme an der Fortbildung war für einige TeilnehmerInnen mit der Vorstellung verbunden, dadurch bestehende Konflikte im Team lösen zu können. Dies ist nicht zwangsläufig der Fall, sondern hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, auf die die Fortbildung zunächst einmal überhaupt keinen Einfluss haben muss. So kann die mangelnde Motivation und Bereitschaft einzelner Teammitglieder, an bestehenden Konflikten zu arbeiten, mit dem durch die Teilnahme an der Fortbildung verstärkten Wunsch nach konstruktiven Konfliktlösungen kollidieren. So können sogar Konflikte zunächst einmal verstärkt werden. In derartigen Situationen ist es Aufgabe der Leitung an, die Konflikte zu thematisieren und die gemeinsame Suche nach Konfliktlösungen zu unterstützen.

Eine konzeptionelle Aufgabe für die Teamentwicklung

Wenngleich beabsichtigt war, über die Hospitationsphase, die Studientage und die Beteiligung von jeweils zwei MitarbeiterInnen pro Kindertagesstätte in die Einrichtungen hineinzuwirken, konnte das Projekt keinesfalls eine Teamentwicklung ersetzen. In einigen der beteiligten Einrichtungen ist aber sichtbar, dass breitere Teamprozesse auch auf Anstöße des Projekts zurückgehen.

So schilderten die Teammitglieder einer Einrichtung im Erst-Interview (Hospitationsphase) große Unzufriedenheit mit dem Verhalten „der Schulkinder“. „Die Konsequenz, die wir als Team jetzt gezogen haben in Reflektion der Situation mit den Schulkindern ist, dass sie einen gesonderten Raum brauchen, damit ihre Bedürfnisse dann mehr vorkommen können als bisher. Für die Betreuung der Schulkinder wird dann ein Mann und eine Frau zuständig sein. Als nächsten Schritt nehmen wir uns vor, im Gesamtteam Regeln im Hause und die Frage des Umgangs mit Konflikten zu thematisieren“

Wenn ein anderer Umgang mit Konflikten Teil der Teamkultur werden soll, muss die Leitung dafür Mitverantwortung übernehmen. Eine Erzieherin wünscht sich: „Wir müssten mit der Leitung eventuell eine Dienstbesprechung so aufbauen, dass das im Team noch mal zum Thema wird.“

Interviews mit zwei Teilnehmerinnen, die Leiterinnen ihrer Einrichtung sind, ermöglichten einen Einblick in die Wirksamkeit von Leitungshandeln. Eine Leiterin machte deutlich, dass das Thema des Projekts für sie eine konzeptionelle Aufgabe darstellt. „Im Laufe der Fortbildung wurde mir immer klarer, dass das Thema Konflikte ins Team muss. Mir wurde aber auch klar, dass die KollegInnen sehr sehr unterschiedliche Vorstellungen haben und dass es eine große Aufgabe ist, eine konzeptionelle Aufgabe“. Auf die Frage, was mit dem Team passieren müsste, entwickelt sie folgende Vorstellung: „Das Team sollte einen Konsens erarbeiten: Wie gehen wir mit Konflikten um?  Wir müssten als Team im Grunde so arbeiten wie auf der Fortbildung (…). Jeder müsste für sich klar haben: wie gehe ich mit Konflikten um? Das geht aber nur im Rahmen von längeren Arbeitseinheiten. (…). Mein Wunsch wäre, dass wir einen Minimalkonsens zu erreichen, der zumindest in der Arbeit eingehalten werden kann.“

Konsensprozesse im Team sind auch von Bedeutung, wenn es um die Verständigung des Teams mit den Eltern und um die Selbstdarstellung nach außen geht. Ein Teilnehmer beschreibt eine typische Konfliktlinie:

„Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit Eltern, deren Kinder demnächst in die Einrichtung aufgenommen werden sollen. Drei türkische Mütter fragten: „Dürfen die Kinder sich bei euch hauen?“ „Ich hab gesagt: es gibt Konfliktsituationen, wo die sowas austragen müssen, wo ich dabei bin und… Man ist dann schon sehr vorsichtig, vielleicht verstehen sie einen auch nicht richtig… die waren schockiert! Ich hab bestimmt ne Stunde gebraucht, um denen das zu erklären, bis sie wirklich gesagt haben, wir können das verstehen. ‚Sie dürfen sich ruhig hauen’ – das hört sich ja dann auch ganz schrecklich an. Natürlich möchte ich nicht, dass sie sich hauen, aber wenn es dazu kommt, dann … kann ich nicht sagen, ‚es ist verboten’, und darum sage ich – ‚ist es nicht’.“ (…). Eine Mutter sagte: „Mein Gott, wie kannst du dein Kind dahin bringen. In meinem Kindergarten, da sind schlimme Wörter verboten, da ist körperliche Gewalt verboten, alles verboten!! Das ist dann ein Qualitätsmerkmal: ‚da sorgen sie dafür, dass das nicht passiert’ – das ist natürlich komplett an der Praxis vorbei, das gibt es gar nicht. Also, nach meiner Meinung gibt es das nicht. Aber das kann ich denen nicht klar machen. Das ist deren Idealbild, so soll es sein, und das wird von denen wahrscheinlich auch noch … ‚bei uns gibt’s so was nicht’, aber das ist nicht die Wahrheit.“

Der Interviewer weist darauf hin, dass dies auch ein Thema sei, über das keine Einigkeit im Team besteht, was ungelöste Konflikte unter den Erwachsenen zur Folge hat. Der Kollege bestätigt das und erwartet „ganz viele Probleme“, wenn daran gearbeitet werden wird, eine Haltung, die mehr Konfliktaustragung zulässt, im Konzept zu verankern.

Hier wird ein weiterer Aspekt deutlich: Viele Institutionen leugnen – nach dem Motto „dass nicht sein kann, was nicht sein darf“, dass es innerhalb ihres Hauses zu Gewalt kommt, ebenso wie die meisten Eltern schwören, ihr Kind gewaltfrei zu erziehen. Dies ist nicht die Wahrheit, wie der Erzieher sagt – wer jedoch die Wahrheit ausspricht, bekommt Schwierigkeiten sowohl mit den Eltern als auch mit KollegInnen.

Ein Grund, warum dies nicht gut bei Eltern „ankommt“, liegt darin, dass Eltern sich wünschen, ihr Kind möge in einer sicheren Umgebung betreut werden von verantwortungsbewussten Erwachsenen. Für ErzieherInnen ist es deshalb wichtig, ein begründetes Konzept für den Umgang mit Konflikten zu haben, aus dem die Eltern erkennen können, dass kein „laisser-faire“-Stil herrscht. Ein solches Konzept müsste aktiv vertreten werden und nicht nur auf Nachfrage.

5.4. Selbsteinschätzung des eigenen Lernerfolgs – ein Beispiel

Eine Erzieherin verglich die Zielüberprüfungsbögen, die sie am Ende des ersten und am Ende des dritten Seminarblocks bearbeitet hatte, und erkannte daran, „wie viel ich erreicht habe“:

Oktober 2001

Was will ich in meiner Arbeit mit Mädchen und Jungen erreichen ?

  • etwas harmonischeres Zusammenleben
  • eventuell kleine Veränderungen im Konfliktverhalten
  • etwas mehr Verständnis füreinander

Woran werde ich merken, dass ich das Ziel erreicht habe ?

  • eventuell ein anderer Umgang der Kinder untereinander

Woran werden andere es merken ?

  • Mehr Harmonie in der Gruppe

Februar 2002

Mein konkretes Vorhaben zur Arbeit mit Mädchen und Jungen

  • Streit und Konflikte zulassen, genau beobachten
  • Mehr mit den Kindern über ihre Gefühle reden
  • Streitregeln mit den Kindern erarbeiten

Was will ich erreichen

  • dass die Kinder bewusster streiten und auch mehr zulassen können
  • dass die Kinder ihre Gefühle zum Ausdruck bringen können

Worauf werde ich besonders achten ?

  • keine Warum-Fragen mehr stellen
  • auf Einhaltung der Regeln achten

Diese Gegenüberstellung gibt die grundsätzliche Zielsetzung des Projekts besonders klar wieder: Von diffusen Harmoniewünschen zum Konfliktbewusstsein, von allgemeinen zu klaren Interventionen.

6. Schlussfolgerungen

Das Aktionsforschungsprojekt war in mehrfacher Hinsicht erfolgreich. Zum einen konnten nicht nur Tendenzen bestätigt werden, die aus anderen Untersuchungen zum Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen in Kindertagesstätten bereits bekannt sind, sondern darüber hinaus Hinweise auf wichtige Differenzierungen gewonnen werden, die für die weitere Diskussion der Thematik wichtig sind. Zum anderen wurde gezeigt, dass das im Projekt entwickelte Konzept einer intensiven und langfristig angelegten Fortbildung die Handlungsspielräume von ErzieherInnen erweitert und ihren Blick für die Kompetenzen von Jungen und Mädchen schärft. Damit werden Grundlagen für ein erweitertes Konfliktlösungsrepertoire bei allen Menschen in Kindertageseinrichtungen gelegt. Vor diesem Hintergrund werden im abschließenden Kapitel Konsequenzen für Forschung, Fortbildung, Politik und für die pädagogische Praxis in Kindertageseinrichtungen diskutiert.

6.1. Konsequenzen für die Kindheitsforschung

Das Aktionsforschungsprojekt hatte nicht den Anspruch, grundlegend neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder repräsentative Aussagen zum Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen zu erbringen. Die Ergebnisse des Projekts sind aber ein beeindruckendes Plädoyer für die stärkere Berücksichtigung der Kinderperspektive in der Forschung. Mädchen und Jungen im Grundschulalter können ihre Situation differenziert wahrnehmen und beschreiben. Ihre vielfältigen Aussagen zu Geschlechterverhältnissen und Konfliktverhalten sind eine große Bereicherung für Forschung zu diesen Themen und geben auch Praktikerinnen viele Denkanstöße. Die Rückmeldung ausgewählter Kinderaussagen in die Einrichtungen ermöglichte den ProjektteilnehmerInnen einen guten Einstieg und intensiven Bezug zum Thema. Oft waren TeilnehmerInnen verwundert, erstaunt oder berührt von der Differenziertheit und Intensität der Aussagen der Kinder. Viele der von Kindern formulierten Rückmeldungen und Wünsche konnten in der Praxis schnell aufgegriffen werden.

Die Orientierung des Projekts an individuellen Sichtweisen und Kompetenzen von Kindern ermöglichte immer wieder Perspektivenwechsel, die nicht nur forschungsmethodisch von Bedeutung, sondern auch in der Praxis als Schlüsselkompetenz von ErzieherInnen anzusehen sind, insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um den Bildungsauftrag von Kindertagesstätten. Die Forschungserfahrungen und Praxisberichte der ErzieherInnen haben deutlich gemacht, dass Mädchen und Jungen über viele Kompetenzen zur Lösung von Konflikten verfügen. Die Wahrnehmung dieser Kompetenzen ist für PädagogInnen allerdings oft nicht leicht, da im Alltag nach wie vor eine Ausrichtung an Problemen und Defiziten aüberwiegt. Die Ergebnisse des Aktionsforschungsprojekts unterstützen daher eine Ausrichtung von Untersuchungen an den Stärken und Kompetenzen von Kindern wie z.B. in Projekten des Deutschen Jugendinstitutes (vgl. Dittrich et al., 2001) oder auch in neueren Forschungen zu Bildung und Selbstbildungsprozessen von Kindern (vgl. Laewen & Andres, 2002).

Die Ergebnisse zu geschlechtsbezogenen Zusammenhängen unterstützen neuere Aussagen der Geschlechterforschung, in denen betont wird, dass es „das“ Mädchen und „den“ Jungen nicht gibt und bei der Einschätzung geschlechtstypischen Verhaltens die jeweiligen Lebenslagen der Kinder berücksichtigt werden müssen.

Als wichtige Forschungsaufgabe für die Zukunft stellte sich die Frage nach Zusammenhängen zwischen geschlechtsbezogenen und interkulturellen Faktoren in Entwicklungsverläufen und Bildungsprozessen von Kindern. Es ist inzwischen hinreichend belegt, dass Aspekte wie Spielinteressen, Raumaneignung oder Konfliktverhalten in großem Maße mit geschlechtsbezogenen Faktoren zusammenhängen. Dies kann in besonderer Weise zum Thema werden, wenn Geschlechtersysteme verschiedener Kulturen aufeinanderprallen, die zum Teil nicht nur unterschiedliche, sondern sogar entgegengesetzte Werte, Einstellungen und alltägliche Verhaltenserwartungen vermitteln. In Bezug auf Konfliktverhalten wird dies nicht nur aus der Praxis berichtet, sondern ist durch Untersuchungen zu Erziehungsvorstellungen und zu Gewalt in der Familie auch empirisch belegt (vgl. z.B. Pfeiffer et al., 1999). In der Kindheitsforschung werden allerdings sowohl geschlechtsbezogene Zusammenhänge als auch unterschiedliche Lebensumstände in unserer multikulturellen Gesellschaft bislang zu wenig berücksichtigt – und noch viel weniger das Zusammenwirken dieser beiden Aspekte. Wenn Kindertagesstätten ihrem in den letzten Jahren viel diskutierten Bildungsauftrag umfassend gerecht werden sollen, besteht hier dringender Handlungsbedarf.

6.2. Konsequenzen für Aktionsforschung und Fortbildungsprojekte

Die Verbindung von Forschung und Fortbildung hat sich im durchgeführten Projekt grundsätzlich bewährt. Die Orientierung an einer interaktiven Sozialforschung im Sinne Büttners (2001) erweist sich damit als geeignete Strategie für Untersuchungen von Bildungsprozessen und Sozialverhalten in pädagogischen Institutionen. Manchmal bedarf es nur eines kleinen „Eingriffs“ ins System, um eine große Wirkung zu erzielen. So nahm die Durchführung von Interviews mit Mädchen und Jungen zu Beginn des Projekts nur wenig Zeit in Anspruch, bewirkte aber vielfach, dass das Forschungsthema „plötzlich“ in der Einrichtung präsent war und bearbeitet werden konnte.

Die Auswertung zeigt, dass für viele TeilnehmerInnen die Phase der eigenen Aktionsforschung weniger intensiv war als der Einstieg mit den vom Projektteam durchgeführten Hospitationen und Interviews sowie die Fortbildungsphase. Dies hängt entscheidend mit den Arbeitsbedingungen zusammen, die oft nur wenig Zeit für Experimente und Reflexion zuließen. Allerdings war der Umfang der Reflexionstreffen für viele TeilnehmerInnen auch nicht ausreichend, um eine gründliche Auseinandersetzung mit den jeweils besprochenen Themen und Forschungsanregungen zu ermöglichen. Als Einstieg in ein derartiges Projekt sollte daher eine längere gemeinsame Auftakttagung gestaltet werden (wie z.B. in den Kita-Fortbildungstudien der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, vgl. Büttner, 2001). Dies würde den Beteiligten den Einstieg in den Prozess erleichtern und ihnen mehr Zeit für die Entwicklung individueller Forschungsfragen geben.

In der Forschungsphase wäre dann mehr Unterstützung durch begleitende Forschung, Fortbildung, Fachberatung oder Supervision von außen sehr hilfreich. So müssten Grundlagen der Beobachtung und methodische Anregungen zu Beobachtungsverfahren vermittelt werden, z.B. auch zum Einsatz von Fotos und Videoaufnahmen. Erforderlich sind auch konkrete Anleitungen zur Dokumentation von Beobachtungen, Praxisaktivitäten und Lernprozessen.

Die Rahmenbedingungen der Eigenaktivitäten der TeilnehmerInnen müssen mit den Einrichtungen, Leitungen und Trägern vorher geklärt werden. Eine fest vereinbarte Stundenentlastung für die Projektbeteiligten sollte zur Vorbedingung einer Projektteilnahme gemacht werden. Nur so kann die Umsetzung von Forschungsanregungen und Praxisvorhaben angesichts hoher alltäglicher Arbeitsanforderungen und oft mangelhafter Personalsituation sichergestellt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die anfängliche Motivation der TeilnehmerInnen versandet oder in Frustration umschlägt.

Die Einbindung der Teams der beteiligten Einrichtungen war sinnvoll und trug wesentlich zum Erfolg des Projekts bei. Die Fortbildung hatte in den meisten beteiligten Kindertagesstätten Auswirkungen auf die gesamte Einrichtung. Der Praxistransfer ist im Vergleich zu anderen Fortbildungen damit als hoch einzuschätzen. Hierbei erwies sich die Durchführung von einrichtungsinternen Studientagen als gutes Scharnier. Selbst wenn die Bereitschaft des Teams, sich mit den Fragen des Projekts intensiver auseinander zu setzen, eher gering war, wurden die ProjektteilnehmerInnen darin bestärkt, neue Erkenntnisse in ihrer Einrichtung umzusetzen.

Die Beteiligung von jeweils zwei KollegInnen aus jeder Einrichtung wurde als positiv und unterstützend erlebt. Allerdings kann dies innerhalb von Teams auch zu problematischen Entwicklungen führen. Die ProjektteilnehmerInnen können in eine Sonderrolle geraten, was zu neuen Teamkonflikten führen kann. Oder sie ziehen sich auf den Dialog innerhalb des Teilnehmerduos zurück und vermeiden die Auseinandersetzung mit dem Team. Entscheidend für einen konstruktiven Umgang mit diesen Fragen ist die Bereitschaft ProjektteilnehmerInnen, TeamkollegInnen und Leitung zur offenen Auseinandersetzung mit diesen Fragen.

Eine entscheidende Rolle für die Motivation der ProjektteilnehmerInnen spielte das subjektive Gefühl, von der Leitung unterstützt (oder eben nicht unterstützt) zu werden. Dies zeigte sich unter anderem daran, ob Arbeitszeit für Beobachtung und Reflexion bereitgestellt wurde, ob die TeilnehmerInnen dazu ermutigt wurden, Fortbildungsinhalte ins Team einzubringen, und ob sie sich bei Auseinandersetzungen mit Eltern von der Leitung unterstützt fühlten.

In einigen Einrichtungen bestand unausgesprochen die Erwartung, dass sich die Projektteilnahme positiv auf Teamstrukturen und Konflikte innerhalb der Einrichtungen auswirken könne. Kurzfristig war z.T. eher das Gegenteil der Fall. So ließ die Auseinandersetzung mit Rahmenbedingungen, die wichtiger Bestandteil der Reflexionen mit den TeilnehmerInnen war, derartige Konflikte eher noch deutlicher werden, ohne dass die Möglichkeit gesehen wurde, daran in den Teams zu arbeiten. Dennoch können möglicherweise gerade solche Erkenntnisse einen Prozess in Gang setzen, der einen bewussteren und konstruktiven Umgang mit Konflikten im Team befördert.

Erfreulich war, dass mehrere männliche Mitarbeiter am Aktionsforschungsprojekt beteiligt waren. Der Dialog zwischen den Geschlechtern war ein wichtiges Element des Aktionsforschungsprojekts. Es machte die Auseinandersetzungen insbesondere im Verlauf der Fortbildung lebendig und ermöglichte eine größere Perspektivenvielfalt.

Das Aktionsforschungsprojekt und insbesondere die Fortbildungsphase war damit eine sehr positive Grundlage für Lern- und Veränderungsprozesse der TeilnehmerInnen. Persönliche Prozesse brauchen Zeit. Die Gesamtdauer des Projekts war daher angemessen. Eine noch längere Dauer hätte vermutlich zu noch mehr Fluktuation und Ausfällen geführt und wäre möglicherweise eher kontraproduktiv gewesen. Der Umfang der Fortbildung war dagegen eher zu knapp bemessen, da mehrfach die Zeit nicht ausreichte, um genügend Zeit für Praxisreflexion und Unterstützung einzuräumen und die geplanten Themen zu bearbeiten.

6.3. Konsequenzen für Fortbildung

Inhalte

Praxisorientierte Fortbildung muss praxisbegleitend angelegt und auf den Entwicklungsstand und die konkreten Bedürfnisse der Jungen, Mädchen und pädagogischen Fachkräfte in ihren jeweiligen Einrichtungen ausgerichtet sein. Die sehr unterschiedlichen individuellen und institutionellen Bedingungen der am Aktionsforschungsprojekt Beteiligten haben immer wieder eindrucksvoll deutlich gemacht, dass ein konstruktiver Umgang mit dem Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen nicht durch die schematische Anwendung von Programmen und Verhaltensratschlägen herbeigeführt werden kann. Das Problem ist dabei nicht ein Mangel an einleuchtenden Modellen, sondern der Transfer dieser Modelle in die Praxis.

Im Laufe des Projekts haben wir wiederholt die Erfahrung gemacht, dass sich ErzieherInnen durchaus interessiert und engagiert mit theoretischen Modellen und Konzepten befassen, wenn diese verständlich dargestellt und unmittelbar auf die Praxis bezogen werden. Theoretische Einheiten zur geschlechtsspezifischen Identitätsentwicklung, zu Konfliktlösungsmodellen oder zu Interventionen in Konflikten sind daher unverzichtbare Bestandteile von Fortbildung. Sie müssen aber vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen reflektiert und anhand von Praxiserfahrungen überprüft werden.

Dies gilt insbesondere für konkrete pädagogische Empfehlungen. Eine Praxisanregung, die in einer Einrichtung destruktives Konfliktverhalten vermindern hilft, kann in einer anderen überflüssig sein oder sich sogar negativ auswirken. Zum Beispiel können regelmäßige Gesprächsrunden zur Kinderbeteiligung ein wichtiger Ort für die Klärung von Konflikten in der Kindergruppe werden. Sie können aber auch zu Frustration und Desinteresse führen, wenn die Gesprächskultur in der Kindergruppe nicht ausreichend entwickelt ist oder wenn Vereinbarungen der Kindergesprächsrunde im Alltag nicht umgesetzt werden. Batacas-Schläger können für lustvolles Toben eingesetzt werden und die Einübung von Regeln beim Raufen und Toben unterstützen. Ihr Einsatz kann aber auch zu Konflikten führen, wenn im Team keine Einigkeit darüber besteht, wie sie eingesetzt werden sollen. Problemstellungen und konkrete Handlungsalternativen müssen daher spezifisch für die jeweilige Fachkraft und das jeweilige Team unter Berücksichtigung des sozialen Umfelds der Einrichtung untersucht und entwickelt werden.

Dieser Entwicklungsprozess muss im Rahmen von Fachberatung, Fortbildung und Supervision immer wieder angeregt und begleitet werden. Erzieherinnen benötigen Unterstützung, um eigene Ziele für die Arbeit formulieren und diese professionell nach außen darstellen zu können. Dies gilt insbesondere für pädagogische Tätigkeiten, die keine sichtbaren „Produkte“ erzeugen. Der geschulte Umgang mit „Beobachtung als Beachtung“ (vgl. Kazemi-Veisari, 1995) ist eine Grundqualifikation von ErzieherInnen gerade beim Umgang mit Konflikten, für die in der Praxis oft viel zu wenig Zeit zur Verfügung gestellt wird. Beobachtungszeiten sowie Zeiten für Reflexion müssen bereitgestellt werden, damit Schlussfolgerungen und neue Handlungsstrategien situationsangemessen erarbeitet werden können.

Individuelle Kompetenzen im Umgang mit Konflikten mit und unter Kindern sind dabei entscheidend durch eigene Lebenserfahrungen bestimmt. Die besondere Bedeutung der Auseinandersetzung von Erzieherinnen mit der eigenen Biografie und beruflichen Identität wird nicht zuletzt durch neuere Forschungen zu Selbstbildungsprozessen von Kindern in Kindertageseinrichtungen hervorgehoben (vgl. Musiol, 2002). Durch das Aktionsforschungsprojekt konnten die selbstreflexiven Kompetenzen der TeilnehmerInnen erheblich gestärkt und weiterentwickelt werden. Wie die Evaluation zeigt, hatte dies Verhaltensänderungen zur Folge, die wiederum positive Auswirkungen auf das Konfliktlösungsverhalten von Kindern hatten.

Die Arbeit an der eigenen Wahrnehmung, Selbstreflexion und Biographiearbeit sind daher Basisqualifikationen in der Aus- und Fortbildung von ErzieherInnen. Dies gilt insbesondere für die Auseinandersetzung mit geschlechtsbezogenen Themen. Gefordert ist nicht die Vermittlung spezifischer Methoden oder Techniken zum Umgang mit Jungen bzw. mit Mädchen. Stattdessen geht es darum, alltägliche Interaktionen, Regeln, Interventionen und pädagogische Angebote vor dem Hintergrund zu reflektieren, dass die Beteiligten nicht einfach Kinder und Erwachsene, sondern Mädchen und Jungen, Frauen und Männer sind. In Bezug auf Jungen ist es wesentlich, Zusammenhänge zwischen Aggression, Angst und Hilflosigkeit zu erkennen und Jungen als Opfer und Täter in Gewaltkreisläufen wahrzunehmen. Zentrales Thema bei Mädchen sind oft unbewusste, abwertende Reaktionen von Erwachsenen auf aggressives und durchsetzungsstarkes Verhalten von Mädchen.

Aufgabe von Fortbildung ist daher die Vermittlung von Wissen und die Erarbeitung eines geschlechtsbewussten Blicks sowohl auf das Verhalten – konkret: das Konfliktverhalten – von Kindern als auch auf eigene Wahrnehmungen und Verhaltensweisen sowie die eigene Lebensgeschichte als Frau oder als Mann. Da sich die Geschlechterverhältnisse in unserer Gesellschaft in ständiger Veränderung befinden, gibt es bei diesen Fragen nur selten eindeutige Antworten. Fortbildung kann aber Theorien und Methoden bereitstellen, mit denen geschlechtsbezogene Zusammenhänge verständlich gemacht und in der Praxis untersucht werden können.

Für den Umgang mit Eskalationssituationen und körperlicher Gewalt benötigen Erzieherinnen allerdings klare Handlungsstrategien. Derartige Situationen sind in den meisten Kindertageseinrichtungen zwar eher selten. Dort, wo sie zum Alltag gehören, sind allerdings nicht nur klare Regeln erforderlich, sondern auch Sicherheit bei körperlichen Eingriffen bei Konflikten. Letzteres allerdings fällt vielen ErzieherInnen eher schwer. Manche Kinder nutzen dies aus, indem sie schon bei vorsichtigen körperlichen Interventionen schreien: „Du darfst mich nicht schlagen!!“ Hier schließt sich dann wieder der Kreis, weil ein solcher Vorwurf in der Regel nur dann wirkt, wenn ErzieherInnen aus persönlichen Gründen vor körperlichen Auseinandersetzungen – und darum handelt es sich in diesen Fällen – zurückschrecken und die Rolle des „Bösen“ in Konflikten unbedingt vermeiden wollen.

Rahmen

Persönliche Prozesse brauchen Zeit. Die in der Fortbildung von ErzieherInnen üblichen Studientage und Blockseminare erzeugen oft einen unrealistischen Handlungs- und Umsetzungsdruck – nach einer mehrtägigen Fortbildung oder gar nach einem einzelnen Studientag wird vom Team erwartet, dass die Fortbildungsteilnehmerin das Thema nun bearbeitet hat und in der Lage ist, die Erkenntnisse in der Praxis einzusetzen. Die positiven Erfahrungen des Aktionsforschungsprojekts sprechen dafür, Fortbildung zu diesen Themen grundsätzlich längerfristig und praxisbegleitend anzulegen.

Als wichtiges Element stellten sich die als Bindeglied zwischen den Einzelseminaren verwendeten Zielüberprüfungsbögen sowie die anschließende Reflexion der Praxiserfahrungen heraus. Damit wurde der Transfer sichergestellt und die Fähigkeit von ErzieherInnen gefördert, sich pädagogische Ziele zu setzen und auf ihre Verwirklichung hinzuarbeiten. Allerdings war auch hier die Zeit für gründliche Auseinandersetzung und fachliche Unterstützung manchmal nicht ausreichend, insbesondere, wenn auch die Zeit für die Bearbeitung der vorgesehenen inhaltlichen Themen knapp bemessen war.

Vor diesem Hintergrund schlagen wir eine Erweiterung und Umstrukturierung des Fortbildungskonzeptes vor:

  • Eine Erweiterung des Konzepts auf 10 Tage (3 + 3 + 2 + 2) oder
  • drei dreitägige Seminare, wobei Abschlussreflexion der Seminarreihe und Ausblick mit in das dritte Seminar aufgenommen werden.

Eine solche Erweiterung ist um so mehr zu bedenken, wenn die Fortbildungsreihe ohne vorgeschaltete Aktionsforschungsphase durchgeführt werden soll. Der Erfolg der durchgeführten Fortbildungsreihe hing nicht zuletzt von der vorgeschalteten Phase der Aktionsforschung ab, die eine langsame Annäherung an die Themen des Projekts ermöglichte, sowie von der Einbindung der Teams der beteiligten Einrichtungen.

Nun kann nicht jeder Träger gleich ein Aktionsforschungsprojekt durchführen. Möglich ist aber, Langzeitfortbildung mit Aktionsforschungsanteilen und konkreten Praxisvorhaben zu verbinden und mit begleitenden Maßnahmen wie Tandems oder Austauschgruppen zu unterstützen. Auch die Teilnahme von je zwei KollegInnen pro Team sowie die Verbindung der Fortbildungsreihe mit einrichtungsinternen Studientagen könnte von der Konzeption des Aktionsforschungsprojekts übernommen werden.

Transfer

Die Kombination von externer Fortbildung mit einrichtungsinternen Studientagen ist grundsätzlich empfehlenswert, wobei dies je nach den Bedürfnissen und Praxissituationen der beteiligten Einrichtungen unterschiedlich umgesetzt werden muss. Die Unterstützung von FortbildungsteilnehmerInnen durch die Einrichtungsleitung ist unabdingbar und sollte grundsätzliches Element von Fortbildungsplanung sein. Zum einen muss FortbildungsteilnehmerInnen Zeit für die Umsetzung von Fortbildungserkenntnissen verbindlich eingeräumt werden. Zum anderen muss die Möglichkeit bestehen, mögliche Veränderungen im Team zu bearbeiten, da ein veränderter Umgang mit Konflikten zunächst auch zu Konflikten im Team führen kann, wenn ein gemeinsames Grundverständnis von Konflikt nicht entwickelt oder veränderungsbedürftig ist – und dies ist in vielen Kindertageseinrichtungen der Fall. Der Umgang mit Konflikten und aggressivem Verhalten ist eines der schwierigsten Themen im Alltag von pädagogischen Einrichtungen und stellt hohe Anforderungen an MitarbeiterInnen. Fortbildung, Praxisberatung und Supervision müssen sich ergänzen, damit die Umsetzung von Erkenntnissen in die tägliche Arbeit gelingen kann. Ein zentraler Aspekt ist dabei das gemeinsame Erarbeiten von Regeln und Konsequenzen in Konfliktsituationen.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Einbeziehung von und Auseinandersetzung mit Eltern, weil für viele Erzieherinnen die Angst vor möglichen negativen Reaktionen von Eltern ein wesentliches Element ist, das konstruktive und mutige Veränderungen im Umgang mit Konflikten verhindert.

Das Fortbildungskonzept könnte wesentlich mehr Nachhaltigkeit entfalten, wenn es in die bestehende Fachberatung der Träger eingebunden wäre. Dies legt Überlegungen zur Multiplikatorenfortbildung für FachberaterInnen nahe, die z.B. Bestandteil eines größeren Fortbildungsprojekts sein könnte.

Fortbildungsleitung

Für die Durchführung von Fortbildungen auf der Grundlage des dargestellten Konzepts ist auf jeden Fall die Leitung durch zwei qualifizierte Dozenten – Frau und Mann – erforderlich. Zum einen erfordern die selbstreflexiven Aspekte eine intensive Betreuung und auch Selbstreflexion auf Seiten der Seminarleitung. Gerade in Bezug auf die Themen des Projekts muss Gruppenprozessen viel Raum und Aufmerksamkeit gegeben werden. Diese sind nicht nur ein wichtiges Lernfeld, sondern auch Grundlage für eine intensivere gegenseitigere Unterstützung. Es versteht sich von selbst, dass die Anleitung von Selbsterfahrung und die Begleitung von persönlichen Prozessen entsprechende Qualifikationen auf Seiten der Seminarleitung voraussetzt und nicht in Form eines bloßen methodischen Trainings absolviert werden kann. Dazu gehören Kenntnisse in Gruppendynamik und Prozessanalyse sowie psychologische Kenntnisse für die Begleitung von persönlichen Prozessen, die durch Selbsterfahrungseinheiten ausgelöst werden können.

Zum anderen ist gerade für die Bearbeitung geschlechtsbezogener Fragen eine gemischtgeschlechtliche Seminarleitung wesentlich. Leiter und Leiterin „vertreten“ ihr Geschlecht und entsprechende Sichtweisen bei der Vermittlung von konkreten Inhalten. Sie dienen als AnsprechpartnerIn und Orientierungsfigur insbesondere in geschlechtsgetrennten Arbeitsphasen sowie in geschlechtstypischen Konflikten. Schließlich stellen sie ein Modell für gelingendes Miteinander der Geschlechter dar.

Zur besonderen Situation männlicher Fachkräfte

Ein besonderer Fortbildungsbedarf zeigte sich bei den männlichen Teilnehmern des Projekts. Ihnen wurde im Verlauf des Projekts die besondere Rolle deutlich, die sie im von Frauen dominierten Arbeitsfeld Kindertagesstätten haben. Die geschlechtsgetrennten Arbeitsphasen gaben ihnen die Gelegenheit, sich einmal nur mit Angehörigen des eigenen Geschlechts auszutauschen, was von ihnen sehr positiv aufgenommen wurde. Wenn Männer an Fortbildungen zu geschlechtsbezogenen Themen teilnehmen, sollte ihr Anteil daher in jedem Fall so groß sein, dass für bestimmte Arbeitsphasen geschlechtshomogene Kleingruppen gebildet werden können. So ist gewährleistet, dass die jeweiligen Geschlechter zeitweise ihren jeweiligen Geschlechterstandpunkt erarbeiten und reflektieren können.

Da die meisten männlichen Mitarbeiter von Kindertagesstätten dazu sowohl im Alltag als auch auf Fortbildungen kaum Gelegenheit haben, ist es darüber hinaus wichtig, Möglichkeiten für Austausch und Fortbildung speziell für Männer bereitzustellen. Männliche Bezugspersonen werden zunehmend als wichtig für die Entwicklung von Kindern angesehen. Viele männliche Erzieher fühlen sich aber als Männer im Arbeitsfeld Kindertagesstätten isoliert und sehen dort für sich keine langfristige Perspektive. Hier besteht ein deutlicher Handlungsbedarf sowohl in Ausbildung als auch in Fortbildung (vgl. Engelhardt, 1998; Rohrmann, 2001b).

6.3. Konsequenzen für Institutionen und Träger der Kinder- und Jugendhilfe

Das Forschungsprojekt wurde in einer Zeit durchgeführt, in der der Bereich Kindertageseinrichtungen von tiefgreifenden und folgenreichen Strukturveränderungen gekennzeichnet ist. Die Einführung der verlässlichen Halbtagsgrundschule hat die Rahmenbedingungen von Hortarbeit völlig verändert; unter anderem verbringen die Grundschulkinder weniger Zeit im Hort, so dass der zeitliche Spielraum für pädagogische Angebote deutlich geringer ist. Gleichzeitig steigt durch die Diskussionen zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen und nicht zuletzt die PISA-Studie der Anspruch, der an die pädagogische Qualität von Kindertageseinrichtungen gestellt wird. In Bezug auf geschlechtsbewusste Arbeit wird zunehmend das Gender Mainstreaming als „Top-Down-Strategie“ installiert, wobei dieser Begriff so unterschiedlich verstanden und verwendet wird, dass sich in der pädagogischen Praxis keine eindeutigen Handlungskonsequenzen daraus ableiten lassen.

Aus Sicht des Forschungsteams können die Ergebnisse des Aktionsforschungsprojekts wesentliche Beiträge zu dieser Diskussion leisten. Konfliktverhalten und Geschlecht sind zwei zentrale Themen für die Weiterentwicklung pädagogischer Praxis in Kindertageseinrichtungen. Beide Themen werden bislang aber sowohl in der Ausbildung von Erzieherinnen als auch in pädagogischen Konzeptionen von Kindertageseinrichtungen viel zu wenig berücksichtigt. Hier Abhilfe zu schaffen kann ein wesentlicher Bestandteil der Qualitätsentwicklung von Kindertageseinrichtungen sein. Wie das Aktionsforschungsprojekt gezeigt hat, müssen dazu Praxisreflexion, Teamentwicklung und die Förderung individueller Lernprozesse durch die Bereitstellung langfristiger Fortbildung zusammenwirken.

Die Installation von Gender Mainstreaming sehen wir als Chance, eine geschlechtsbewusste Grundhaltung als Querschnittsaufgabe in die Praxis der Arbeit mit Kindern einzuführen. Wie im Aktionsforschungsprojekt deutlich wurde, ist eine solche geschlechtsbewusste Haltung in Kindertagesstätten bislang nur wenig aufzufinden. Selbst dort, wo gezielte Angebote für Mädchen und Jungen gemacht werden, ist dies nicht immer mit geschlechtsbewusster Reflexion verbunden. Zum Teil werden bei derartigen Angeboten lediglich typische Interessen von Jungen und Mädchen unterstützt. Zudem fiel im Verlauf des Aktionsforschungsprojekts auf, dass bei der Beschäftigung mit diesen Themen immer wieder die Jungen mehr in den Blick geraten als die Mädchen. Dies ist nur zum Teil mit dem größeren Ausmaß von aggressiver Auffälligkeit der Jungen zu erklären. Die notwendige Erweiterung von Ansätzen der Mädchenförderung um jungenspezifische Sichtweisen und Angebote kann zum Problem werden, wenn sie mit unreflektierten Tendenzen zur Bevorzugung von Jungen einhergeht.

Dies lässt sich mit meist nicht bewussten Einstellungen der Erzieherinnen erklären, die mit der gesellschaftlichen Geschlechterhierarchie zusammenhängen. ErzieherInnen treten oft nur wenig selbstbewusst auf, wenn sie ihre Tätigkeit nach außen darstellen. Insbesondere die Qualität der von ihnen geleisteten pädagogischen Arbeit im Bereich Beobachtung, Beziehungsgestaltung und Sozialverhalten schätzen sie oft zu niedrig ein, nicht zuletzt, weil die Ergebnisse dieser Arbeit nur wenig sichtbar sind – anders als Produkte aus dem kreativen Bereich. Diese bekannte Erkenntnis hat sich auch in diesem Aktionsforschungsprojekt bestätigt. Die Selbstabwertung der Frauen findet ihre Fortsetzung dann in der Abwertung typisch weiblicher Interessen und Verhaltensweisen von Mädchen in der Kita. Die wenigen vorhandenen Männer wiederum beschäftigen sich ebenfalls oft mehr mit den Jungen, weil ihnen vor dem Hintergrund vereinfachender psychologischer Theorien über den Mangel an männlichen Bezugspersonen für Jungen die Verantwortung für Jungen und Jungenarbeit übertragen wird. Im Verlauf der Fortbildung gelang es, hier zu differenzierten Sichtweisen zu kommen und sowohl die Bedeutung gleichgeschlechtlicher Bezugspersonen als auch der Beziehungen zwischen den Geschlechtern anzuerkennen und wertzuschätzen.

In aktuellen Diskussionen in Öffentlichkeit und Fachwelt geraten Jungen entweder als potentielle Gewalttäter in den Blick oder – in jüngster Zeit verstärkt – als benachteiligt und Opfer gesellschaftlicher Veränderungen. Mädchen wiederum werden entweder nach wie vor als in erster Linie benachteiligt und bedroht wahrgenommen oder nur noch pauschal als Gewinner der Veränderungen des Geschlechterverhältnisses betrachtet. All dies wird der vielgestaltigen individuellen Realität von Jungen und Mädchen nicht gerecht. Stattdessen müssen die spezifischen Nöte und Bedürfnisse, aber auch die Kompetenzen und Ressourcen sowohl von Mädchen als auch von Jungen differenziert wahr- und ernst genommen werden. Vor diesem Hintergrund kann Gender Mainstreaming in Kindertagesstätten zu einem gemeinsamen Projekt von Männern und Frauen werden, das allen Menschen in Kindertageseinrichtungen zu Gute kommt.

Träger und übergeordnete Institutionen haben die Möglichkeit, die im Aktionsforschungsprojekt bearbeiteten Themen – geschlechtsbewusste Pädagogik, Konfliktlernen, Gewaltprävention – in Aus- und Fortbildung sowie in die Erstellung von Rahmenrichtlinien und Konzeptionen einfließen zu lassen. Sie können sich auch dafür einsetzen, mehr männliche Mitarbeiter zu beschäftigen bzw. männliche Jugendliche für den Beruf des Erziehers zu gewinnen. Vor allem ist aber erforderlich, die Qualität der Ausbildung insgesamt zu verbessern und Kindertagesstätten und den darin tätigen Fachkräften mehr gesellschaftliche Anerkennung für ihre anspruchsvolle Aufgabe zu zollen.

6.5. Konsequenzen für geschlechtsbewusste Gewaltprävention

Kindertageseinrichtungen sind ein Ort, an dem wirkungsvoll Gewaltprävention durchgeführt werden kann. Dies wird von Untersuchungen zur Entwicklung von gewaltbereiten Orientierungen immer wieder bestätigt. So kommt eine aktuelle Untersuchung zum Persönlichkeitsprofil von Gewalttätern und gewaltbereiten Erwachsenen zu dem Schluss: „Nach unseren Befunden sollten korrektive und präventive Bemühungen möglichst frühzeitig ansetzen und bereits im Kindergarten, der Schule und im Elternhaus auf angemessene Formen der Konfliktregelung, ausgewogene (nicht einseitige) Attributionen von ‚Schuld’, die Förderung von Empathie (als Hemmfaktor gegenüber Aggressivität) und der Bereitschaft zum Verzeihen, sowie den Aufbau eines gesunden (nicht narzisstisch überhöhten) Selbstwertgefühls hinauslaufen“ (Becker, 2002, S. 554). Das Aktionsforschungsprojekt hat hierzu einen Beitrag geleistet und insbesondere herausgearbeitet, welchen Stellenwert eine geschlechtsbewusste Sichtweise dabei haben sollte. Vor diesem Hintergrund stellen wir abschließend Grundsätze und Zielrichtungen geschlechtsbewusster Gewaltprävention dar.

Geschlechtsbewusste Gewaltprävention ist keine „Zusatzaufgabe“, die „auch noch“ geleistet werden muss, sondern Bestandteil des Alltags und grundlegender Beitrag zum konstruktiven Umgang mit Konflikten. Gewaltprävention und geschlechtsbewusste Pädagogik haben dabei eine gemeinsame Schnittmenge, aber unterschiedliche Ansatzpunkte, Ziele und rechtliche Rahmenbedingungen. Der Gewaltproblematik liegen gesellschaftliche und politische Probleme zugrunde, die nicht in Kindertageseinrichtungen gelöst werden können. Für die Berücksichtigung unterschiedlicher Lebenslagen von Mädchen und Jungen – als Teil des Bildungsauftrages von Kindertageseinrichtungen – gibt es dagegen eine gesetzliche Grundlage im KJHG. Vor diesem Hintergrund fassen wir abschließend Grundsätze, Ziele und Ansatzpunkte geschlechtsbewusster Gewaltprävention zusammen.

Gewaltbewusste Erziehung setzt zum großen Teil an Grundhaltungen der Erziehenden, Regeln und Strukturen an. Je mehr es um Regeln geht, umso weniger geht es um das Geschlecht der Kinder. Geschlechtsbezogene Zusammenhänge sind in erster Linie wichtig für das Verständnis von aggressivem Verhalten (warum verhalten sich Jungen anders als Mädchen – und bestimmte Jungen anders als andere Jungen?), weniger für das Handeln in konkreten Situationen. Wenn es darum geht, verbindliche Grenzen dafür festzulegen, wann bei Konflikten eingegriffen werden muss, spielt es keine Rolle, ob die Streitenden Jungen oder Mädchen sind.

Geschlechtsbewusste Gewaltprävention muss sowohl das Miteinander in geschlechtshomogenen Gruppen, insbesondere in der Jungengruppe, als auch das Wechselspiel der Geschlechter berücksichtigen. Wenn Jungen- und Mädchenarbeit innerhalb einer Einrichtung gewaltpräventiv wirken soll, muss sie gewaltbewusst sein und möglichst in ein Rahmenkonzept eingebunden sein, das von der Einrichtung mitgetragen wird. Aggressives Verhalten, Ausgrenzung und Gewalt unter Jungen sind Themen für die Arbeit mit Jungen. Aggressives Verhalten, Ausgrenzung und mädchentypische Konflikt(vermeidungs)-strategien sind Themen für die Arbeit mit Mädchen. Aggressives Verhalten und Konflikte zwischen Jungen und Mädchen sowie die Attraktivität, die Kampf und aggressive Inszenierungen auf Jungen und Mädchen ausüben, sind Thema für geschlechtsbewusste Arbeit mit beiden Geschlechtern.

Pädagogische Arbeit, die an den Ursachen späterer Gewaltbereitschaft ansetzen und Mädchen und Jungen langfristig einen gewaltarmen Umgang miteinander ermöglichen will, muss gewaltbewusst und geschlechtsbewusst sein – und Konflikte als wichtigen Bestandteil im Leben von Kindern und Erwachsenen akzeptieren. Das bedeutet konkret:

Mit Aggression und Konflikten leben lernen

Wer sich nie streitet, wird nicht konfliktfähig. Streit gehört zum Leben. Dies schließt ein, Wut und Zorn zu akzeptieren und verstehen zu lernen (eine echte Herausforderung für ErzieherInnen!), aber auch, mit Enttäuschungen und Niederlagen umgehen zu können. Mädchen und Jungen müssen dabei lernen, ihre eigenen Grenzen schützen zu können und die Grenzen anderer zu respektieren. Nicht zuletzt gehört auch Spaß am Toben & Raufen, am Necken & Ärgern dazu – in einem Rahmen, der den Beteiligten Sicherheit gibt. Aufgabe der Erwachsenen ist es, Grenzüberschreitungen und Ungerechtigkeiten wahrzunehmen und zu thematisieren. Manchmal müssen sie schützend und begrenzend eingreifen, aber sie können nicht Konflikte für Kinder lösen.

An Stärken und Interessen von Jungen und Mädchen ansetzen

Dass Prävention an Stärken und nicht an Problemen und Defiziten von Kindern ansetzen soll, ist inzwischen ein Gemeinplatz – aber was bedeutet das konkret? Es setzt voraus, dass Jungen und Mädchen sich mit ihren Bedürfnissen und Themen in Kindertageseinrichtungen wiederfinden können – auch mit jungentypischen Interessen, die hier bislang oft zu wenig Platz haben. Weiter bedeutet es, erwünschte Eigenschaften nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern zu benennen und zu unterstützen, z.B. kooperatives Spiel in Kleingruppen oder gute Lösungen von Konflikten, die Jungen und Mädchen im Alltag immer wieder finden. Schließlich gehört dazu – und das ist oft am schwersten – so genannte „negative“ Eigenschaften von Jungen und Mädchen wie „aggressiv“ oder „zickig“ umzubewerten und die Stärke zu entdecken, die in ihnen liegt.

Gefühle wahrnehmen und benennen, ausdrücken und verstehen lernen

Mädchen und Jungen sollen ihre Gefühle vielfältig ausdrücken können. Dazu müssen sie mit ihren unterschiedlichen Gefühlen ernst genommen und verstanden werden – ob sie zärtlich, leidenschaftlich, wütend oder ängstlich, traurig und verletzt sind. Es schließt auch ein zu akzeptieren, wenn ein Junge seine Gefühle nicht zeigen will oder nicht so, wie es von ihm erwartet wird. Je eher es Erwachsenen gelingt, andere Menschen auch dann zu akzeptieren, wenn diese anders empfinden als sie selbst – und das ist gerade zwischen Frauen und Männern oft eine schwierige Angelegenheit! – umso eher können Kinder das mit und von ihnen lernen.

Körpererfahrungen ermöglichen

Körpererfahrung ist ein wesentlicher Bestandteil von Prävention und schließt ein, den eigenen Körper zu kennen, sich in ihm wohl zu fühlen und ihn erproben zu können. Dafür brauchen Mädchen und Jungen Raum und vielfältige Angebote, die einerseits Kraft, Spannung und Risiko, anderseits Empfindsamkeit, Entspannung und Geborgenheit beinhalten. Gerade wilde Kinder brauchen nicht nur „Action“, sondern auch Fürsorge, und daher ist es wichtig, diese Pole immer im Zusammenhang zu sehen. Einen Boxsack zu kaufen, an dem sich aggressive Kinder „austoben“ können, ist keine Gewaltprävention – ein Kampf mit Batacas-Schlägern nach gemeinsam vereinbarten Regeln, der eine anschließende Massage und einen achtsamen Umgang mit Verletzungsgefahren oder doch einmal aufgetretenen Verletzungen einschließt, schon eher.

Geschlechtsbezogene Zusammenhänge verstehen und verständlich machen

Kinder sollen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, Männern und Frauen wahrnehmen und verstehen lernen, ohne damit eine Bewertung als „besser oder schlechter“ zu verbinden. Sie benötigen dazu Antworten auf ihre Fragen nach der Bedeutung der Geschlechtsunterschiede, die sie an sich selbst und in ihrer Umwelt wahrnehmen.

Kinder bekommen in den Medien mit, dass sowohl legale als auch strafbare Gewalt in unserer Gesellschaft trotz mancher Veränderungen nach wie vor in großem Ausmaß „Männersache“ ist – egal ob es um Polizeieinsätze, Gewalttaten, Mord oder Krieg geht. Gerade Jungen brauchen daher Unterstützung bei der Verarbeitung solcher Informationen und beim Aufbau eines Männerbildes, das nicht auf ständiger Kampfbereitschaft und der gewaltsamen Durchsetzung eigener Interessen beruht.

Interkulturelle Zusammenhänge verstehen und verständlich machen

„Gleichwertigkeit und Verschiedenheit von Mädchen und Jungen zu akzeptieren“ ist leichter gesagt als getan, wenn ErzieherInnen es mit den strikten Vorstellungen zu tun haben, die manche Eltern mit anderem kulturellen Hintergrund über Erziehung und die Aufgaben von Jungen und Mädchen haben („Abwaschen? Das ist Frauenarbeit!!“). Die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen sind manchmal größer als die zwischen Jungen und Mädchen derselben Kultur, gerade wenn es um die Einschätzung von Konflikten, Aggression und Gewalt geht. Andererseits lassen sich manche interkulturellen Konflikte nur vor dem Hintergrund der Geschlechterverhältnisse in den Lebenswelten der beteiligten Jungen und Mädchen verstehen.

MitarbeiterInnen von Kindertagesstätten müssen daher häufig die Funktion von „Dolmetschern“ übernehmen, um Kindern zu ermöglichen, solche unterschiedlichen Bedeutungen zu verstehen. Was für einen deutschen Jungen eine harmlose Neckerei sein kann, ist für eine türkischen Jungen möglicherweise ein Angriff auf seine Ehre.

Zusammengefasst: Die Förderung von Selbstwahrnehmung, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl sind nicht nur Grundsätze der allgemeinen Pädagogik, sondern auch Ziele gewaltpräventiver Arbeit. Für Mädchen und Jungen bedeutet das allerdings nicht immer dasselbe, gerade dann, wenn es um die Auseinandersetzung mit Geschlechterstereotypen und mit gesellschaftlichen Leitbildern von Männlichkeit und Weiblichkeit geht. Die Auseinandersetzung mit Gewalt und Aggression findet dabei in erster Linie im alltäglichen Umgang mit Streit und Kampf, Wut und Enttäuschungen statt.

Neue Wege einschlagen

Wer sich länger mit geschlechtsbewusster Pädagogik sowie mit dem Thema Aggression und Gewalt befasst, stellt fest, dass die entscheidenden Ansatzpunkte für Veränderungen oft struktureller Natur sind. Öffnung, Bewegung, Partizipation, Lernwerkstatt, Eltern- und insbesondere Väterarbeit sind Themen, die den Rahmen auch für einen neuen Umgang mit dem Konfliktverhalten von Mädchen und Jungen bereitstellen können. Veränderungen in Kindertageseinrichtungen ziehen oft Auseinandersetzungen mit Eltern oder Trägern nach sich – hier ist die Konfliktbereitschaft der MitarbeiterInnen gefragt.

Gezielte Angebote für Jungen und Mädchen können einen sinnvollen Platz im Rahmen der konzeptionellen Weiterentwicklung pädagogischer Arbeit sein. Sie sind aber kein Zaubermittel gegen aggressives Verhalten. Im Rahmen gewaltpräventiver Maßnahmen machen geschlechtsgetrennte Angebote Sinn, wenn sich die zuständigen Fachkräfte über Inhalte und Erfahrungen austauschen und Mädchen und Jungen wieder zusammengeführt werden. Wie Erfahrungen auch aus dem Aktionsforschungsprojekt zeigen, kommt es danach nicht selten zu einer neuen und konstruktiven Begegnung der Geschlechter. Ein gleichberechtigtes Miteinander von Mädchen und Jungen zu entwickeln ist dabei manchmal nur ein Fernziel, eine Vision – in jedem Fall aber nichts, was durch pädagogische Programme herbeigezwungen werden kann.

Wir schließen mit den Worten eines Projektteilnehmers:

„Ich kann nicht hundertprozentig sagen, ob das alles so richtig ist. Ich habe meinen Horizont erweitert und probiere es halt aus. Das ist nicht das endgültige Ergebnis, ‚so ist es und nicht anders’ – das kann man ja nie sagen!“

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