Lernwerkstätten in Kitas

Was ist eine Lernwerkstatt?

Artikel in Kindergarten heute 8/2005 – Siehe auch folgender Artikel.

In den letzten Jahren sind in Kitas Lernwerkstätten unterschiedlichster Art entstanden. Die Lernwerkstattidee hat ihren Ursprung in reformpädagogischen Überlegungen. In einer Lernwerkstatt können Kinder Erfahrungen mit eigenständigem, forschenden, entdeckendem Lernen entlang eigener Fragestellungen machen. Lernwerkstätten können Räume für Erwachsene und/oder Kinder sein, in denen man das „Lernen lernen“ kann. Weiterhin wird mit dem Begriff „Werkstatt“, der im Wort „Lernwerkstatt“ enthalten ist, ein Arbeitsprinzip beschrieben, bei dem es darum geht, sinn-volles Lernen mit Kopf, Herz und Hand erleben zu können. Diese Form des Lernens soll natürlich nicht nur an einen Raum in der Kita gebunden sein. Wenn wir Bildungsprozesse von Kindern beschreiben als „Selbst“-bildungsprozesse, muss es pädagogisches Ziel sein, in allen Kitaräumen Werkstattprinzipien leben zu lassen.

In einer Lernwerkstatt gibt es verschiedene Raumbereiche, denen Bildungsbereiche zugeordnet sind, z.B.: Mathematik, Schrift und lesen, Naturwissenschaften, Technik, Bauen und konstruieren u.a. In diesen sog. „Lernstationen“ gibt es Arbeitsmaterialien für die Kinder, die sie jeweils selbständig zur Bearbeitung wählen können. Sie werden so präsentiert, dass Kinder in ihnen eine Aufforderung zum Tun, Ausprobieren, Lernwege gehen entdecken können.

Die Lernwerkstatt ist ein Raum, der hauptsächlich für die Kinder gedacht ist, die ihr letztes Jahr in der Kita verbringen und die oftmals schon „Kindergartenmüdigkeit“ zeigen. M. E. zeigen sie damit deutlich ihren Bildungshunger. Sie wollen mehr „Futter“ haben und gefordert werden. Sie freuen sich, wenn sie etwas leisten können. Das gilt natürlich auch für die Jüngeren. Diese können dieses Bedürfnis jedoch häufig im intensiven Freispiel und im Projektlernen erfüllen. Für Kinder unter drei Jahren halte ich die Nutzung der Lernwerkstatt für unsinnig. Den Kindern in diesem Alter können zwar manche Spielmaterialien angeboten werden, die man auch in der Lernwerkstatt finden kann. Diese sollten jedoch immer und jederzeit zur Nutzung zur Verfügung stehen. Krippenkinder brauchen für Ihre Lernprozesse phantasievolles, anregungsreiches, sinn-volles Spielmaterial in ihren Gruppen.

  • Die Lernwerkstatt, die ich im Folgenden genauer beschreibe, ist in der Regel in einem separaten Kitaraum eingerichtet, weil so ermöglicht werden soll, dass Kinder, wenn sie es wünschen, allein und ungestört von anderen, arbeiten und sich in eine Sache/Frage vertiefen können. Dies ist häufig in dieser Form in den „klassischen“ Kita-/Kindergartenräumen nur schwer möglich.
  • Weiterhin wird durch die Einrichtung eines gesonderten Raumes die Besonderheit des Angebotes für die Größeren deutlich gemacht. Die Erfahrungen mit einem Extraraum für die Lernwerkstatt zeigen, dass durch die Konzentration auf Bildungsbereiche in diesem Raum, die bislang nur untergeordnete (wenn übehaupt) Schwerpunkte in der Kita-Arbeit waren, intensive Auseinandersetzungen der Erwachsenen und Kinder mit Themen wie Schrift, Mathematik, Naturwissenschaften etc. stattfinden und von diesem Ort aus Einfluß nehmen auf die Gestaltung von Räumen, Projekten und den Kita-Alltag.

Entscheidend für die Lernwerkstattarbeit ist es nicht, ob es einen gesonderten Raum dafür in der Kita gibt oder nicht. Entscheidend ist, dass diese Form der Arbeit eingebunden ist ins Gesamtkonzept der Kita und dass hier nicht einseitig und funktional geübt und gelernt wird, sondern dass Themen der Kinder aus dem Kita-Alltag in die Lernwerkstatt einfließen, sowie auch Themen und Fragen der Kinder aus der Lernwerkstatt in den Kita-Alltag zurückfließen. Lernwerkstattmaterialien können in offenen Kitas jeweils in den Spielbereichen an einem „besonderen Ort“ angeboten werden.

Bedeutung von Lernwerkstätten in der aktuellen Bildungsdiskussion

Laewen und Schäfer (vgl. Laewen, Andres: Forscher, Künstler, Konstrukteure: Luchterhand, 2002; Schäfer: Bildung beginnt mit der Geburt, Beltz, ) kommen in aktuellen Untersuchungen zu der Frage, welche Bedingungen Bildungsprozesse von Kindern im Alter von 0-6 Jahren benötigen, zunächst zu einer Definition von Bildung, die besagt:„Bildung ist immer Selbst-Bildung des Kindes“. Sie postulieren, dass Bildung in diesem Sinne nicht von Erwachsenen machbar ist, sondern (Selbst-)bildungsprozesse stetig vom Kind geleistet werden. Diese brauchen dann ggf. Unterstützung und förderliche Rahmenbedingungen von Erwachsenen. Selbstbildungsprozeese finden statt auf der Basis des Dialoges zwischen Kindern und relevanten Erwachsenen, an die die Kinder sicher gebunden sein müssen.

Diese theoretischen Erkenntnisse lassen sich in selbstbestimmten Lernprozessen von Kindern in der Lernwerkstatt beobachten. Kinder bestimmen über ihr Tun, die Lernschritte, die sie gehen wollen. Erwachsene stellen Kindern den Rahmen für gelingende Bildungsprozesse wie den Raum, Arbeitsmaterial und Zeitstrukturen zur Verfügung.

Aktuelle Erkenntnisse der Hirnforschung (vgl. Spitzer) betonen die Wichtigkeit des Lernens durch eigenes Tun und die Wichtigkeit, schon frühzeitig (ab Krippenalter) Kindern geistiges „Futter“ zur Verarbeitung zur Verfügung zu stellen, um ihre Denkprozesse zu unterstützen. Laewen und Schäfer betonen, dass es für die Lernprozesse der Kinder besonders wichtig ist, dass sie ihrem Tun persönlichen Sinn und Bedeutung zuzumessen. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung von Phantasie und Kreativität. (vgl Laewen). In diesem Sinne sind Lernwerkstätten ein Angebot zur Begleitung und Unterstützung von kindlichen Bildungsprozessen.

Gestaltung von Werkstatträumen

Bei der Gestaltung von Werkstatträumen gelten die Überlegungen , die auch für die Ausstattung anderer Kita Räume grundlegend sind. Es sollen Raumbereiche entstehen, die durch unterschiedliche Raumteilungen so voneinander abgegrenzt sind, dass für die Kinder und Kollegen deutlich sichtbar ist, was Thema der Lernstation dieses Raumbereiches ist. Die Raumteilungen müssen so gestaltet sein, dass einerseits ungestörtes Arbeiten der Kinder möglich ist, andererseits aber auch Sichtkontakt zu anderen Lernstationen besteht. So ist der Anreiz für das Arbeiten an weiteren Themen gegeben und die Kinder können selbst entscheiden, ob sie allein arbeiten möchten oder gemeinsam mit anderen Kindern, die sie ggf. im „Nachbar“lernbereich sehen. Das bedeutet, dass Regale als Raumteiler nur so hoch sein sollten, dass Kinder über sie hinwegschauen können und dass Stoffe, die zur Raumteilung benutzt werden, transparent sein sollten. Wichtig ist es weiterhin zu bedenken, dass die „Eingänge“ zu den Lernstationen räumlich so angelegt sind, dass sie nicht alle von einen zentralen Punkt im Raum zu betreten sind, an dem sich dann möglicherweise immer wieder Kinder begegnen, die sich aufgrund der Enge gegenseitig behindern. Die Lernstationen zu einzelnen thematischen Schwerpunkten sollten einen „Raum im Raum“ bilden.

Es sollten sowohl Einzel- als auch Gruppenarbeitsplätze eingerichtet werden, ebenso sollte es auch Möglichkeiten geben auf einem Teppich am Boden zu sitzen und zu arbeiten.

Wenn die Arbeitsmaterialien in offenen Regalen präsentiert werden, bieten sie Kindern Anreiz, sie ausprobieren zu wollen. Um die Gewähr zu bieten, dass man jedes Material verlässlich immer wieder am gleichen Platz vorfindet, ist es notwendig und hilfreich, die Regale mit Fotos der Materalien und einer Beschriftung zu kennzeichnen. So schafft man eine Schriftumgebung für Kinder, in der sie erkennen können, dass die Zeichen auf diesen Schildern, offensichtlich benennen, was sie dort im Regal finden. Sie lernen so ohne aktives Belehren durch Erwachsene, dass Buchstaben Träger von Bedeutungsinhalten sind.

Sie werden motiviert, Buchstaben und Buchstabenfolgen zu erkennen und möglicherweise andernorts wiederzuerkennen. Weiterhin können sie über eine so „vorbereitete Umgebung“ (dieses Arbeitsprinzip stammt von Maria Montessori) die Sinnhaftigkeit von Ordnung erfahren. Sie können sich darauf verlassen, dass sie das Material, das sie benutzen möchten, jederzeit dort wieder vorfinden werden, wo es am Tag davor gestanden hat. Langes, ggf. vergebliches Suchen nach begehrten Materialien – und dadurch entstehende frustrierende Situationen – entfallen. Wichtig ist eine gute, ausreichende Beleuchtung der Arbeitsplätze. Farben kann man in der Lernwerkstatt ggf. so einsetzen, dass man mit ihnen „Farbakzente“ setzt, d.h. dass man eine Farbe jeweils einer Lernstation zuordnet. So kann man dann im Mathebereich hauptsächlich z.B. die Farbe blau, im Schreibbereich die Farbe gelb etc. vorfinden. Diese Zuordnung von Farben zu Lernstationen bietet – wie die Kennzeichnung der Regale- Orientierung und schafft Klarheit.

Die Arbeitsmaterialien

Die Lernmaterialien in einer Lernwerkstatt können sehr unterschiedlich sein. Manche sind bei herkömmlichen Spielzeugherstellern zu beziehen. Manche können in Arbeitskästen angeboten werden, die die Erzieherin selber herstellen muss. Bislang gibt es noch keine industriell hergestellten Arbeitskästen für Lernwerkstattmaterialien. Das darf aus meiner Sicht noch lange, lange so bleiben. Denn die Herstellung dieser Materialien hat einen großen, wichtigen Lerneffekt für die Erwachsenen. Wenn ich z.B. Arbeitsmaterialien für den Mathematikbereich herstellen möchte, muss ich mich zunächst vertieft mit diesem Thema beschäftigen. Ich muss wissen, was gehört alles zum Themenbereich Mathematik, damit ich bezug nehmend darauf den Kindern unterschiedlichste Arbeitsmaterialien anbieten kann. Ebenso verhält es sich mit dem Bereich der Schrift. Auch hier muss ich zunächst Kenntnisse über den Prozess des Schrifterwerbs haben, um danach zu überlegen, welche Materialien für die Kinder möglicherweise interessant, wichtig und hilfreich sein könnten. So können über die Bestückung der Lernwerkstatt mit Materialien wichtige Qualifizierungsprozesse für einen Teil der Bildungsarbeit mit Kindern stattfinden.

Manche der den Kindern angebotenen Materialien sind zum Sortieren und Zuordnen gedacht, wie Knöpfe, Steine, Glasnuggets etc. Im naturwissenschaftlichen Bereich werden hauptsächlich Möglichkeiten geboten, naturwissenschaftliche Experiment zu vertiefen und zu wiederholen, die vorher im Kita-Alltag erprobt worden sind. Naturwissenschaftliche Experimente machen ohne eine Deutung des Phänomens für die Kinder wenig Sinn (vgl. Gisela Lück, Handbuch der naturwissenschaftlichen Bildung) und Materialien sind oftmals nicht ohne Hilfestellung nutzbar. Es sollte jedoch auf jeden Fall ein Mikroskop, besser sind noch unterschiedliche Mikroskope (Draufsicht- und Durchsichtmikroskope) geben, mit denen Kinder eigenständig Dinge ansehen und untersuchen können. Bewährt haben sich in diesem Bereich auch einfache physikalische Experimente mit Strom und Magnetismus. Eine Fossiliensammlung weckt ebenfalls in der Regel großes Interesse der Kinder. In der Schreibstation sollte es vielfältiges Material geben, dass zum Schreiben Lust macht. Schönes, unterschiedliches Papier, unterschiedliche Schreibgeräte, Bücher, die in großen Druckbuchstaben geschrieben sind, eine Weltkarte, auf der die Kinder Länderbezeichnungen „lesen“ können, Buchstaben zum Ansehen, Fühlen, aus verschiedenen Materialien hergestellt, zum Stempeln, zum Legen mit Wolle, Spiele, die sich um Buchstaben drehen etc. regen den Umgang der Kinder mit Geschriebenem an. Für jedes Kind kann es ein eigenes Wortschatzkästchen geben, in das es die Wörter aufbewahrt, die für es wichtig sind und die es schon schreiben kann. Wichtig ist hierbei nicht, dass diese Wörter richtig geschrieben sind und die Erwachsenen sie lesen können. Wichtig ist es, dass die Kinder die Erfahrung machen, dass Wörter Schätze sein können, dass man mit Ihnen Wichtiges „aufbewahren“, Informationen weitergeben und sich etwas merken kann. Weitere Ideen für die Ausstattung einzelner Lernstationen können Sie im Buch „Lernwerkstätten und Forscherräume in Kita und Kindergarten“ finden.

Alle Lernmaterialien, die Kinder in der Lernwerkstatt benutzen können, sollen so vorbereitet und präsentiert werden, dass sie keiner Erklärung oder Belehrung durch Erwachsene bedürfen. Die Kinder können selbst entscheiden, innerhalb eines gesetzten Rahmens, wie sie ein Material nutzen wollen. Z.B. kann ein Kind mit einem Arbeitskasten, in dem es einen Stromkreis schalten kann, alle Steckverbindungen ausprobieren und so eine Glühlampe zum Leuchten bringen. Es kann auch versuchen, dieses Ziel zu erreichen, indem es nach einem Vorschlag arbeitet, den ihm eine Abbildung des Stromkreises auf einer Arbeitsvorlage, die im Kasten zu finden ist, zeigt. Weiterhin kann es die unterschiedlichsten Steckverbindungen herstellen mit der Fragestellung: Was passiert, wenn ich ….. Folgendes tue?

Wenn Kinder Materialien so nutzen wollen, dass sie dann später in Ihrer ursprünglich angebotenen Form für andere Kinder nicht mehr nutzbar sind, können sie diese Idee für die Gestaltung eines neuen Arbeitsmaterials einbringen. Das ursprüngliche Arbeitsmaterial bleibt dann als Angebot erhalten, ein neues wird aufgrund der Idee des Kindes erstellt. Ein Beispiel hierfür: ein Arbeitsmaterial besteht aus einer Dose mit Kreppapierschnipseln in den Farben gelb, rot, blau und grün. Es gibt eine Pinzette und eine Grillzange zum Greifen der Schnipsel und vier Behälter in den gleichen Farben der Schnipsel. Nun kann ein Kind diese Farbschnipsel den farbigen Behältern zuordnen, es kann die Anzahl der Schnipsel zählen, Muster mit den Schnipseln legen etc. Nun kommt ein Kind auf die Idee, diese Schnipsel in Wasser zu tauchen, weil farbiges Kreppapier so herrlich färbt, und danach mischt es das gefärbte Wasser. Diese Idee kann das Kind der Erzieherin am Ende der Lernwerkstattzeit mitteilen und daraus kann am nächsten Tag ein neues Angebot in der Lernwerkstatt entstehen. Gleichzeitig könnte die Frage der Farbmischung aufgegriffen werden im Kinderatelier der Kita.

Es gibt bei der Wahl der unterschiedlichen Lernwege der Kinder keinen „falschen“ Weg. Bei manchen Arbeitsmaterialien gibt es eine richtige Lösung. Diese können die Kinder z.B. bei einer mathematischen Fragestellung an der im Aufbau des Materials enthaltenen Fehlerselbstkontrolle erkennen, d.h. in diesem Fall ist die Lösung z.B. dann richtig, wenn alle Materialien in einem Arbeitskasten verbraucht sind. Weiterhin gibt es für jedes Material jeweils einen Vorschlag zur Bearbeitung, der durch eine Zeichnung oder ein Foto auf dem Arbeitskasten deutlich gemacht wird. Alle Arbeitsmaterialien bieten den Kindern unterschiedliche Schwierigkeitsgrade zur Bearbeitung an. So ist sie ein Angebot für alle Kinder, auch für besonders Begabte und für Kinder mit besonderen Entwicklungsbedürfnissen.

Der wesentliche Unterschied zum „klassischen“ schulischen Lernen besteht darin, dass nicht alle Kinder zur gleichen Zeit am gleichen Thema mit dem gleichen Material im gleichen Tempo arbeiten sollen.
Jedes Kind kann in der Lernwerkstatt selbstbestimmt mit dem Material arbeiten, dass sein Interesse findet. Ein Kind kann solange wie es möchte an einer Sache arbeiten und sooft es möchte auch das gleiche Material wählen. Die Begründung hierfür ist eine Erkenntnis, die schon Maria Montessori formuliert hat: jedes Kind braucht seine eigene Zeit für Lernprozesse und Lernen bedeutet das „sich Vertiefen in eine Sache und das Wiederholen und zwar solange, bis das Kind für sich entscheidet, jetzt ein neues Material ausprobieren zu wollen. Hier erstaunt und freut mich immer wieder die Beobachtung, wie die „Polarisation der Aufmerksamkeit“, wie Montessori diesen Vorgang benennt, sich immer wieder deutlich am Gesichtsausdruck und der Körperhaltung der Kinder zeigt. Sie scheinen völlig versunken in die Materie und nichts scheint sie aus der Ruhe bringen und ihre Konzentration stören zu können, da sie mit einer Sache beschäftigt sind, die ihr tiefes Interesse geweckt hat. Eine Erzieherin beschrieb diese Situation in einer Reflexion über die Lernwerkstattarbeit in Ihrer Kita so: „Ich habe schon lange nicht mehr Kinder so tief befriedigt aus einem Kita-Raum kommen sehen, wie Kinder, die nach getaner Arbeit die Lernwerkstatt verlassen.

Organisatorischer Ablauf und mögliche Stolpersteine

Der organisatorische Ablauf der Nutzung der Lernwerkstatt durch die Kinder muss auf der Grundlage der Rahmenbedingungen des jeweiligen Kita-Konzepts entwickelt werden. Es sollte für die Kinder ein Ritual geben, dass den Beginn der Lernwerkstattzeit deutlich macht. Hier bietet sich eine Gesprächsrunde mit den Kindern an, in denen mit Hilfe eines „Sprechsteins“ o.ä. zunächst jedes Kind die Möglichkeit hat, etwas zu sagen. Die Erzieherin kann, ggf. mit Unterstützung einer großen Handpuppe, mit den Kindern ins Gespräch über Inhalte und Regeln, Wünsche und Ideen zur Lernwerkstattarbeit kommen. Sie kann in diesem Kreis neue Materialien vorstellen und gemeinsam mit den Kindern überlegen, wie man diese Materialien nutzen könnte. Danach kann jedes Kind frei wählen, woran es in der Lernwerkstatt arbeiten möchte.

Die Erzieherin sitzt an ihrem Arbeitsplatz, beobachtet einzelne Kinder, macht sich Notizen und erarbeitet ggf. ein neues Arbeitsmaterial. Auf Wunsch der Kinder, setzt sie sich auch zu ihnen und unterstützt sie bei Fragen, freut sich mit Ihnen über gefundene Lösungen und spricht mit ihnen über das, was sie gerade bewegt.

Wenn ein Kind für sich beschließt, dass es mit seiner Arbeit fertig ist, wird das Material in dem Zustand, in dem das Kind es zu Beginn seiner Arbeit vorgefunden hat ins Regal zurückgestellt. So kann das nächste Kind dieses Material erneut verwenden.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass es wichtig ist, die Anwesenheitszeit der Kinder in der Lernwerkstatt nicht auf eine bestimmte Zeit (z.B. den 45- Minutenrythmus der Schule) zu begrenzen. Diese Zeitspanne ist sehr kurz – vielfach viel zu kurz, um sich vertieft mit einer Sache zu beschäftigen. Ich habe z.B. ein Mädchen erlebt, dass lange Zeit ausprobierte, einen einfachen Stromkreis so zu schließen, dass ein Lämpchen aufleuchtete. Als sie es nach ca. 40 Minuten geschafft hatte, strahlte sie übers ganze Gesicht und sagte: Und jetzt versuche ich das nächste. Bei einer Begren-

zung der Lernwerkstattzeit von 45 Minuten wäre eine Fortsetzung nicht möglich gewesen und die Motivation des Kindes, die es gerade aufgebaut hatte, wäre dahin gewesen. Außerdem muss jedes Kind die Möglichkeit bekommen, solange Zeit in der Lernwerkstatt verbringen zu können, wie es möchte. Das wird bei dem einen Kind möglicherweise eine halbe Stunde sein, bei einem anderen Kind können es auch 1 1⁄2 Stunden werden. Dieses jeweils unterschiedliche Beenden der Lernwerkstattzeit macht ein Abschlussritual mit allen Kindern schwierig. Ich empfehle andere individuelle Abschlussrituale. Die Kinder können ihre Arbeit an diesem Tag dokumentieren, z.B. in einem eigenen Lernwerkstattbuch, dass sie selbst hergestellt haben. Darin stempeln sie dann jeweils einmal für den Bereich, in dem sie eine Arbeit beendet haben. Oder sie können sich einen schönen Stein nehmen aus einem Behälter, der für alle zur Verfügung steht und ihn in ein persönliches Gefäß legen. In einer Kita sah ich, wie die Kinder jeweils eine kleine Kelle farbigen Sand in ein schönes Glas schütteten, um ihre Arbeit zu dokumentieren. So machen sie sichtbar, an welchen Themen sie gearbeitet haben und sind auf diese Leistung in der Regel sehr stolz. Während der Lernwerkstattzeit entwickeln Kinder Ideen, welches Material sie noch gebrauchen könnten, welche weiteren Lernwege man ausprobieren kann, es entstehen neue Themen zur Bearbeitung. Es sollte zum Abschlussritual dazugehören, dass jedes Kind danach gefragt wird, ob es neue Ideen, Fragen oder Wünsche entwickelt hat. Diese schreibt die Erzieherin in einem dafür vorgesehenen Buch auf. Zu Beginn der nächsten Lernwerkstattgesprächsrunde kann die Erzieherin die Kinder danach fragen und sie ggf. in Ihrer Erinnerung mithilfe des Aufgeschriebenen unterstützen. Alle können dann gemeinsam überlegen, ob und wie die Ideen der einzelnen Kinder aufgegriffen werden können. So bleibt die Lernwerkstatt und ihr Angebot lebendig und neue Arbeitsmaterialien werden aufgrund der Ideen und Wünsche und auch aufgrund von Beobachtungen der Erwachsenen entwickelt.

Bei der Einrichtung der Lernwerkstatt ist eine detaillierte Information der Eltern wichtig, Besonderes Augenmerk sollte darauf gelegt werden, dass die Arbeit in der Lernwerkstatt für Eltern nicht eine unverhältnismäßig große Bedeutung bekommt. Es gibt Erfahrungen, dass Eltern ihre Kinder nicht für die Kita, sondern nur noch für die Lernwerkstatt anmelden. Oder Eltern bestehen darauf, dass ihr Kind wirklich genau ab dem Tag des 6. Geburtstages in die Lernwerkstatt gehen, weil dies doch im Konzept so benannt worden ist. Die Bedeutung der gesamten Kita-Arbeit mit allen Alltagssituationen und – ritualen muss immer wieder präsentiert und dokumentiert werden, damit eine positive Bewertung nicht nur zugunsten der Lernwerkstatt gefällt wird.

Mit allen Kollegen gemeinsam muss das Lernwerkstattkonzept diskutiert und sein Stellenwert in der Gesamtkitaarbeit bestimmt werden.

Rolle der Erzieherin

Die Aufgabe der Erzieherin ist im vorherigen Text immer wieder beschrieben worden. Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Erzieherin hat in der Lernwerkstatt die Aufgabe, Lernmaterialien zur Verfügung zu stellen, Kinder zu beobachten, ungestörte Lernsituationen zu ermöglichen und dort unterstützend zu begleiten, wo Kinder es wünschen. Die Leuwener Engagiertheitsskala kann in der Lernwerkstattzeit ein hilfreiches Beobachtungsinstrument sein. Die schriftlichen Beobachtungen der Kinder können wertvolle

Grundlage für Gespräche mit Eltern sein. In bestimmten Zeitabständen sollten Einzelgespräche zwischen einem Kind und der Erzieherin geführt werden. In diesem Gespräch kann das Kind die eigene Einschätzung seiner Lernwerkstattarbeit äußern und mögliche Wünsche zur Veränderung benennen. Dieses Gespräch kann auch – natürlich nur mit Einverständnis des Kindes – im Beisein der Eltern geführt werden. Eltern sind dabei oftmals sehr erstaunt darüber, wie gut ihre Kinder sich selbst einschätzen und Veränderungswünsche benennen können.

Fazit

Lernwerkstätten in Kitas können ein wichtiger Bestandteil der Bildungsarbeit sein. Kinder zeigen großes Interesse, Eltern sind begeistert, Erzieher entwickeln große Freude an der Erarbeitung eines Lernwerkstattkonzeptes und verlangen nach theoretischem „Futter“.

Meine persönlich wichtigste Erfahrung mit Lernwerkstätten ist die, dass Erzieher über die praktische Organisation und Begleitung des selbstbestimmten Lernens von Kindern in der Lernwerkstatt immer wieder und täglich die Haltung der Erziehungsbegleiterin einüben müssen. Hier sind keine Belehrungen gewünscht. Das hat Konsequenzen für den Alltag in der Kindergruppe oder in der offenen Arbeit. Auch hier wird diese Haltung weitergelebt und führt zu immer wieder neuem Erstaunen und Freude der Erwachsenen darüber, was Kinder alles können, wissen wollen und herausfinden. So kann diese Form der Arbeit ein Mosaikstein sein im Bemühen darum, Kindern ein selbstbestimmtes (Kita-)leben zu ermöglichen.

 

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